Im Herbst 2022 haben die Verantwortlichen genug. Sie entlassen Chris McSorley, den Mann, der Lugano wieder hätte «grande» machen sollen. Schon wieder ist ein teurer Trainer gescheitert. Und so wird Juniorentrainer Luca Gianinazzi zum neuen Cheftrainer befördert. Noch nie ist Lugano in der höchsten Liga von einem so jungen Coach mit einem so kleinen Namen geführt worden. Aber er ist ein Sohn Luganos und in Lugano ausgebildet worden. Einer von uns.
Dieser Schritt ist klug. Schliesslich hat Ambri seit 2017, seit der Ernennung von Luca Cereda, einem Sohn Ambris, seinen Frieden gefunden. Also wird Luca Gianinazzi Beförderung zu einem «langfristigen Plan», einer neuen Strategie ausgerufen. Es erinnert sich sowieso niemand mehr daran, dass das auch schon bei der Amtseinführung von Patrick Fischer und Chris McSorley so war. Aber auch mit dem «Masterplan Gianinazzi» ist Lugano noch nicht weitergekommen. Die direkte Playoff-Qualifikation ist verpasst worden. Zum Glück: So hat das grandiose, dramatische Play-In gegen Ambri die Fans für alle Durchschnittlichkeit während der Qualifikation versöhnt.
Die Mannschaft ist jünger geworden, wohl auch besser und ausgeglichener. Auf den Ausländerpositionen ist mit den Stürmern Radim Zohorna, Jiri Sekac und dem Verteidiger Carl Dahlström reichlich Wasserverdrängung (zusammen fast 300 Kilo) eingekauft worden. Lugano wird dazu in der Lage sein, zu rumpeln wie zuletzt im Final-Frühjahr 2018 mit dem bissigen Leitwolf Maxim Lapierre (23 Punkte in 18 Playoffpartien). Das wird in den Playoffs helfen. Scheitert Lugano wieder im Viertelfinal oder kommt nicht einmal bis dorthin, dann ist das kurze, seltsame Zeitalter der «Gianinazzi-Romantik» zu Ende.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung 1 bis 10.
Seit Luca Gianinazzi am 8. Oktober 2022 vom Trainer der Elite-Junioren als Nachfolger von Chris McSorley zum Cheftrainer befördert worden ist, wird er allenthalben gerühmt. Er sei ein Visionär, der nicht weniger als die Kultur in diesem Klub umzubauen vermöge. Wohl auch das Resultat eines Lernprozesses von Präsidentin Vicky Mantegazza, die nicht mehr ständig Trainer entlassen und Abfindungen bezahlen mag und es zu schätzen weiss, dass endlich einmal ein Trainer mit vernünftigem Salär aus den eigenen Reihen gestützt und nicht ständig destabilisiert wird. Und dazu noch sehr günstig ist.
Sportlich hat der mit Abstand jüngste Coach der Liga (31) mit einem 10. Platz (2022/23) und einem 7. Rang (2023/24) und zweimal Endstation Viertelfinal noch keine Revolution ausgelöst. Aber immerhin hat er 4 von 7 Derbys gegen Ambri gewonnen und im letzten Frühjahr das Play-In (4:4, 3:1). Und doch: Die Schonzeit läuft ab. Lugano ist in seiner DNA und im Selbstverständnis seines Umfeldes letztlich kein Ausbildungsclub für Trainer. Wenn keine klare Steigerung erfolgt und sich das Team nicht dauerhaft in den ersten 6 Plätzen zu behaupten vermag, dann wird Luca Gianinazzi nicht mehr im Amt zu halten sein.
Lugano hat zusammen mit Langnau das ausgeglichenste helvetische Torhüterduo der Liga. Für die Qualifikation ist die Lösung perfekt und den Doppelrunden (Lugano spielt deren 11) kann der Klub mit dieser Konstellation auf der Torhüterposition gelassen entgegenblicken. Die Frage ist, ob Joren van Pottelberghe oder Niklas Schlegel dazu in der Lage sein werden, in den Playoffs (die Lugano ja eigentlich erreichen müsste) Siege in den Duellen gegen die Titanen der Liga zu stehlen.
