Wer will, kann es so sehen: Das Klagen über die um eine halbe Stunde nach hinten verschobenen Anspielzeiten ist Gejammer auf allerhöchstem Niveau. Denn Hand aufs Herz: Was ist eine halbe Stunde gemessen an der Ewigkeit?
Wer es boshaft mag, kann darauf hinweisen, welches Theater es einst um die Rückverschiebung der Anspielzeiten gegeben hat. Schon fast ist vergessen, dass einst die NLA-Spiele traditionell um 20.15 Uhr begonnen haben. Als nun der Spielbeginn in den 1970er-Jahren um eine Viertelstunde auf 20.00 Uhr vorverschoben wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Geht nicht! Die Zeit reicht nicht mehr, um unter der Woche vom Büro ins Stadion zu gelangen. Oder um rechtzeitig nach dem Melken noch nach Langnau zu kommen.
Was wir daraus ersehen: Wir ändern nur ungern unsere Gewohnheiten. Wenn wir uns daran gewöhnt haben, dass ein Spiel um 19.45 Uhr beginnt, dann ärgern wir uns, wenn nun auf einmal alles um eine halbe Stunde verschoben wird. Auch andere Gewohnheiten des Tagesablaufes geraten so durcheinander.
Der Besuch eines Eishockeyspiels ist ein Teil unseres Freizeitverhaltens. Keine Notwendigkeit. Der «Freizeitmarkt» ist heute so vielfältig wie nie zuvor in der Geschichte unseres Landes. Das führt dazu, dass wir sehr leicht von einer Zerstreuung zur anderen überwechseln können. Oder uns den Besuch im Stadion sparen. Wir können die Spiele ja auch im Fernsehen live erleben.
Heute springt ein Kunde viel schneller ab als in den 1970er- oder 1980er-Jahren. Die emotionale Bindung an ein Hockeyteam ist im breiten Publikum viel weniger stark als vor 30 Jahren. Interesse schon. Das Geschehen rund um einen Klub auf allen Kanälen verfolgen auf jeden Fall.
Aber die Pflicht der Wahlfahrt ins Stadion ist nicht mehr so ausgeprägt. Die Notwendigkeit auch nicht. Noch nie hatte ich die Möglichkeit, so viel über «meinen» Sport, das Spiel «meiner» Mannschaft oder das Befinden «meines» Spielers zu erfahren, ohne ins Stadion zu gehen, wie heute. Es braucht nicht mehr viel, um mich dazu zu bringen, eben nicht mehr ins Stadion zu gehen.
Die Verschiebung der Spiele um eine halbe Stunde ist grober Unfug und Ausdruck der Arroganz und Selbstüberschätzung unserer Hockeymacher. Die Ausrede, die TV-Anstalten (in diesem Falle unseres staatstragenden Fernsehens und «MySports») hätten das so diktiert, ist nachgerade lächerlich und zeugt darüber hinaus von miserablen Verhandlungen.
Wer ein Produkt (in diesem Falle unser Hockey) vertritt, für das TV-Anstalten und Vermarkter bereit sind, im Jahr um die 35 Millionen zu bezahlen, befindet sich in einer starken Position – und kann die Anspielzeiten sehr wohl bestimmen.
Es wäre ein Leichtes gewesen, wenn unsere Hockeymacher (ich will jetzt nicht polemisieren und einzelne Namen nennen) am Verhandlungstisch gesagt hätten: «Ja, okay. Aber leider geht es nicht. Unsere Kunden wollen, dass wir um 19.45 Uhr beginnen. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen.» Der TV-Deal wäre deswegen nicht geplatzt und es wäre kein Franken weniger bezahlt worden.
Wir sehen daraus: Unsere Hockeymacher haben in ihrer Arroganz und Selbstüberschätzung bei der Ausarbeitung der TV-Millionen-Verträge gar nicht mehr an ihren wichtigsten Kunden gedacht. An die Zuschauerinnen und Zuschauer.
Am Ende des Tages sind die Männer und Frauen, Buben und Mädchen im Stadion wichtiger als die TV-Anstalten. Denn wo kein Publikum ist, da ist keine TV-Kamera, da ist keine Medienpräsenz, da ist kein Interesse der Werbeindustrie. Ohne Not dieses Publikum durch die Verschiebung der Anspielzeiten zu verärgern, ist eine «Todsünde».
Erst recht in der Schweiz, in einer Kultur, in der Pünktlichkeit und Berechenbarkeit, Arbeit und Verlässlichkeit einen hohen Stellenwert haben. Wenn ich am nächsten Tag zur Arbeit muss, dann spielt es mir eine Rolle, ob ein Spiel um 19.45 Uhr oder erst um 20.15 Uhr beginnt. Dass nun die Partien ausgespielt werden ist hingegen kein Problem: Wenn sich eine Partie bis nach Mitternacht hinziehen sollte, so wird der Erlebniswert die Verspätung bei weitem aufwiegen. Und es ist ja die Unabwägbarkeit des Sportes, die wir lieben, die wir nicht beeinflussen können, die zum späteren Feierabend führt.
Die Werbeindustrie reagiert sensibel, wenn auf einmal weniger Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion kommen. Nächste Saison ist die Hockey-Kundschaft wieder zu respektieren und die Anspielzeit während der ganzen Saison auf 19.45 Uhr festzusetzen. Für sämtliche Spiele. Egal ob live am Fernsehen oder nicht.