Dies ist die Geschichte zweier Fussballer, die einen ähnlichen Weg beschritten, um die Fussballwelt zu erobern. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die in jungen Jahren mit ihrer Unbekümmertheit und Freude die Schweiz verzückten. Es ist aber vor allem die Geschichte zweier Charaktere, die sich so unterschiedlich entwickelten, wie man es kaum für möglich gehalten hätte.
Granit Xhaka hat ziemlich stressige Tage hinter sich. Nach dem Saisonende muss er die Entscheidung bezüglich seiner Zukunft forcieren. Am Mittwoch darf er endlich den Wechsel von Mönchengladbach zu Arsenal bekannt geben. «Jetzt habe ich den Kopf frei für die EM.» Die Notiz, dass er neu zum Captain-Team gehört, dass er Stellvertreter für Lichtsteiner und Behrami wird, ist fast schon eine Randnotiz.
ANALYSIS: Who is most likely to partner with #GunnerGranit in @Arsenal’s midfield? https://t.co/78BDebQ7Xo pic.twitter.com/v7zufJZtPO
— Arsenal FC (@Arsenal) 27. Mai 2016
Xherdan Shaqiri hat ziemlich ruhige Tage hinter sich. Die Saison mit Stoke City ist längst zu Ende. Die «beste Saison der Klubgeschichte», wie sie Shaqiri im März schon verkündete, wurde es zwar nicht, Stoke holte drei Punkte weniger als in der letzten Spielzeit, aber Rang 9 ist für einen Verein wie Stoke City in der Premier League ganz ok.
Shaqiri könnte also den Kopf lüften. Schwung holen für die EM. Aber so ist das nicht. Shaqiri macht lieber mit irritierenden Aussagen auf sich aufmerksam. Dass er enttäuscht sei, nicht zum Captainteam zu gehören. Mehr noch: dass er nicht einmal eine Option war.
Unter der Woche hat sich Stephan Lichtsteiner geäussert. Es waren prägnante, lobende Worte für Xhaka. «Es war Zeit, dass er diesen Schritt zu einem absoluten Topklub gemacht hat. Und ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass er sich durchsetzt bei Arsenal.» Xhaka könnte endlich wieder einmal ein Schweizer sein, der bei einem der führenden europäischen Vereine eine Schlüsselrolle besetzt. So wie sie Lichtsteiner bei Juventus Turin seit Jahren innehat.
Über Xherdan Shaqiri hat niemand gesprochen. Höchstens hinter vorgehaltener Hand. Tatsache ist: Die Aussetzer in seinem Auftreten rund ums Nationalteam haben sich gehäuft. Es gibt Leute – auch im inneren Zirkel dieses Nationalteams – die mit seinen Allüren nicht ganz glücklich sind. Nationaltrainer Vladimir Petkovic hat kürzlich gesagt: «Alle sind gleich. Aber einige sind gleicher.» Das trifft auf Shaqiri bestens zu. Kritik? Die wischt er mit verzerrtem Gesicht weg. Die sei ihm «relativ sehr egal», so hat er sich im März geäussert. Vielleicht denkt er, er könne sich das leisten, weil er vom Boulevard wie ein König behandelt wird.
Rückblende. Sommer 2012. Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka verlassen den FC Basel in Richtung Bundesliga. Gemeinsam haben sie in Basel die Augen der europäischen Späher verzaubert. 1:0 gegen Bayern München im Champions-League-Achtelfinal. 2:1 gegen Manchester United im entscheidenden Gruppenspiel zuvor. Jetzt sind sie reif für den grossen Sprung. Shaqiri wählt den grossen FC Bayern München aus. Xhaka «nur» Mönchengladbach. Es sind wegweisende Entscheidungen.
Während Shaqiri in München als junger, unbeschwerter Emporkömmling begeistert, tut sich Xhaka in Mönchengladbach schwer. Er versteckt sein Selbstvertrauen nicht, will zu schnell zu viel – und landet auf der Ersatzbank. Xhaka muss Widerstände überwinden. Aber er lernt daraus. Die schwierige Zeit hat ihn gestärkt. Shaqiri gewinnt derweil in München in der ersten Saison gleich das Triple. Beim Jubeln ist er zuvorderst. Nur beim Jubeln. Wird seine Rolle künftig wichtiger? Die Hoffnung ist da. Pep Guardiola steht doch auf kleine, wirblige, technisch starke Spieler. Bald einmal lässt Guardiola durchblicken, dass er vor allem auf taktisch kluge Spieler steht. Shaqiri landet auf dem Abstellgleis.
