Der Torhüter ist nicht alles. Aber ohne guten Torhüter ist alles nichts: Die Bedeutung der Goalies ist unbestritten. Kommt dazu: Der letzte Mann kann von der ersten bis zur letzten Sekunde spielen. Selbst der beste ausländische Feldspieler hingegen nicht viel länger als 25 Minuten pro Partie. Es lohnt sich also, einen ausländischen Torhüter zu verpflichten. Erst recht, wenn solche mit Weltklasseniveau zu haben sind. Alles klar. Oder doch nicht?
Ausländische Torhüter haben zwar schon Wunder vollbracht. Der Tscheche Jakub Stepanek hexte den SCB 2016 vom 8. Platz aus zum Titel. Und Ari Sulander hat bei den ZSC Lions eine ganze Ära geprägt. Mit Meistertiteln, dem Gewinn der Champions League und des Victoria Cups gegen Chicago.
Das sind eher Ausnahmen, die eine Regel immer mehr nicht mehr bestätigen. Erst recht, seit sechs Ausländer pro Spiel eingesetzt werden können. Servette hat den Final mit einem Schweizer Torhüter gegen Biel mit einem ausländischen Goalie gewonnen. Soeben bodigte Ambri mit Benjamin Conz (Fangquote 93,62 Prozent) und sechs ausländischen Feldspielern die ZSC Lions in der Verlängerung 4:3. 24 Stunden später verloren die Tessiner in Genf mit dem Finnen Janne Juvonen (Fangquote 80,95 Prozent) 3:5 – und Servettes Gauthier Descloux war der Matchwinner. Er stoppte in der 53. Minute den Penalty von Laurent Dauphin beim Stand von 4:3.
Wir sehen daraus: Die Frage nach dem Sinn eines ausländischen Torhüters ist so einfach nicht zu beantworten. Ein ausländischer Torhüter muss mindestens gut genug sein für die Nationalmannschaften in Schweden, Finnland oder Tschechien. Immer mehr zeigt sich nämlich: Die Schweizer sind besser als ihr Ruf. Benjamin Conz, Niklas Schlegel oder Joren van Pottelberghe stehen auf Augenhöhe mit ihren ausländischen Konkurrenten Janne Juvonen, Harri Säteri und Mikko Koskinen. Würden Servette, Langnau, Davos, die Lakers oder Gottéron diese Saison mit einem ausländischen Torhüter besser dastehen? Nein.
Es könnte sich auch lohnen, die Frage zu prüfen, ob die Schweizer Goalies womöglich besser sind als ihr Ruf. Bei 52 Qualifikationsrunden braucht jedes Team zwei Torhüter mit NL-Niveau. Langnaus Stéphane Charlin oder Robin Zumbühl (ZSC) haben bewiesen, dass Schweizer sich sehr wohl bewähren, wenn sie eine Chance bekommen. Unter anderem laufen die Verträge von Luca Hollenstein (Zug), Gilles Senn (Davos) und Andri Henauer (SCB) aus.
Inzwischen zeigt sich: Sechs Ausländer machen die Aufgabe für die Sportchefs heikler. Bei sechs Ausländern ist die gezielte Verbesserung einer Mannschaft möglich. Aber das setzt voraus, dass der Sportchef seine Spieler bzw. ihre Rollen im Team richtig einzuschätzen vermag. Kommt dazu: Wer einen ausländischen Goalie verpflichtet, benötigt sieben Ausländer. Damit dann, wenn doch ein Schweizer im Tor steht, sechs ausländische Feldspieler eingesetzt werden können. Ein guter Gastarbeiter kostet eine halbe Million.
Ob die Nummer zwei mit Schweizer Pass oder der Ausländer im Tor steht, hat stärkere Auswirkungen, als es auf den ersten Blick scheint. Ausländische Feldspieler nehmen eine Schlüsselrolle ein (oder sie sollten so gut sein, dass sie dazu in der Lage sind). Wenn nun wegen des Torhüters einer dieser sechs ausländischen Feldspieler auf die Tribüne muss, dann hat das einen erheblichen Einfluss auf die Offensive oder die Defensive. Ein ausländischer Goalie gibt dem Coach nicht nur eine zusätzliche Option – der Coach erhält auch eine zusätzliche Chance zum Irrtum.
Am heikelsten ist die ausländische Goalie-Frage für Ambris Sportchef. Ohne Janne Juvonen wäre im Frühjahr 2022 die Aufholjagd (der SCB wurde im Rennen um den letzten Pre-Playoffplatz gerade noch abgefangen) nicht möglich gewesen. Beim Spengler-Cup-Triumph ist die Sache durch den Wegfall der Ausländerbeschränkung schon etwas komplizierter: Für Janne Juvonen musste kein ausländischer Feldspieler auf die Tribüne.
Romantiker neigen zur Einschätzung, nach der Rückkehr von André Heim sei Ambri nominell so konkurrenzfähig wie seit dem Final von 1999 nicht mehr. Das mag verwegen klingen, und der Vergleich mit den Jahren des Ruhmes zu Beginn unseres Jahrhunderts ist schwierig und ohnehin eine Spielerei. Aber richtig ist: Ambri ist jetzt zumindest auf dem Papier so konkurrenzfähig wie noch nie in der Ära von Luca Cereda und Paolo Duca, die im Sommer 2017 begonnen hat. Ja, Ambri dürfte heute wahrscheinlicher besser präsidiert, gemanagt und gecoacht sein als vor 20 Jahren. Nach der Rückkehr von André Heim, der Genesung von Dominic Zwerger und der Verpflichtung des Kanadiers Alex Formenton dynamisiert erstmals in der «Ära Cereda» echter Konkurrenzkampf das Team.
Ob Ambri auch das beste Resultat der «Ära Cereda» gelingen wird (2019 reichte es zu Rang 5), hängt unter anderem auch von Janne Juvonen ab. Bisher war er diese Saison nicht gut genug (Fangquote 90,74 Prozent). Von ihm darf erwartet werden, dass er die bessere Fangquote hat als Benjamin Conz (93,39 Prozent).
Sollte sich das nicht ändern nach der Erhöhung auf 6 Ausländer?