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Das Ende der Hockey-Welten müssen wir noch nicht ausrufen. Vor einem Jahr haben wir in Prag nach einer schmählichen Auftakt-Niederlage gegen den späteren Absteiger Österreich (3:4 n.P.) die Viertelfinals erreicht. Das ist auch jetzt noch sehr gut möglich. Denn die das WM-Team 2016 ist nominell besser als jenes der WM 2015.
Aber eine Schmach ist es trotzdem gegen einen Zwerg, der fünfmal weniger lizenzierte Spieler hat als wir. Zum ersten Mal seit dem 13. Mai 2006, seit einem 5:0 gegen Slowenien in der Abstiegsrunde (damals ein anderer Modus als heute) hat Kasachstan an einer WM auf höchster Stufe wieder ein Spiel gewonnen. Zuvor hatten sie 21mal hintereinander verloren. Wahrlich, ein historischer Sieg für Kasachstan – und eine historische Schmach für die Schweiz. Immerhin eine Schmach, die uns auch noch einen denkwürdigen Moment beschert hat. Das Gegentor zum 1:1.
Ach, welch ein Tor, dieses 1:1 der Kasachen gegen die Schweiz. Es ist der haltbarste Treffer, den ein Torhüter bei einem Titelturnier seit dem 21. Februar 2002 kassiert hat. Damals, beim Olympischen Turnier in Salt Lake City, erwischte Weissrusslands Wladimir Korpat Schwedens NHL-Titanen Tommy Salo mit einem Fernschuss zum 4:3-Siegestreffer. Das Ausscheiden der nominell wohl stärksten schwedischen Mannschaft aller Zeiten gilt als eine der grössten Sensationen der Olympischen Hockeygeschichte.
Und nun hat es Reto Berra erwischt. Den Silberhelden, der uns im Halbfinale von 2013 gegen die Amerikaner ins Finale gehext (3:0) und die erste Medaille seit 1953 möglich gemacht hat.
Dieses 1:1 der Kasachen ist noch weit schlimmer als das legendäre weissrussische Siegestor. Wladimir Korpat hatte kurz nach der roten Mittellinie abgedrückt und der Puck prallte von Tommy Salos Schultern ins Tor. Roman Savchenko aber traf aus der eigenen Zone heraus und erst noch in Unterzahl und der Puck fuhr direkt ins Netz. Ein Befreiungsschlag mutierte zu einem Tor, das in die Geschichte eingeht und Reto Berra von nun an bis zum Karrierenende begleiten wird – so wie Tommy Salo jenes vierte Gegentor in Salt Lake City.
Reto Berra konnte sein Missgeschick im Penaltyschiessen nicht mehr korrigieren. Und doch rückt er zu Unrecht in den Mittelpunkt einer seriösen Analyse. Die Schweizer scheiterten, weil sie «Pausenplatz-Hockey» spielten: leidenschaftlich, manchmal wild vorwärts mit dem Puck. Aber im Spiel ohne Puck (das auch auf dem Pausenplatz niemand spielen mag), in der Defensive, war ihr Spiel zu wenig strukturiert und bisweilen gar naiv. Gegen schnelle Konter waren sie viel zu anfällig. Bereits im ersten Drittel (10. Minute) verursachte Yannick Weber einen Penalty. Es wäre das 0:1 gewesen. Aber Nigel Dawes schoss neben das Tor.
Letztlich ist es ein Versagen der neuen offensiven Schlüsselspieler, die es auch im Penaltyschiessen nicht mehr richten konnten. Erstmals haben wir an einer WM mit Nino Niederreiter und Sven Andrighetto zwei NHL-Stürmer. Eine Fussnote in der Teamaufstellung, aber ein historisches Ereignis für unser Hockey.
Noch zu den Zeiten von Ralph Krueger (bis 2010) hatten wir noch keinen einzigen Stürmer in der NHL. Erst Torhüter und Verteidiger waren gut genug für die wichtigste Liga der Welt. Noch haben wir keinen Wayne Gretzky oder Sidney Crosby. Aber zum ersten Mal sind unsere Schlüsselspieler bei einer WM nicht mehr «nur» die Torhüter, kräftige Defensiv-Center und wehrhafte Verteidiger. In Moskau sind auch schnelle, wendige und kräftige Stürmer Schlüsselspieler.
Patrick Fischer ist also der erste Nationaltrainer, der die Spieler hat, um ins Viertelfinale zu stürmen. Tempo statt Taktik. Wilde Junge statt schlaue Routiniers. Temperament statt Abgeklärtheit. Offensive statt Defensive. Spektakel statt Langeweile. Kreativität statt Disziplin. Risiko statt Berechenbarkeit. Mit dem Puck statt ohne den Puck – das ist jetzt zumindest theoretisch möglich geworden.
Praktisch hat es noch nicht funktioniert. 2:3 nach Penaltys zum WM-Auftakt gegen Kasachstan. Am Ende des Tages entscheidet die Balance im Team. Die richtige offensive Dosierung. Wildes, leidenschaftliches Offensivspiel, «Pausenplatz- Hockey» eben, trägt den Kern des spektakulären, tragischen Scheitern in sich. Wie soeben gegen Kasachstan. Letztlich rettete uns ein haltbarer Treffer zum 2:2 wenigstens vor einer Niederlage schon nach 60 Minuten – das sagt vieles über die ungenügende, ja klägliche Offensivleistung der Schweizer. Pech und Glück? Ach was, gegen Kasachstan muss es auch bei ein paar Aluminiumtreffer zum Sieg reichen. Und, wie erwähnt, mussten wir ja noch beim 2:2 das Glück in Anspruch nehmen.
Und morgen spielen wir gegen Norwegen. Ein Gegner, der in jeder Beziehung eine Nummer grösser ist als Kasachstan.