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In diesen Tagen ist im Zusammenhang mit unserem WM-Team viel von Taktik die Rede. Was ist das eigentlich? Es ist ein Wort aus dem Altgriechischen («taktika»). Die Kunst, ein Heer in Schlachtordnung zu stellen. Der grosse Militärphilosoph Carl von Clausewitz machte daraus «die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht.» Im Eishockey bedeutet Taktik also nichts anderes, als die Mannschaft richtig aufzustellen und die Lehre vom richtigen Einsatz der Spieler im Match.
Die Kritik der letzten Tage: Der «Faktor Taktik», einst die wichtigste Qualität unserer WM-Teams, stimme nicht. Die richtige Ordnung, der richtige Einsatz der Spieler war immer entscheidend. Denn wir hatten nicht genug Talent, um in freier offensiver Jagd Spiele zu entscheiden.
Haben wir jetzt dieses Talent? Auf dem Papier ja eigentlich schon. Schliesslich stehen jetzt erstmals zwei NHL-Stürmer im WM-Team. Aber die Zweifel waren nach drei Partien mehr als berechtigt: Niederlagen gegen Kasachstan (2:3 n.P.), Norwegen (3:4 n.V.) und ein Punkteverlust gegen Dänemark (3:2 n.V.).
Was für die These vom Talent für die Offensive spricht: In allen vier Partien haben sich immer wieder offensive Gewitter der Schweizer entladen. Allerdings nur phasenweise. Aber immerhin. Und im letzten Drittel brauste über die Dänen wahrlich ein offensives Unwetter hinweg, aus einem 0:2 wurde ein 3:2 n.V. Diese offensive Grosswetterlage hielt bis zur Spielmitte der Partie gegen Lettland an und zinste in einem 3:0 kurz vor «Halbzeit» (28.30 Min.) in der bisher höchsten Führung bei dieser WM.
Das «kanadische Prinzip» hat uns nach einem wilden Spektakel im vierten Anlauf in Moskau den ersten Drei-Punkte-Sieg beschert. Eric Blum traf 89 Sekunden vor Schluss zum 5:4.
Was verstehen wir unter diesem «kanadischen Prinzip»? Seit die Kanadier 1977 NHL-Profis bei der WM einsetzen dürfen, stellen sie ihre WM-Mannschaft immer gleich zusammen. Etwas überspitzt formuliert: Die Spieler treffen sich erst vor dem Turnier und die Mannschaft wächst dann nach und nach zusammen. Das Erarbeiten eines taktischen Konzeptes ist so nicht möglich.
Die Kanadier brauchen stets drei, vier Spiele bis alles zusammenpasst. Diese Anlaufzeit in der ersten Phase des Turniers ist für sie kein Risiko. Sie sind gut genug (in der Regel kommen alle Spieler aus der NHL), um trotzdem die Partien gegen die Aussenseiter zu gewinnen und den Schaden in Grenzen zu halten.
Patrick Fischer ist der erste Nationaltrainer, der auch nach diesem «kanadischen Prinzip» arbeitet. Er ist dazu verurteilt: Die Mannschaft konnte er erst im Dezember übernehmen und Schlüsselspieler (Berra, Niederreiter, Andrighetto, Weber, Diaz) stehen ihm erst unmittelbar vor der WM zur Verfügung.
Chancen und Risiko dieses «kanadischen Prinzips» haben sich in dieser denkwürdigen Partie gegen Lettland auf spektakuläre Art und Weise gezeigt. Die Chancen ist die offensive Feuerkraft durch die Spieler, die erst spät zum Team stossen: Nino Niederreiter und Sven Andrighetto haben erst in der dritten und vierten Partie ihr Talent entfaltet.
Wenn alles zusammen passt, dann begeistern die Schweizer durch dynamisches, mitreissendes Offensivspiel wie in der Schlussphase gegen Dänemark und in der ersten Hälfte gegen Lettland. Ja, gegen Lettland funktionierten zeitweise sogar das Box- und Powerplay: In Unterzahl liessen wir in der Startphase keinen Gegentreffer zu (als die Letten im Powerplay trafen, führen wir schon 3:0) und in Überzahl erzielten wir das 1:0.
In dieser Phase (und dann wieder in der Schlussphase) machte Nino Niederreiter, der beste Schweizer Stürmer, der einzige offensive NHL-Millionär, mit zwei Treffern zum 2:0 die Differenz und war auch im Schlussdrittel wieder die treibende Kraft. Bereits gegen Dänemark hatte er für den Ausgleich (2:2) gesorgt.
Aber das «kanadische Prinzip» hat eben auch Risiken. Die viel zitierte Taktik, das Spiel ohne Scheibe, das wir einst meisterhaft beherrschten, aber schwierig einzuüben ist, kommt zu kurz. Vorwärts, mit dem Puck sind wir phasenweise Weltklasse, auch gegen Lettland hatten wir klar mehr Torschüsse (31:17). Rückwärts (oder ohne Puck) sind wir so schwach wie nie seit 1998. Deshalb ist aus dem 3:0 in nur fünf Torschüssen ein 3:3 geworden. Deshalb konnten wir uns am 4:3 von Sven Andrighetto nur 26 Sekunden erfreuen. Aber dann stabilisierten die Schweizer ihr Spiel und siegten schliesslich 5:4.
Nach den vier Partien gegen die vermeintlich Kleinen (gegen die Teams, die in der Weltrangliste hinter uns liegen) haben wir nur sieben von zwölf möglichen Punkte geholt. Das reicht mit ziemlicher Sicherheit noch nicht für den 4. Platz und die Viertelfinals. Auch das ist das Risiko dieses «kanadischen Prinzips»: Die Schweizer sind nicht gut genug, um auch dann Partien gegen vermeintliche Aussenseiter zu gewinnen, wenn sie die Taktik (die «Schlachtordnung») noch nicht ganz gefunden, wenn sie die Feinabstimmung noch nicht abgeschlossen haben.
Es braucht möglicherweise noch einen oder zwei Zähler in den letzten drei Partien gegen die Grossen (Russland, Schweden, Tschechien). Die fünf verlorenen Punkte gegen Kasachstan, Norwegen und Dänemark könnten uns die Viertelfinals kosten.
Die Letten haben gegen Schweden (1:2 n.V.) und gegen Tschechien (3:4 n.P.) bereits zwei Zähler gegen die Titanen erkämpft. Also gibt es keinen Grund, warum nicht auch die Schweiz als Aussenseiter in den ausstehenden drei Spielen punkten kann.
Unsere Hoffnung: Die Letten sind – ähnlich wie wir – auch nicht gut genug, um ihre Partien gegen die «kleinen Teams» zu gewinnen. Lettland spielt noch gegen Dänemark, Norwegen und Kasachstan. Holen sie aus diesen drei Partien neun Punkte, dann brauchen wir gegen die Grossen vier Zähler. Möglicherweise fällt die Entscheidung erst am letzten Tag bei der Direktbegegnung Norwegen gegen Lettland.