Es ist nur ein kurzer Augenblick. Doch einen Moment ist sich Coumba Sow sicher, dass der Ball den Weg ins Tor findet. Kopfball, 75. Spielminute, sie kommt alleinstehend an den Ball. Doch es soll nicht sein, eine Schwedin kann blocken. Sow wird nicht die Heldin von Sheffield. Statt einer Sensation für die Schweizerinnen gibt es 2:1-Favoritensieg für Schweden.
Am Tag danach ist Coumba Sow locker drauf. Wie eigentlich immer. Nun sitzt sie im Garten des Team-Hotels vor der Journalistenschar und sagt: «Natürlich hat es mich sehr genervt, dass dieser Ball nicht reinging. Wäre er reingegangen, hätte es das Spiel sehr verändert.»
Ein mögliches Siegtor gegen Schweden wäre ein weiteres Kapitel der Senkrechtstarterin aus dem Zürcher Kreis 12 gewesen, über die es eine Anekdote gibt, die ihren Aufstieg gut illustriert. Als sich das Nationalteam an der WM 2015 in Vancouver für das Achtelfinal qualifiziert, jubelt Sow mit einem Bier in der Hand auf der Tribüne den Schweizerinnen zu. Dort fasst sie den Entschluss, es selber an ein grosses Turnier schaffen zu wollen.
Nun spielt Sow an ihrer ersten EM und braucht dort nur 82 Sekunden, ehe sie Torschützin wird. Gegen Portugal trifft sie mit einem schönen Schuss aus der zweiten Reihe zur Führung. Wieder hat Sow in einer wichtigen Partie getroffen, wie schon in der EM-Barrage gegen Tschechien und in der WM-Qualifikation in Italien. Diesmal reichte der Treffer der Mittelfeldspielerin aber nicht zum Sieg. Deshalb kann sie ihn zunächst kaum geniessen. «Aber als ich das Tor auf Video nochmals gesehen habe, hat es mich schon gefreut», erzählt sie mit Abstand.
Coumba Sow ist die Senkrechtstarterin der letzten Jahre im Nationalteam, hat sich auch im Klub beim französischen Spitzenteam Paris FC etabliert. Begonnen hat es bei ihr mit dem Fussball etwas anders als bei den anderen Natispielerinnen. Während diese fast alle einst in einem Jungsteam spielten, ist dies bei Sow anders: «Mein Vater wollte nicht, dass ich mit Jungs spiele, deshalb habe ich erst mit 13 beim SV Höngg im Klub angefangen», erzählt sie. Bis dahin kickt sie regelmässig auf der Strasse - mit Jungs. Mit dabei sind unter anderem Steven Zuber, Nzuzi Toko oder die Gebrüder Rodriguez. «Ich musste mich als Mädchen immer beweisen», erzählt sie. Noch heute spielt sie, wenn sie zurück in ihrer Heimat ist, mit einigen der Jungs Fussball.
Diese Zeit kickend auf den Strassen Zürichs hat Sow geprägt. Die 27-Jährige sagt:
Passend dazu ist ihr Vorbild Ronaldinho. «Seine Joga-Bonito-Videos haben mir immer sehr gefallen. Ich wäre gerne von einer Frau Fan gewesen, aber leider gab es keine, die ähnlich aussah oder ähnlich gespielt hat wie ich.»
Geht es nach ihr, sollen Kinder dank der EM in England auch weibliche Vorbilder bekommen. «Ich hoffe, dass wir viele Mädchen und Jungs inspirieren können», sagt Sow, die nach Spielen bereits grossen Ansturm wahrnimmt. «Beim letzten Spiel wollten die Fans mein Trikot, meine Hosen, meine Socken - alles. Und ich habe alles gegeben. Am Ende stand ich fast nur in Unterwäsche da.»
Die Cousine des Nationalspielers Djibril Sow nimmt auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um Gleichberechtigung geht. Sie ärgert sich darüber, dass Mädchen nicht gleich gefördert werden wie Jungs. Lohnunterschiede seien ihr da noch egal. «Doch im Nachwuchs ist der Unterschied riesig. Den Jungs wird alles abgenommen. Das hat aber auch negative Folgen: Ihnen muss man, wenn sie ausziehen, das Kochen und das Waschen beibringen. Bei uns ist dies durch die Umstände anders, wir sind selbstständiger.»
Zurück zum Sportlichen, wo die Schweiz am Sonntag um 18 Uhr gegen die Titelverteidigerinnen aus den Niederlanden im letzten Gruppenspiel um den Viertelfinaleinzug an dieser Europameisterschaft spielt. Gewinnt die Schweiz, kommt sie weiter. «Wir müssen mutig sein, denn wir wissen, dass auch gegen die Niederlande einiges möglich ist», sagt Coumba Sow. Diesmal soll der Ball im entscheidenden Moment rein für die Strassenfussballerin. (aargauerzeitung.ch)