Aus der SCB-Selbstsicherheit ist Arroganz geworden – und aus Lugano eine Mannschaft
Wenn Maxim Noreau beim Spielstand von 4:3 zum 5:3 ins verlassene Tor getroffen hätte (nach 58:28 Min.), wären am späten Samstagabend alle nun folgenden Aussagen nicht gemacht worden. Und diese Geschichte würden wir nicht schreiben.
Hätte, wäre, würde. Wir können es nicht oft genug sagen: Eishockey ist eben ein unberechenbares Spiel, das auf einer rutschigen Unterlage gespielt wird. Der kanadische Verteidiger trifft den Pfosten. Lugano gleicht zum 4:4 aus und gewinnt das Penaltyschiessen. Der SCB verspielt im Schlussdrittel eine 4:1-Führung. Zum ersten Mal unter Trainer Kari Jalonen reicht ein Dreitore-Vorsprung im Schlussabschnitt nicht zum Sieg. Die zweite Niederlage in 24 Stunden. Der SCB hatte am Vorabend in Genf 1:2 verloren.
Niederlage als Produkt des SCB-Systems
So wie der grandiose Saisonauftakt (6:1 gegen Gottéron) ist nun auch das Pleite-Wochenende das Produkt des SCB-Systems. Die Selbstsicherheit, die aus der Mannschaft eine unheimliche, unbesiegbare Maschine macht, kann eben auch zu Arroganz und Selbstüberschätzung führen. Die Preisgabe der 4:1-Führung mag Pech sein – denken wir nur an den eingangs erwähnten Pfostenschuss. Verschuldet ist die Niederlage des Meisters aber in erster Linie der Arroganz von Spielern, die seit gut einem Jahr fast immer gewinnen und davon ausgegangen sind, dass nach einem 4:1 nichts mehr passieren kann.
SCB-Trainer Kari Jalonen ist ein Grossmeister der Selbstbeherrschung. Er betont ausdrücklich seine Enttäuschung über die Niederlage und vergisst nicht zu erwähnen, dass auch die Spieler verärgert sind. Aber es ist ihm gut anzumerken, dass er gar nicht so unglücklich ist. «Es war eine Lektion für uns. Eine sehr harte Lektion.» Das war es. Und nur wenig kommt einem Coach eines Spitzenteams so gelegen wie eine harte Lektion im September, die ein wenig für Aufregung sorgt.
Betriebsunfall mit Folgen
Die überheblichen Berner hatten nach dem 4:1 ein bisschen auf Zeit gespielt und sind dafür bestraft worden. Vorher war das SCB-Spiel wieder beinahe perfekt gewesen. Mit zwei Powerplay-Treffern, einem Tor in Unterzahl. Die Hockey-Maschine funktionierte. Eigentlich könnten wir dieses 4:5 nach Penaltys nun als «Betriebsunfall» abbuchen und zur Tagesordnung übergehen. Aber genau das sollte der Titelverteidiger nicht tun. Es spricht nämlich auch einiges dafür, dass die Rechnung für diese Niederlage erst im März oder April präsentiert wird. Dass dieser Sieg für Lugano ein weiterer Schritt Richtung nächste Meisterschaft war.
Lugano hat 2016 das Finale und im letzten Frühjahr das Halbfinale gegen den SCB verloren. Nun hat sich in dieser hitzigen Partie (vergl. Zweitstoff) erneut bestätigt, dass die alte, heftige Rivalität aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zurück ist. Aus der Zeit, als die beiden Teams unser Hockey dominierten und dreimal hintereinander das Finale gegeneinander spielten (1989, 1990 und 1991). Luganos Verteidigungsminister Philippe Furrer, ein WM-Silberheld, der mit Bern dreimal Meister war und seit 2015 für Lugano spielt, sieht in diesem Sieg eine Bestätigung dieser Entwicklung. «Wir wachsen als Mannschaft immer mehr zusammen. Wir haben auch nach dem 1:4 nicht aufgegeben und sind zurückgekehrt.» Das ist in der Tat für Lugano ungewöhnlich – und wenn so talentierte Spieler als Team zusammenwachsen, dann können sie in der Tat sehr weit kommen. Lugano hat mindestens so viel Talent wie der SCB – aber im Finale 2016 und im Halbfinale 2017 fehlten Stilsicherheit, Energie und Kampfkraft. Und nun ist aus Lugano eine Mannschaft geworden. Zumindest im Schlussdrittel dieser erst hitzigen, dann vorübergehend langweiligen und schliesslich hochdramatischen Partie.
Es ist nicht ganz sicher, dass die Berner tatsächlich erkannt haben, wie gefährlich dieses Lugano in den nächsten Playoffs werden kann. Die Tessiner haben am Samstagabend beunruhigend viel Energie und Kampfkraft gezeigt.
Die Reaktionen
Aber eben eine echte Prügelei wurde daraus nicht – und auch später liess sich der «SCB-Krieger» viel gefallen. Er sagt auch warum. «Ich lasse mich doch von behinderten Viertlinienspielern wie dem Walker nicht zu Strafen provozieren und aus dem Spiel nehmen. Und was bringt es, wenn ich mich mit Chiesa (Captain Alessandro Chiesa – die Red.) prügle und wir beide unter die Dusche geschickt werden? Ein so hüftsteifer, unbeweglicher Verteidiger wie er einer ist, will ich auf dem Eis sehen, dort nützt er uns mehr…»
Auf dem Eis hat sich Thomas Rüfenacht in der Tat beherrscht und sich nicht provozieren lassen. Verbal gibt er hingegen nach der Partie Vollgas. «Wir sollten in der Schweiz Schlägereien nicht gleich mit einem Restausschluss bestrafen. Damit wir Spieler unter uns gewisse Dinge regeln können.»
Er sagte, Lugano habe sich zu viele Unsauberkeiten geleistet und erwähnt einen Check von Julian Walker, der bei SCB-Verteidiger Justin Krueger zu einer Gehirnerschütterung führte. «Viel zu oft mussten wir zusehen, wie die Luganesi in unseren Torhüter hineingefahren sind. Solche Unsauberkeiten sollten wir Spieler unter uns auf dem Eis gleich regeln können. Ich bin noch so gerne bereit, die Handschuhe fallen zu lassen. Aber nicht, solange wir Bussen und Sperren riskieren.»
Ganz Unrecht hat Thomas Rüfenacht nicht. Eine Rückkehr zur archaischen Hockey-Selbstjustiz wird es indes bei uns so wenig geben wie in der NHL. Aber es ist angerichtet zwischen Bern und Lugano. Luganos defensiver Leitwolf Philippe Furrer sieht die Sache allerdings nicht ganz so arg. «Hinter unseren Aktionen steckte sicher nie eine böse Absicht. Ja, wir haben uns zu viele Strafen geleistet. Aber wir haben nicht gezielt provoziert. Die Strafen sind einfach das Resultat eines hitzigen Spiels.» So oder so ist Justin Krueger nach einem Check von Julian Walker mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ausgeschieden. Deshalb fehlte er als «todsicherer» Verwerter beim Penalty-Schiessen. «Wie es um ihn steht, wissen wir noch nicht», sagte SCB-Trainer Kari Jalonen nach der Partie. «Er versuchte nach dem Check noch einige Einsätze, aber es ging ihm nicht gut und er musste dann aufgeben.»
