Allein die staubtrockene Statistik dokumentiert die Dramatik. Die ZSC Lions haben das Hinspiel nach einem 0:3-Rückstand 4:3 gewonnen. Um in den Halbfinal zu kommen, müssen sie nun mindestens ein Remis erreichen. Sie geraten 0:3 und 2:4 in Rückstand und siegen schliesslich 5:4.
Dieser turbulente Spielverlauf gegen den Zweiten der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ist kein Zufall. Die Eisbären sind vom Stil her ein typisches DEL-Team: Stark nordamerikanisch geprägt, mit guten Einzelspielern, rau, schnell und durchsetzungsstark in den Zweikämpfen. Aber taktisch halt handgestrickt: Mit einer Defensiv-Organisation wie sie in der National League selbst bei Teams aus der unteren Tabellenhälfte wie Ambri, Langnau oder den Lakers eine Selbstverständlichkeit ist, hätten die Eisbären sowohl im Hin- wie im Rückspiel eine 3:0-Führung in trockenen Tüchern über die Zeit gebracht.
Aber mit einer taktischen Naivität sondergleichen, die auch viel Selbstvertrauen, Schnelligkeit und Talent nicht kompensieren können (Tempo ohne Organisation ist wie ein Formel-1-Bolide ohne Slick-Reifen), waren die Eisbären der perfekte Gegner für die ZSC Lions. Sie spielten ein Hockey, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einer offenen Manndeckung im Handball oder sorglosem Spengler-Cup-Hockey hat. Oder um es positiv zu formulieren: Die Stürmer sind den Verteidigern bei der Defensiv-Arbeit nicht im Weg gestanden.
Die Champions League vermag zumindest bis und mit Viertelfinal das Publikum nicht zu mobilisieren. Mit 6684 Fans ist der Zürcher Hockey-Tempel bloss gut zur Hälfte gefüllt. Saisonkarten sind nicht gültig. Alle, die gekommen sind, mussten das Portemonnaie zücken. Und sehen wahrlich etwas für ihr Geld. Die Stimmung ist grandios: Die oberen Ränge bleiben leer, die Fans konzentrieren sich in der unteren Hälfte der Sitze: Lärm und Stimmung entsprechen auch dank der europaweit besten Soundanlage nahezu einem vollen Stadion. Hockey-Züri rockt.
Die ZSC Lions haben mit der unkonventionellen, offensiv ausgerichteten und im Vergleich zu Liga-Spielen oft wilden Spielweise der Berliner lange Zeit Mühe. Sie verlieren zu viele Zweikämpfe und erst ab Spielmitte finden sie zur Präzision und zum Tempo, um das Talent zu entfalten. Die perfekte Ausgangslage für ein Drama: Der Rückstand nimmt zwar zeitweise beängstigende Ausmasse an. Aber eigentlich ist allen im Stadion klar: Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann sich die ZSC Lions durchsetzen werden.
Die Zürcher nützen mit Technik und Tempo die freien Räume in der neutralen und der gegnerischen Zone. Sie geniessen spielerische Freiheiten, die nicht einmal Ajoie seinen Gegner gewährt. Immerhin hat Ajoie in Zürich im Schlussdrittel diese Saison ein 0:4 aufgeholt und erst in der Verlängerung 4:5 verloren. Was nicht heissen soll, Ajoie spiele auf Augenhöhe mit den Berlinern. Es ist nur ein statistisches Kuriosum.
Die Partie gegen die Eisbären offenbart am Dienstag die besonderen Qualitäten des NL-Tabellenführers: Die ZSC Lions spielen so unterhaltsam und so selbstsicher wie noch selten in ihrer Geschichte. Den Rückstand handeln sie sich nicht durch Arroganz oder fehlende Leidenschaft ein, so wie das früher oft der Fall war. Es ist eher so, wie es Verteidiger-Haudegen Christian Marti nach der Partie formuliert: «Es ist bei so vielen Spielen während einer Saison nicht möglich, jeden Abend in Bestform zu sein.»
Bei einem so unberechenbaren Spiel ist Perfektion ohnehin fast unmöglich. Aber die Leistungskultur der Zürcher ist so gut, dass die ab und an unvermeidlichen Nachlässigkeiten mit Willen, Spielfreude, Leidenschaft und Selbstvertrauen kompensiert werden und dabei hilft auch eine Gelassenheit, die nur echte Spitzenteams haben. War die Balance zwischen Talent, Spielfreude und professioneller Ernsthaftigkeit bei den ZSC Lions so gut? Wahrscheinlich nicht.
Zweimal ein Spiel gegen ein deutsches Spitzenteam nach einem 0:3 zu wenden, ist so oder so bemerkenswert. Christian Marti bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: «Das tut dem Selbstvertrauen gut. Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass so etwas wieder gelingt …»
Im Halbfinal wartet Servette, der europäische Titelverteidiger. Gegen die Genfer wird es nicht möglich sein, zweimal ein 0:3 aufzuholen. Es wird ohnehin nicht ganz so wild zu und hergehen wie gegen die Eisbären: Servette spielt besser strukturiertes Hockey.
Früher war Eishockey, wenn am Ende doch die Deutschen gewannen. Nun ist Eishockey, wenn immer die Schweizer gegen Deutschland siegen: im WM-Viertelfinal und jetzt gleich zweimal im Viertelfinal der Champions League. Die ZSC Lions haben die Eisbären eliminiert und zeitgleich hatte Servette gegen Bremerhaven, den aktuellen DEL-Tabellen-Dritten kein Problem (4:0 im Hinspiel, 2:2 im Rückspiel).
Bereits im Achtelfinal trafen zwei Schweizer Teams aufeinander (Servette kippte Lausanne aus dem Wettbewerb). Nun kommt es im Halbfinal schon wieder zu einem helvetischen Duell und ein Team aus der National League wird den europäischen Final erreichen.
Beim Spengler Cup heisst der Titelverteidiger und Turnierfavorit HC Davos. Die Klubs aus der National League dominieren die europäischen Klubwettbewerbe zu Land, zu Wasser und in der Luft. Kein Zufall: Weil die russische KHL als Konkurrenz ausfällt, haben unsere Klubs die Ausländerpositionen vielfach mit den besten Spielern ausserhalb der NHL besetzt. Die besten Schweizer sind ebenfalls dazu in der Lage, auf europäischem Spitzenniveau mitzuhalten, immerhin ist die Schweiz WM-Finalist.
Die Balance zwischen spielerischen Freiräumen und taktischem Schablonenhockey ist in keiner anderen europäischen Liga so gut wie in unserer National League. Es ist im Dezember 2024 die beste Liga Europas.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Fragwürdig ist momentan eher defensive Leistung der ganzen Mannschaft. Aber naja, Sieg ist Sieg.