Lugano hat die perfekte Lösung für den Alltag der Qualifikation, aber möglicherweise noch nicht, um erstmals seit dem verlorenen Final von 2018 gegen die ZSC Lions wieder eine Playoffserie zu gewinnen.
Die gut besetzte Abwehr ist mit David Aebischer und Carl Dahlström noch einmal aufgewertet worden. Sportchef Hnat Domenichelli hat sich bei den ausländischen Verteidigern in den letzten Jahren hin und wieder geirrt (Joey LaLeggia, Oliwer Kaski). Aber der NHL-erprobte Carl Dahlström wird das Boxplay und das Powerplay verbessern. Strukturiert Luca Gianinazzi das Defensivsystem, wird Lugano erstmals seit dem Finaljahr 2017/18 weniger als 135 Gegentreffer kassieren.
Ein Schweizer Nummer-1-Center ist in der Offensive der Grundstein für den Erfolg. Sie sind so rar und teuer. Denis Malgin ist einer, Gaetan Haas auch. Enzo Corvi an einem guten Abend. Vor allem aber ist Calvin Thürkauf, den sie in Zug völlig verkannt haben, in Lugano einer dieser raren helvetischen Mittelstürmer geworden. Sein Vertrag ist in weiser Voraussicht bis 2029 verlängert worden und der schöne Kontrakt dürfte ihn von einem ungewissen NHL-Abenteuer abhalten. Um ihn herum lässt sich etwas aufbauen.
Seine Linienkollegen Daniel Carr und Michael Joly gehören zu den hochkarätigsten Flügeln der Liga. Marco Müller und Luca Fazzini sind gut genug für 15 Tore und 30 Punkte und Radim Zohorna wird besser sein als der aus einem laufenden Vertrag wegtransferierte Arttu Ruotsalainen. Lugano hatte bereits letzte Saison mit 162 Toren so viele Treffer erzielt wie seit der Saison 2012/13 nicht mehr und die drittbeste Offensive hinter den ZSC Lions (167) und Gottéron (175). Nach dem gelungenen Nachrüsten kann Luganos Offensive die beste der Liga werden.
Manager Marco Werder und Sportchef Hnat Domenichelli sind kluge, kompetente Führungspersönlichkeiten, die den Fuchsbau (manche sagen: die Schlangengrube) Resega sehr genau kennen. Das ist im emotionalen Umfeld dieses Klubs von grosser Bedeutung, weil es hilft, Feuerchen der Polemik, Intrige und Unzufriedenheit schnell zu erkennen und zu löschen.
Die Transfers von David Aebischer und Joren Van Pottelberghe, die beide die sportliche Herausforderung und Weiterentwicklung suchen, zeigen, dass Lugano inzwischen in Spielerkreisen sportlich an Prestige gewonnen hat. Aber mit den vorhandenen Mitteln hätte eigentlich seit dem letzten Final von 2018 mindestens eine Playoffserie gewonnen werden müssen. Eine Herausforderung wird der dank eines amerikanischen Milliardärs mit praktisch unlimitierten Mitteln operierende FC Lugano. Die Stadt hat knapp 65'000 Einwohner, die Zuschauerzahlen sind bescheiden (knapp 5000 beim Hockey, etwas mehr als 3000 beim Fussball), der Sportmarkt Tessin ist limitiert und die Frage ist, ob der FC Lugano und der Fussball eine ernsthafte Konkurrenz werden.
Gerade wegen dieser Ausgangslage wird die Führung nicht darum herumkommen, dem Klub wieder ein anderes Profil zu geben: Der HC Lugano kann auf Dauer nicht ähnlich sein wie Ambri, der HC Lugano ist ein «Premium-Sportunternehmen», das um den Titel spielen und sich klar von Ambri unterscheiden muss, um dem Selbstverständnis seiner Fanbasis und seiner Geldgeber gerecht zu werden.
Eine Saisonvorschau von Eismeister Zaugg mit Rang-Prognosen zu allen Teams folgt kurz vor dem Saisonstart.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.
Trainer erhält in Langnau eine 10, in Lugano gibts ne‘ 6.
Die Torhüter in Langnau eine 8.5, im Südtessin eine 8.
Üh, Klausi, da hat dich dein „Emmentaler-Herz“ ein wenig stark beeinflusst.
Auf eine tolle wie spannende Saison!