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Jahrelang waren die WM-Spiele der Schweizer für neutrale Zuschauer die langweiligsten. Die Ära von Ralph Krueger (von 1998 bis Olympia 2010) war geprägt von defensiver Stabilität, Ordnung, exzellentem Box- und Powerplay, undramatischen Siegen gegen die «Kleinen», tapferem Kampf und gelegentlichen Punktgewinnen gegen die Titanen und regelmässigen Viertelfinals. Die Schweizer waren die Könige des berechenbaren Hockeys. Ingenieure der Taktik. Hockey für den Verstand.
Nun sind wir unter Patrick Fischer die unglücklichen Könige des Hockey-Dramas. Hockey ohne Verstand. Aber Hockey fürs Herz. Hockey wie auf dem Pausenplatz. Unberechenbar, spektakulär und geprägt von dramatischen Punktverlusten gegen die Kleinen.
Gegen Slowenien ist die Rechnung noch aufgegangen. Jonas Hiller hexte uns im Penaltyschiessen zum 5:4. Aber Leonardo Genoni ist dieses Kunststück nicht mehr gelungen. Frankreich triumphierte nach Penaltys 4:3. Damien Brunner, Vincent Praplan und Denis Hollenstein scheiterten nacheinander am überragenden Cristobal Huet.
Was ist schiefgelaufen? War den Schweizern gegen Norwegen denn nicht ein beinahe perfektes Spiel (3:0) gelungen? Mit Ordnung auf dem Pausenplatz? Doch. Aber der Widerstand war nicht gross. Die Norweger hatten weder die Energie noch die Leidenschaft oder die Klasse der Franzosen, um unserem bissigen, unkonventionellen Tempohockey standzuhalten. Es gab nie Zweifel am Sieg. Um es bösartig zu sagen: Die Schweizer hätten auch am Telefon zum Sieg gecoacht werden können. Das ist, wie gesagt, bösartig. Aber kommt der Wahrheit recht nahe.
Gegen Frankreich war alles anders. Dieser Gegner war in jeder Beziehung eine Nummer grösser als Norwegen. Tempohockey genügte nicht mehr. Nun waren auch taktischer Verstand, Schlauheit, Ordnung und eine Führung von der Bande her gefragt. Ein Duell der Bandengeneräle. Der Lehrling Patrick Fischer (41) bei seiner zweiten WM gegen den schlachterprobten Veteranen Dave Henderson (65). Seit 2004 im Amt.
Billige Polemik ist mir fern. Aber es ist nun mal, wie es ist. Dieses Spiel haben wir auch an der Bande verloren.
Spiele auf diesem Niveau, mit dieser Intensität, werden oft durch Details entschieden. Beispielsweise durch das bessere Spiel in Unter- und Überzahl. Die Schweizer haben genug Talent und taktischen Verstand, um diese sogenannten «Special Teams» perfekt zu spielen.
Das war einst unter dem Bandenkommando von Ralph Krueger und Sean Simpson unsere Spezialität. Schweizerische Präzision. Sie ist verloren gegangen. Gegen Slowenien kassierten wir ein Tor in Überzahl und zwei in Unterzahl. Gegen Frankreich eines in Unterzahl und erneut eines im Powerplay.
«Das darf nicht passieren», sagte Patrick Fischer hinterher. «Wir müssen unser Boxplay und Powerplay verbessern.» Das wird während einer laufenden WM nicht einfach sein. Das müsste vorher eingeübt werden. Nicht auf dem Pausenplatz. Sondern in mühseliger, geduldiger Arbeit im taktischen Klassenzimmer.
Patrick Fischer hat recht, wenn er sagt, dass wir bei fünf gegen fünf Feldspielern besser sind. Dass wir mit unserem intensiven Forechecking auch die Titanen ins Wanken bringen können.
Aber was nützt dieses wilde Offensivhockey, wenn es nicht gelingt, ein Spiel am Ende zu ordnen, zu stabilisieren und einen Vorsprung über die Zeit zu bringen? Wenn wir nicht dazu in der Lage sind, die Ernte der enormen Anstrengungen einzufahren? 4:0 gegen Slowenien reichte nicht zum Sieg nach 60 Minuten. 2:1 und 3:2 gegen Frankreich nicht zum Sieg. Ohne Zittern, ohne Drama geht es unter Patrick Fischer meistens nicht.
Nicht einmal die Titanen stürmen bei einer WM so stürmisch, exotisch vorwärts wie wir. Patrick Fischer überschätzt unser spielerisches Potenzial. Auf WM-Niveau fallen zwei Drittel der Tore nach schnellen Gegenangriffen. Tempo bolzen ist gut für die Unterhaltung. Kontern besser fürs Resultat.
Aber die Schweizer haben das Herz auf dem rechten Fleck. Die Chemie stimmt. Alle sind eifrig und leidenschaftlich bei der Sache. Jeder kämpft mutig und aufopfernd. Sie begeistern. Es sind Löwen. Sie lassen sich auch durch ein Missgeschick da, einen Fehlpass hier und einen Stellungsfehler dort nicht unterkriegen. Die Rolle als Cheerleader erfüllt Patrick Fischer.
