Bevor Wladimir Putins Propagandisten diese Neuigkeit in die Welt setzten, dürfen sie zur Feier einen gehörigen Wodka gekippt haben. Doktor René Fasel, die einstige sportpolitische Lichtgestalt aus der neutralen Schweiz, nimmt die russische Staatsbürgerschaft an!
Fasel hat diese Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur nicht dementiert. Nur sagen will er dazu partout nichts.
In vier Jahren vom vielleicht redlichsten helvetischen Sportfunktionär zu Putins Propaganda-Marionette – wie ist dieser beispiellose Absturz nur möglich geworden? Hat hier jemand den Verstand verloren?
Nicht unbedingt. Ein Blick zurück liefert uns die Antwort dieses Dramas eines einst hoch angesehenen Sportdiplomaten.
Die Geschichte beginnt im Dezember 1986 im «Bären» zu Ostermundigen. René Fasel ist Präsident unseres Eishockeyverbandes. Die Sowjets sind zu einem Länderspiel nach Bern gekommen. Vor dem Abschlussbankett lässt sich unser Verbandsvorsitzender von einem Freund ein paar russische Sätze beibringen. Die Russen finden Gefallen am lausbübischen Charme des kleinen Zahnarztes aus Freiburg im Üechtland. Es ist der Beginn einer schicksalsträchtigen sportpolitischen Liaison.
In der Sowjetunion knarzt es im Gebälk. Das sowjetische Hockey braucht Brückenbauer in die kapitalistische Hockeywelt des Westens. Fasel ist dafür die perfekte Persönlichkeit: vielsprachig, charmant, schlau und aus einem neutralen Land. Die Sowjets verhelfen René Fasel 1994 zum Präsidium des internationalen Eishockey-Verbandes IIHF, das er bis 2021 innehaben wird. Er wird IOC-Mitglied und Präsident der IOC-Wintersportverbände. Niemand vermag zu sagen, was passiert wäre, wenn er sich zur Kampfwahl ums IOC-Präsidium gegen Thomas Bach hätte überreden lassen.
Die Russen müssen die Förderung des smarten Schweizers nicht bereuen. René Fasel hilft, die Transferbrücken in die NHL zu bauen, er öffnet das Olympische Turnier für die NHL-Profis und den Westen für das russische Hockey. Er ist es auch, der den Jahrhundert-Transfer von Slawa Bykow und Andrej Chomutow zu Gottéron orchestriert.
Im Februar 2018 steht Fasel auf dem Höhepunkt seiner Funktionärskarriere: Es gelingt ihm, fürs Olympische Eishockeyturnier der Frauen in Pyeongchang Nord- und Südkorea zu einem gemeinsamen Team zusammenzubringen. Es gibt Stimmen, die sagen, dafür habe er den Friedensnobelpreis verdient.
Was dem grossen Sportdiplomaten auch zugutekommt: Während Titanen wie FIFA-Präsident Sepp Blatter ins Visier der Justiz geraten, klemmt sich René Fasel nie die Finger in einem Kassenschrank ein. Er ist eine Lichtgestalt der Lauterkeit in einem korrumpierten Universum der Sportfunktionäre. Seine Affinität für die russische Kultur, seine Nähe zu Wladimir Putin sind kein Problem. Aber gerade darin liegt der Keim seines Niederganges. Er sieht zu spät oder gar nicht die Gefahren.
Im Frühjahr 2021 beginnt der Absturz. René Fasel will dem weissrussischen Machthaber Lukaschenko persönlich mitteilen, dass die Eishockey-WM 2021 nicht in Minsk stattfinden kann. Zu gross ist die globale Empörung über die Art und Weise, wie Lukaschenko die Opposition unterdrückt. Die TV-Bilder, wie sich Fasel und Lukaschenko in Minsk umarmen, gehen um die Welt.
Zu diesem Zeitpunkt hat René Fasel bereits die Zeit nach seinem IIHF-Präsidium organisiert: Er wird den Herbst seiner Laufbahn als Vermittler und Berater des russischen Sportes verbringen. Appartement in Moskau inklusive. Sozusagen als Gerhard Schröder des Eishockeys.
Als die Russen den Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesseln, will oder kann René Fasel nicht erkennen, dass er einem mörderischen Regime dient. Und so hat er sein hohes Ansehen und seine Glaubwürdigkeit verspielt. Die einstige Lichtgestalt ist zur russischen Propagandafigur geworden.