Kevin Fiala könnte jetzt schon der berühmteste Spieler in der Geschichte unseres Hockeys sein. WM-Final 2018 in Kopenhagen zwischen der Schweiz und den vom späteren ZSC-Trainer Rikard Grönborg gecoachten Schweden. Nach 60 Minuten steht es 2:2. Kevin Fiala hat den zweiten Pass zum zwischenzeitlichen 1:0 von Nino Niederreiter gegeben. Verlängerung. Er hat eine riesige Chance zum Siegestreffer. Zum Tor, das die Schweizer zu Weltmeistern macht. Er scheitert. In der Penalty-Entscheidung geht der Final verloren. Auch Kevin Fiala scheitert bei seinem Versuch.
Ein Weltmeister ist er also noch nicht. Aber aus dem launischen Genie, das er 2018 noch ein wenig war, ist einer der besten Spieler der Welt geworden. Kein geradliniger Powerstürmer wie Timo Meier oder Nino Niederreiter. Auch kein Zweiwegcenter wie Nico Hischier. Er ist ein Künstler auf den Aussenbahnen. Die perfekte Kombination von Scheibenkontrolle, Beweglichkeit, Unberechenbarkeit und Spielintelligenz. Einer, der auf jede nur erdenkliche Art seine Tore erzielen kann. Einer, der auf der Fläche eines Badetuches einen Gegenspieler auszutanzen versteht. Einer, der einem Gegenspieler auch einfach davonläuft. Der Erste seiner Art mit Schweizer Pass, der die NHL erobert hat. Oder ganz einfach: Einer der besten, komplettesten Stürmer der Welt.
Selbst die vornehme NZZ kam diese Saison bei einer Charakterisierung ins Schwärmen: «Ein Sonnyboy wie aus dem Katalog für Musterschwiegersöhne und Unterwäschemodels geschnitten: muskulös, gutaussehend, auf der Sonnenseite des Lebens stehend. Sehr vermögend und selbstverständlich in einem mondänen Haus am Wasser logierend.»
Kevin Fiala führt seine Kunst seit dieser Saison in der Hockey-Glitzerwelt Kaliforniens auf. In Los Angeles. Am Meer. Das Timing der Karriere ist perfekt: Als die Los Angeles Kings Kevin Fiala im Sommer 2022 verpflichten, statten sie ihn mit einem Siebenjahresvertrag im Wert von 55,125 Millionen Dollar aus. Auch wenn die Hälfte davon durch Steuern und Abgaben wegfällt – genug für ein finanziell sorgenfreies Leben.
Es ist der Lohn für seine Saison des Lebens: 85 Skorerpunkte in 82 Partien produziert Kevin Fiala 2021/22 für Minnesota. Es ist die perfekte Saison zur perfekten Zeit. Der Vertrag in Minnesota läuft aus und exakt vor dem Auslaufen des Vertrages spielt er das bisher beste Hockey seines Lebens. Auf seiner Position gibt es zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen in der NHL nur sechs produktivere Spieler.
Sein Talent steht nie zur Debatte: 2014 bestreitet er in einem Jahr die U-18-, die U-20- und die A-Weltmeisterschaft. Als weltweit erst dritter Spieler überhaupt. Und erzielt in allen drei Wettbewerben mindestens ein Tor. Kurz darauf macht ihn Nashville im Sommer 2014 zu einem Erstrunden-Draft (Nr. 11). Die Welt steht offen. Aber Kevin Fiala ist noch nicht dazu in der Lage, diese Welt zu erobern. Kritiker sagen hinter vorgehaltener Hand, er sei selbstverliebt, an der Grenze zur Hybris und ihm fehle die Demut. Sie sagen es nur hinter vorgehaltener Hand. Weil Kevin Fiala ein Stürmer ist, der jetzt schon Spiele im Alleingang entscheiden kann.
Seine erste Station ist die Nachwuchsorganisation der ZSC Lions. Mit 16 wechselt er nach Schweden und dort wird ihm ein Potenzial «hoch wie der Himmel» attestiert. Später wird Nationaltrainer Patrick Fischer über die Entwicklung dieses Jahrhunderttalentes sagen: «Kevin musste emotional intelligenter werden. Er kann sehr impulsiv sein, mit Emotionen in alle Richtungen. Er war oft schnell frustriert, weil er sich selber stark unter Druck setzt. Das hat ihn gebremst, ihm fehlte die Konstanz. Aber er ist reifer geworden und hat gezeigt, was für ein unglaublicher Spieler er ist.»
Kevin Fiala kommt im Sommer 2014 nach Amerika. Er ist noch jung, wild, ungeduldig. Seine Leistungsschwankungen sind berüchtigt und zwischendurch wird er sogar ins Farmteam geschickt. Das ist alles längst Geschichte. In seinem achten Jahr in der NHL ist er ruhiger und reifer geworden, einer der besten Stürmer der Welt, und inzwischen hat er seine langjährige schwedische Freundin Jessica Ljung geheiratet.
Viele Kenner sagen, Kevin Fiala habe seine Leistungsgrenze noch lange nicht erreicht. Die erste Teilnahme am All-Star-Game – als sechster Schweizer nach Mark Streit, Jonas Hiller, Roman Josi, Nico Hischier und Timo Meier – ist ein weiterer Meilenstein einer grandiosen Karriere. Und vielleicht gelingt ihm ja das, was ihm beim WM-Final 2018 noch nicht geglückt ist und was noch keinem Schweizer vergönnt war: das entscheidende Tor zum Gewinn des Stanley Cups. Ohnehin zählt in Kalifornien ein Stanley Cup viel, viel mehr als ein WM-Titel.