Xhaka findet in Mönchengladbach je länger, desto besser in die Spur. Er lernt, seine markigen Worte zu kanalisieren – was nicht heisst, dass er seinen Mut, seine Direktheit, seine Authentizität oder sein Selbstvertrauen verliert. Der Trainer Lucien Favre glaubt immer an seinen Schützling Xhaka. Er formt ihn. Er kitzelt ihn. Er kanalisiert seine Energie. Und macht ihn so zu einem unverzichtbaren Spieler Gladbachs. Zu jenem Führungsspieler, der ein Team anführt, das in der Saison 2014/15 zum ersten Mal in seiner Geschichte in die Champions League rast.
Nach vier Jahren ist die Zeit für den nächsten Schritt reif. Xhaka, 23, wechselt als Captain einer Bundesliga-Mannschaft in die Premier League. Etwa 45 Millionen Franken bezahlt Arsenal für ihn. Er wird etwas mehr als 8 Millionen Franken im Jahr verdienen.
Shaqiri findet in München je länger, desto mehr nur die Verzweiflung. Im Januar 2015 ergreift er die Flucht. Inter Mailand verpflichtet ihn. Saftige Gehaltserhöhung inklusive. Er wird als Messias gefeiert, der Inter bald wieder zu Titeln führt. Drei Monate später ist Shaqiri bei Trainer Roberto Mancini durchgefallen. Dieser denkt nicht anders als Pep Guardiola, gibt Shaqiri zu verstehen, dass er sich einen neuen Klub suchen soll. Erst sträubt er sich. Einem Transfer zu Stoke City will er nicht zustimmen.
Wenige Tage später landet er bei: Stoke City. Der Verein bezahlt 18 Millionen Euro. Saftige Gehaltserhöhung für den Spieler inklusive. Er verdient nun etwa 4,5 Millionen im Jahr. Shaqiri denkt darum, sein Weg führe immer weiter nach oben. Bayern, Inter, Stoke – das tönt wahrlich nicht nach Aufstieg.
Die Eigenwahrnehmung entfernt sich immer mehr von der Aussenwahrnehmung. Shaqiri wirkt fast von Woche zu Woche ein bisschen unzufriedener, genervter auch. Er fühlt sich zu wenig wertgeschätzt. Er zieht sich zurück. Seine öffentlichen Auftritte sind seltener geworden – ausser, wenn er dafür bezahlt wird. Um ihn herum exponieren sich seine Brüder, die gleichzeitig als Berater die zufällig wirkende Karriere orchestrieren. Shaqiri darf das behütete Nesthäkchen sein. Sein Hype findet längst nur noch in den Ringier-Medien statt. Der Verlag bestreitet eine vertragliche Zusammenarbeit.
Auch Xhaka hat schwierige Zeiten durchgemacht. Er ist dann vor die Kameras und Mikrofone getreten, hat alles schonungslos analysiert, sich selbst an erster Stelle. Er ist trotzdem immer selbstbewusst, immer anständig, übernimmt immer Verantwortung. Schon in jungen Jahren hat er, der kleinere Bruder, für den älteren Bruder Verantwortung übernommen. Man sieht es ihm noch heute an. Im Hintergrund zieht ein intelligenter Berater die Fäden. Einer, der das Rampenlicht nicht sucht, dafür einen hervorragenden Ruf in der Branche geniesst.
Wie es um Xhakas Ruf in Deutschland steht, liest man am besten auf der Homepage des Fussballfachmagazins «11 Freunde» nach. Unter dem Titel «Hau ab, du geile Sau!» wird sein Abschied aus der Bundesliga gewürdigt. Es ist fast eine Liebeserklärung. Auch die Fans gönnen ihm, trotz Abschiedsschmerz, den Wechsel von Herzen. Solche Elogen über Shaqiri sucht man vergebens.
Wenn in knapp zwei Wochen die Schweiz gegen Albanien ihr erstes EM-Spiel bestreitet, werden Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka im Mittelpunkt stehen. Xhaka wird der Anführer sein. Der Stratege, der das Spiel lenkt. Auf seine Ideen wird die Schweiz angewiesen sein.
Und Shaqiri? Er hat immer als der Unverzichtbare gegolten in diesem Schweizer Team. Als der Mann, der für die entscheidenden Momente zuständig ist. Und an guten Tagen ist er das auch. Manchmal reicht ihm ein Spiel, um alle Zweifel flugs wieder beiseite zu wischen. So war das an der WM in Brasilien, als ihm im letzten Vorrundenspiel gegen Honduras ein Hattrick gelang. Es waren die Tore zum Achtelfinal. Zum Duell gegen Argentinien, das die Schweizer beinahe in historische Dimensionen vorstossen liess.
Shaqiris gefährliche Entwicklung neben dem Platz ist darum nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist, dass die ganze Schweiz weiss, dass Shaqiri am 11. Juni mit zwei Toren gegen Albanien eine Euphorie auslösen kann. Am meisten überzeugt davon ist – Xherdan Shaqiri selbst.