Aber es fehlt die Führung. Die Anleitung. Die taktische Schulung. Mit ein bisschen Bosheit können wir sagen: Die Schweizer waren gegen Slowenien und gegen Frankreich Löwen. Geführt von Eseln. Das ist, wie gesagt, bösartig. Aber recht treffend. Und das mit dem Esel ist nicht abwertend gemeint. Schliesslich ist Jesus laut den Evangelien auf einem Esel in Jerusalem eingeritten.
Die Partie gegen Frankreich bot hochklassige Unterhaltung. Ja, in diesem Jahrhundert haben die Schweizer auf WM-Niveau noch selten so viel Hollywood geboten.
Bemerkenswert: Auch wenn HCD-Energie-Leitwolf Andres Ambühl den dritten Treffer markierte – es waren nicht die rauen, robusten Deutschschweizer, die diesen grossen Kampf geprägt haben. Es waren die... Welschen.
Ausgerechnet die Welschen! Zu weich fürs Hockey. Schönspieler für Schönwetterhockey. Und der Legenden über die angebliche Untauglichkeit der Helden aus der Romandie fürs grosse Hockey gibt es am Stammtisch viele.
Spätestens seit diesem Untergang gegen Frankreich wissen wir: alles nur böse, hockeyrassistische Vorurteile. Unsere Welschen waren die Hauptdarsteller bei diesem grossen Drama. Das spricht für die Cheerleader-Qualitäten von Patrick Fischer.
Allen voran haben zwei Welsche dafür gesorgt, dass es gegen ein leidenschaftliches Frankreich wenigstens für einen Punkt gereicht hat. Verteidiger Romain Loeffel aus La Chaux-de-Fonds und Stürmer Vincent Praplan aus Sierre.
Romain Loeffel steht für Unbeugsamkeit. Beim Schussversuch im Powerplay bricht der Stock, die Franzosen entkommen, er eilt zurück und lenkt den Puck unhaltbar für Leonardo Genoni zum 0:1 ins eigene Netz (3. Minute). Eine Verkettung von unglücklichen Umständen, die es sonst eigentlich nur im Film oder im Eishockey auf der Stufe von Katar oder Spanien gibt. Der Treffer wird dem defensiven Defensivverteidiger Yohann Auvitu gutgeschrieben. Er hatte zuvor in 31 WM-Partien für Frankreich nicht getroffen.
Dieser unglückliche Start ändert nichts am Layout dieses Spiels. Die Schweizer geraten zwar immer wieder mal aus dem Tritt, erleiden Rückfälle ins unordentlich, wilde «Pausenplatz-Hockey». Aber sie lassen sich nie entmutigen. Romain Loeffel gehört zu den Architekten der Rückkehr ins Spiel. Er assistiert zu Vincent Praplans Ausgleichstreffer (22.) und ist auch beim 2:1 des gleichen Spielers mit von der Partie (24.).
Sein Missgeschick ist fürs erste korrigiert und wir sollten ihm für das 2:2 nicht die Verantwortung in die Schlittschuhe schieben. Er sass bei diesem Gegentreffer auf der Strafbank. Was bei einem funktionierenden Boxplay ohne Folgen geblieben wäre.
Die positiven Schlagzeilen gehören letztlich Vincent Praplan (22). Er ist im französischsprachigen Teil neben der Eisbahn in Sierre aufgewachsen und gehört zu den Jungen, die aus dem Wallis ausgezogen sind, um die Eishockeywelt zu erobern. Seit 2009 lebt Vincent Praplan mit Ausnahme des Lehrjahres in Kanada (2013/14) in Kloten.
Er hat sich in der Meisterschaft von 8 (2014/15), auf 35 (2015/16) und schliesslich 44 Punkte in dieser Saison gesteigert – und zu den ersten beiden Treffern bei seiner ersten WM. Seine Tore haben das Spiel gegen Frankreich offen gehalten, den Schweizern in der ersten Hälfte die Energie gegeben, um bis ins Penaltyschiessen standzuhalten.
Dort aber gibt es, anders als gegen die Slowenen, kein Happy End mehr. Und nun weiss Patrick Fischer nicht mehr, wer unsere Nummer 1 im Tor ist. Leonardo Genoni war am 3:3 mitschuldig, mit einer Fangquote von 84 Prozent nicht gut genug und im Penalty-Schiessen chancenlos. Also heute gegen Weissrussland doch wieder Jonas Hiller?
Es zeichnet sich ab, dass Frankreich und die Schweiz um den letzten Viertelfinalplatz kämpfen. Unser Vorteil: Wir sind dazu in der Lage, auch gegen einen Titanen einen goldenen Punkt zu gewinnen. Der Nachteil der Franzosen: Sie sind auch gegen die Kleinen (Slowenien, Weissrussland) in Gefahr, Punkte zu verlieren.
Die Viertelfinal-Marseillaise ist noch nicht gesungen, die letzte helvetische Nationalhymne hier in Paris noch nicht verklungen. Nur eines ist sicher: Heute brauchen die Schweizer gegen Weissrussland (16.15 Uhr im Liveticker) drei Punkte.