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Du willst nur das Beste? Voilà:
Ja, ja, ich weiss: Montréal ist eine Stadt in Kanada. Nicht in den USA. Aber die Montréal Canadiens spielen den kanadischen Nationalsport in der NHL. Die NHL ist durch und durch amerikanisch und ihre Seele heisst US-Dollar.
Bei uns wird gerne von der amerikanischen Leistungskultur schwadroniert. Ohne zu wissen, was sie wirklich bedeutet. Mark Streit hat uns nun eine amerikanische Lehrstunde beschert.
Das amerikanische Sportbusiness ist streng hierarchisch. Die offene Art der Nordamerikaner täuscht uns immer wieder darüber hinweg, wie wichtig diese Hierarchien sind.
Für eine Karriere ist entscheidend: Ich muss immer eine Antwort parat haben, wenn mein Linienvorgesetzter eine Frage stellt. Aus diesem nordamerikanischen Verständnis kommt der Stellenbeschrieb: «He reports to …»
Firmen, die sich bei uns neumodisch und cool geben, haben das auch eingeführt.
Wie kann es sein, dass Montréal eine der Ikonen unseres Hockeys so respektlos behandelt? Zählen denn 800 NHL-Einsätze und eine gute Vergangenheit mit den Canadiens nichts? Wie kann es sein, dass ein Spieler erst für 700'000 Dollar unter Vertrag genommen wird und dann nach zwei Spielen nicht mehr erwünscht ist?
Alles hat seine Logik. Mark Streit war im Sommer die Rolex vom Transfer-Wühltisch der «free agents». Er wird im Dezember zwar schon 40 Jahre alt. Aber er bringt mit seiner Erfahrung immer noch einen Mehrwert in die Mannschaft. Wenn der Verantwortliche für diese Verpflichtung zur Rede gestellt wird, kann er sagen: Es war trotz allem ein guter Deal. Wir mussten für ihn keine Kompensation leisten.
Ein brauchbarer Spieler. Wir brauchten ihn zur Absicherung, damit wir beim Saisonstart genügend Breite haben. Die Jungs in Pittsburgh hatten ihn ja auch unter Vertrag gehabt und die wissen, wie man gewinnt. Er kostet uns ja sowieso fast nichts und mit 700'000 Dollar ist er der zweitbilligste Spieler im Kader. 700'000 Dollar Lohn spielen bei einem Salärbudget von rund 75 Millionen Dollar keine Rolle. Die Verpflichtung von Mark Streit hatte in Montréal nicht einmal so viel Wichtigkeit wie die Verpflichtung von Dario Meyer beim SCB.
Schon beim Saisonstart hat sich gezeigt: Die Canadiens brauchen Mark Streit nun doch nicht. Also haben sie erst versucht, ihn zu transferieren, um vielleicht sogar noch einen Gegenwert zu bekommen, dann seinen Vertrag loszuwerden, und schliesslich ist der Vertrag aufgelöst worden. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Und niemanden kümmert es. So wie es in Bern niemanden kümmern würde, wenn der Vertrag mit Dario Meyer aufgelöst würde.
Hätte Mark Streit zwei oder drei Millionen Dollar verdient, würde er jetzt noch für die Canadiens spielen. Denn bei einem Spieler, der so viel verdient, gibt es intern Fragen: Wie kann es sein, dass wir so viel Geld in einen Spieler investiert haben, den wir schon nach zwei Partien nicht mehr brauchen können? Wer hat das zu verantworten? Und später: Was, wir haben zwei Millionen für einen Saurier ausgegeben, den in der gesamten Liga niemand mehr haben will? Schon um solchen Fragen auszuweichen, wäre Mark Streit vorerst im Kader verblieben.
Streit kennt die Mechanismen des nordamerikanischen Sportgeschäftes. Durch praktische Erfahrungen auf allen Stufen. Und doch ist er von der Art und Weise seiner Ausbootung überrascht worden. Sozusagen auf dem falschen Fuss.
Er hatte die zwei ersten Partien gespielt. In New York stand er fürs dritte Spiel gegen die Rangers im Madison Square Garden nicht mehr im Team. Wir haben uns lange über die NHL, Gott und die Welt unterhalten. Und dabei habe ich auch die Frage gestellt, ob er eigentlich im Farmteam spielen würde und ob er eine Klausel im Vertrag habe, die einen Transfer ausschliesse. Eigentlich mehr zum Spass. Er sagte nicht «Nein, niemals». Das hätte arrogant getönt. Aber er nahm die Frage nicht ganz ernst. Er musste sie nicht ernst nehmen.
War er nicht topfit? Hatte er nicht bei den Eintrittstests ins Trainingscamp das viertbeste Resultat erreicht? Brachte er nicht die Erfahrung aus mehr als 800 NHL-Partien aufs Eis? Und schliesslich: Er hatte auch eine Vergangenheit in Montréal. Hätte nun jemand gesagt: «Passt mal auf, Jungs, in zwei Wochen hat Montréal den Vertrag aufgelöst und Mark Streit steht auf der Strasse» – dann wäre die Antwort wohl gewesen: «Klar, und der Blocher hat dann die ‹New York Times› gekauft und vermeldet den Rauswurf von Mark Streit als Primeur.»
Und doch ist es passiert. So schnell geht das bei einem Spieler, für den kein hohes Salär verantwortet werden muss, der seine Zukunft hinter sich hat und der auch keine politische Bedeutung durch Beziehungen in die Kreise des Teambesitzers hat.
Natürlich hat Mark Streit so einen Abgang nicht verdient. Skandal! Nein. Das nordamerikanische Sport-Business kennt zwar, wie das Beispiel von Mark Streit zeigt, keine Sentimentalitäten. Aber es macht seine Stars reich. Mark Streit hat in der NHL mehr als 30 Millionen Dollar verdient. Da kann er mit einem Lächeln über die Verletzung seines Stolzes hinweggehen.
Er kennt auch das helvetische Hockey-Business. Hier wird der Respekt nicht grösser sein als in Montréal. Natürlich wird er bei uns zu jeder Party eingeladen und jede Türe öffnet sich für ihn. «Super, dass du da bist!»
Aber bei uns werden nicht nur im Sport noch so gerne Denkmäler gestürzt. Wenn Mark Streit nun bei einem Team in der NLA seine Karriere verlängert, dann ruiniert er seinen Status. Er würde mit Argus-Augen verfolgt, jeder Fehler wäre ein Medienereignis und die Kritik bald einmal beissend.
Dass es ihm so ergehen würde in Montréal, das konnte er wahrlich nicht ahnen. Aber was ihn in der Schweiz erwartet, das weiss er. Und dann hätte er keinerlei Berechtigung, sich im Falle einer Karriere-Fortsetzung auf helvetischem Eis über mediale Respektlosigkeit und unfaire Kritik zu ärgern.