2018 holte China seine erste Medaille bei Paralympischen Winterspielen – Gold im Rollstuhlcurling im Final gegen Kanada. Vier Jahre später dominiert die Grossmacht die Paralympics im eigenen Land praktisch nach Belieben. Zehnmal Gold, neunmal Silber und zwölfmal Bronze hat China in Peking bereits geholt. Seit 2004 dominiert das «Reich der Mitte» den Medaillenspiegel bei Paralympischen Sommerspielen. Nun legt es diese Dominanz erstmals auch im Winter an den Tag.
Dass die Überlegenheit genau bei den Spielen im eigenen Land zum Vorschein kommt, ist natürlich kein Zufall. Doch wie ist es dazu gekommen?
Glaubt man den Aussagen, die der Vizepräsident des Organisationskomitees der Spiele in Peking Yang Shuan gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua macht, liegt es am Willen der einzelnen Sportler und den Bemühungen von Chinas Regierung.
Tatsächlich ist es so, dass kaum ein Land mehr Geld in seine paralympischen Sportlerinnen und Sportler investiert. Genau wie für Athleten ohne Beeinträchtigungen gibt es nationale Leistungszentren, wo sie ständig trainieren und gefördert werden können. Letztes Jahr investierte die chinesische Regierung umgerechnet rund drei Milliarden Schweizer Franken in den paralympischen Sport.
Doch das ist erst so, seit China die Olympischen Sommerspiele von 2008 zugesprochen erhielt. «Zuvor musste ich oft fragen, ob ich Trainingsanlagen benützen darf, während die ‹gewöhnlichen› Athleten in der Mittagspause waren», erinnert sich die blinde Ping Yali, die 1984 im Weitsprung die erste paralympische Goldmedaille überhaupt für China gewann.
Seit klar war, dass Peking auch die Winterspiele 2022 ausrichten wird, erhielten auch chinesische paralympische Wintersportler Zugang zu Trainingseinrichtungen. Südkorea 2018 kam für China so noch zu früh, doch nun ist aus der Saat ein wahrer Edelmetall-Baum gesprossen.
Ping Yali glaubt allerdings, dass der Grund für Chinas paralympische Dominanz nicht nur im Geld liegt, sondern dass Menschen mit Behinderungen im «Reich der Mitte» im Alltag arg zu kämpfen haben. Ping war im Jahr 2008 der erste Mensch in China, der einen lizenzierten Blindenhund halten durfte. Blindenleitsysteme und andere Hilfsmittel für Personen mit Beeinträchtigungen sind – wenn überhaupt – nur schlecht ausgebaut. Volksschulen und Universitäten wurden erst 2017 vollständig für Menschen mit Behinderungen geöffnet. Paralympische Athleten machen hier viele Unannehmlichkeiten durch, erklärt Ping Yali. «Jetzt, wo sie von China Unterstützung und Trainingsmöglichkeiten erhalten, gewinnen sie viele Medaillen. Ausländische Sportlerinnen und Sportler haben nicht wie wir gelitten.»
Sport ist einer der wenigen Möglichkeiten, wie ein Mensch mit einer Behinderung in China Unterstützung vom Staat erhält, erklärt Chen Bo, Rechtsprofessor an der Macau University of Science and Technology, der sich auf behindertengerechte Einrichtungen spezialisiert. Die Regierung nutze die paralympischen Erfolge auch, um bei der Bevölkerung das Bild zu erzeugen, dass der Staat funktioniere und sich um alle kümmere.
Doch nachhaltig ist die Unterstützung für die paralympischen Sportlerinnen und Sportler nicht. «Tatsächlich haben die Paralympics in China wenig Einfluss auf die Bevölkerung», sagt der britische Wissenschaftler Stephen Hallett in der NZZ. Sie seien gar ein Symbol der Absonderung, weil die Athleten oft monatelang weit weg von ihren Familien in den Trainingszentren leben.
«Auch Medaillengewinner erhalten nach ihrer Laufbahn wenig Unterstützung. Einige leiden unter Depressionen», erklärt Hallett. So ging es auch Ping Yali, die nach ihrer Goldmedaille 1984 Mühe hatte, eine Arbeitsstelle zu finden und in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Um anderen dieses Schicksal zu ersparen, eröffnete sie einen Massagesalon mit blinden Masseuren und Masseurinnen. Trotz aller Fortschritte besteht die Gefahr, dass auch chinesische Medaillengewinner der aktuellen Paralympics nach dem Edelmetall-Ruhm dort anheuern müssen.
Horrorvorstellung, aber ist das so weit hergeholt bei knallharten Despoten?