«Das war wirklich unglaublich.» Beim Blick zurück auf die letzte Saison erscheint ein Strahlen auf dem Gesicht von Arnaud Boisset. Der Schweizer Skifahrer hatte im vergangenen Winter endlich seinen grossen Durchbruch im Weltcup.
Als Sieger der Super-G-Wertung im Europacup des Vorjahres hatte sich der Unterwalliser einen fixen Startplatz auf der grossen Bühne gesichert. Beim ersten Auftritt in Gröden holte er als 19. gleich Punkte. In Wengen knackte er vor den Augen seiner Familie – die Schwester ist die Präsidentin seines Fanclubs – erstmals die Top-15. «Jedes Rennen hat mich überrascht», sagt Boisset. «Ich dachte immer, dass es nicht noch besser geht, doch es lief einfach weiter.»
Der Höhepunkt folgte ganz zum Schluss: ein dritter Platz beim Weltcupfinale in Saalbach. Sein erstes Weltcuppodest. «Das war total verrückt», erinnert sich Boisset. Er habe gewusst, dass ihm ein guter Lauf gelungen sei, aber es seien auch noch viele Fahrer am Start gewesen. «Als Kriechmayr viel Zeit verlor, begann ich ans Podest zu denken. Als Odi (Marco Odermatt, Anm. der Red.) auch noch hinter mir war, wusste ich: Schneller fährt hier niemand mehr.»
Dabei beeindruckte der 26-Jährige eben damit, dass er sich kaum beeindrucken liess. Die Stelvio in Bormio oder die Streif in Kitzbühel – für den Draufgänger kein Problem. «Ich liebe es, Dinge zu tun, bei denen man wegen der Gefahr extrem fokussiert sein muss», erklärt Boisset. Wenn im Sommer der Schnee fehlt, steigt er aufs Mountainbike oder geht Bergsteigen.
Trotzdem hätte sich der Schweizer sein Debüt in Kitzbühel wohl etwas anders vorgestellt. Bei seiner ersten Abfahrt auf der Streif wurde er im oberen Teil wegen eines ausgerutschten Pistenarbeiters abgewunken und dann per Helikopter zurück an den Start geflogen. Während Boisset darauf wartete, sich ein zweites Mal die gefährlichste Abfahrt der Welt hinunterzustürzen, wurde das Wetter immer schlechter. Der Walliser dachte sich: Einfach nichts riskieren und am Tag darauf im zweiten Rennen nochmals angreifen. «Aber Kitzbühel, insbesondere die Traverse am Schluss, überlebst du nicht mit 80 Prozent», erklärt der 26-Jährige nun mit einem Schmunzeln. Also habe er dennoch Vollgas gegeben und kam am Ende auf Rang 9 ins Ziel.
Diesen Sommer wurde der steile Aufstieg des 26-Jährigen etwas ausgebremst. Bei einem Sturz im Riesenslalom-Training zog Boisset sich eine Tibiaplateaufraktur am rechten Knie zu. «Ich habe einige Wochen verloren, aber der Saisonstart war nie in Gefahr», erklärt der Westschweizer. Insgesamt habe er etwa acht Skitage verloren. Das sei nicht so schlimm, wenn er zum Start seiner Saison schmerzfrei antreten könne.
Auch wenn der Speed-Fahrer scherzt, dass er nun nie mehr Riesenslalom trainieren werde, weiss er, dass das nicht möglich ist. Es sei einfach die absolute Basis des Skifahrens: «Wenn du einen guten Riesenslalom-Schwung fahren kannst, musst du nur das Timing anpassen und dann funktioniert auch ein Schwung im Super-G oder in der Abfahrt.»
Keiner beweist das besser als Boissets Teamkollege Marco Odermatt, der zuerst den Riesenslalom und jetzt auch die Speed-Disziplinien dominiert. Es ist sehr cool, einen Fahrer wie ihn in unserem Team zu haben, schwärmt der Westschweizer. Odermatt sei ein cooler Typ, sehr entspannt und gebe auch gerne Feedback. «Wir fahren den gleichen Schuh, die gleiche Bindung und Platte, da können wir uns austauschen.»
Überhaupt sei der Austausch regelmässiger als noch früher: «Odermatt teilt seine Informationen gerne mit uns. Das war früher nicht immer der Fall bei den besten Schweizer Skifahrern.» Es sei sehr leicht, Teil dieses Teams zu sein, sagt Boisset.
Das Team ist aber gleichzeitig auch seine Konkurrenz. Gerade in Boissets bester Disziplin, dem Super-G, haben sich letztes Jahr sechs Schweizer in den Top-20 der Disziplinenwertung klassiert. Der 26-Jährige sagt: «Ich musste lernen, Geduld zu haben.» Er sei über Jahre in den Top-60 der Welt im Super-G gewesen, aber halt nicht unter den besten acht Schweizern. «Wäre ich Italiener oder Franzose oder Deutscher, hätte es locker und früher für mich Platz gehabt. Aber so musste ich kämpfen.»
Boisset betont aber auch: «Es ist eine gesunde Konkurrenz. Wir bringen uns gegenseitig weiter.» Trotzdem mache es das schwierig, sich konkrete Ziele zu setzen – insbesondere für die Weltmeisterschaft vom Februar in Saalbach, wo die Schweiz im Super-G nur vier Startplätze hat. «Ich war in Saalbach auf dem Podest, aber hinter zwei anderen Schweizern, die nicht Marco Odermatt heissen», führt der Salomon-Athlet mit einem Lachen aus.
Der Walliser sagt, er habe sich etabliert, trotzdem müsse er stets seine Leistungen bringen. Sorgen ob des Drucks macht er sich keine. «Wenn ich weniger Druck möchte, müsste ich mir einen anderen Job suchen.» Wie diesen Sommer, als Boisset Teilzeit auf einer Bank arbeitete. Das mache er, weil im Skifahren von einer Sekunde auf die andere alles vorbei sein könne, erklärt er: «Es braucht einen Plan B. Und dank dieses Sommerjobs schätze ich mein Leben als Skifahrer noch mehr.»