In der letzten Saison konnten sich Union Berlin und der SC Freiburg für die Europa League qualifizieren. Nun sind die beiden Bundesliga-Teams trotz der Abgänge von zahlreichen Top-Spielern wieder ganz oben dabei in der Tabelle.
Die Berliner mischen auch in ihrer vierten Saison in der Bundesliga wieder kräftig mit. Nach dem 6:1-Sieg auf Schalke sind die «Eisernen» neben Bayern München das einzige noch ungeschlagene Team der Liga. Am Samstag kommt es um 15.30 Uhr im Stadion an der alten Försterei zum Aufeinandertreffen der beiden. Sollte Union als Sieger hervorgehen, wäre es nicht nur der erste Sieg gegen die Bayern überhaupt, sondern auch die erste Tabellenführung der Köpenicker in der Bundesliga. Doch wie mauschelte sich die einstige Nummer 2 Berlins zum Kandidaten für das internationale Geschäft?
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— Lalpengu | David Otto Fanbusfahrer (@lalpengu) August 27, 2022
Seit dem Aufstieg in die Bundesliga konnte sich Union kontinuierlich steigern. Im ersten Jahr noch auf Platz 11 ging es ein Jahr später dank Platz 7 in die Conference League und in der letzten Saison wurde das Team dann Fünfter und spielt jetzt gar in der Europa League.
Nicht nur die Tabellenposition der Berliner hat sich im Laufe der Jahre verändert, sondern auch ihr Kader. Aus Unions erster Bundesliga-Saison 2019/20 sind mit Topskorer Sheraldo Becker, Captain Christopher Trimmel, Julian Ryerson und Ersatzgoalie Jakob Busk nur noch vier Spieler im aktuellen Kader.
Sportchef Oliver Ruhnert ist auf dem Transfermarkt stets sehr umtriebig. Seit dem Bundesliga-Aufstieg verpflichtete er 56 neue Spieler und liess 38 Spieler ziehen. «Der Hauptmann von Köpenick» ist der Transferkönig der Bundesliga. Zu Beginn lag der Fokus noch darauf, möglichst viele erfahrene Spieler ins Kader zu bekommen.
Ruhnert verpflichtete unter anderem die ehemaligen deutschen Meister Neven Subotic und Christian Gentner ablösefrei. Ebenfalls im selben Sommer verpflichtet wurde Sheraldo Becker, welcher aktuell in Topform ist. Ein Jahr später wurden die Weichen für den kommenden Erfolg gestellt. Mit der Leihe von Taiwo Awoniyi und den ablösefreien Verpflichtungen von Innenverteidiger Robin Knoche und der hängenden Spitze Max Kruse bewies Ruhnert ein goldenes Händchen.
Awoniyi wurde im folgenden Sommer für 8,55 Millionen Euro vom FC Liverpool fest verpflichtet, diesen Transfer konnte sich Union vor allem aufgrund des Verkaufs von Mittelfeldmotor Robert Andrich an Bayer Leverkusen leisten. Andrichs direkter Nachfolger kam, wie soll es anders sein, in Person von Rani Khedira ebenfalls ablösefrei vom FC Augsburg.
Nach einer hervorragenden Saison mit 15 Treffern in 31 Bundesligaspielen machte Ruhnert Taiwo Awoniyi in diesem Sommer zum Rekordabgang der «Eisernen». Für über 20 Millionen Euro verkaufte er den Engländer zum Premier-League-Aufsteiger Nottingham Forest. Die Hälfte der Awoniyi-Millionen investierte der Geschäftsführer Sport in die Verpflichtungen von Jordan Siebatcheu und Morten Thorsby. Die beiden waren bislang an fünf der elf Union-Treffer in der laufenden Saison beteiligt.
Doch auch die Lieblingsbeschäftigung von Oliver Ruhnert, das Verpflichten von ablösefreien Spielern, kam in diesem Sommer nicht zu kurz. Mit Paul Seguin, Janik Haberer, Danilho Doekhi, Tim Skarke und Milos Pantovic wurden gleich fünf Spieler zum Nulltarif unter Vertrag genommen.
Doch bei all den Transfers ist Ruhnert vor allem eines wichtig: Ein Neuzugang bei Union muss sich mit den Werten des Klubs identifizieren können. Weitere wichtige Eigenschaften, worauf bei den Neuzugängen geachtet wird, ist ihr Charakter und inwieweit sie sich mit dem bestehenden Kader ergänzen. Denn bei den Berlinern ist die positive Stimmung innerhalb der Mannschaft besonderes wichtig.
Die Unioner Erfolgsstory schreibt Ruhnert aber nicht allein. Mit Trainer Urs Fischer tätigte er die wohl beste Verpflichtung seiner Amtszeit. Mit ihm gelang Union auf Anhieb der Aufstieg in die Bundesliga. In der Relegation setzte man sich überraschend gegen den VfB Stuttgart durch.
Der ehemalige Trainer des FC Basel und FC Zürich machte aus dem Zweitligisten innerhalb weniger Jahre einen Europacup-Teilnehmer. Fischer gelingt es, aus den Spielern, welche Ruhnert verpflichtet, das Maximum herauszuholen. Sinnbildlich hierfür steht Verteidiger Robin Knoche, der bei Wolfsburg aussortiert wurde. Für die Köpenicker lief er seit seiner Verpflichtung in 87 Spielen von Beginn an auf und ist eine feste Grösse im Team.
Dabei setzt Fischer auf simple Fussballmethoden. Union ist enorm stark bei Standards, die Ecken und Freistösse von Captain Christopher Trimmel sorgen stets für Gefahr im gegnerischen Strafraum. Hinzu kommt das schnelle Umschaltspiel, nach Ballgewinn wird der Ball mit nur wenigen Kontakten nach vorne gespielt. Dabei spielen die beiden pfeilschnellen Angreifer in der Spitze häufig die entscheidende Rolle.
In Fischers bevorzugtem 3-4-1-2 System, welches in Ballbesitz häufig auch zu einem 3-3-2-2 System wird, ist alles auf das schnelle Umschaltspiel und die kompakte Defensive ausgelegt. Daher liegen den «Eisernen» besonders Gegner, welche versuchen, das Spiel mit Ballbesitz zu beherrschen, da sich gegen diese häufig die Möglichkeit zum schnellen Umschalten bietet.
Nach dem Verlust von Max Kruse an Wolfsburg rechneten viele mit dem Einbruch von Union. Doch Fischer passte das System an und setzt nun vermehrt auf die offensiven Aussenverteidiger. Diese rücken bei eigenem Ballbesitz stets mit auf, um bei Angriffen für Überzahl im gegnerischen Strafraum zu sorgen. So wurde Union ohne Kruse noch erfolgreicher als mit ihm.
Einen ähnlichen Weg wie Union geht der SC Freiburg. Mit dem Einzug ins Pokalfinale gelang den Breisgauern in diesem Jahr der grösste Erfolg der Vereinsgeschichte. Zudem qualifizierten sich die Breisgauer mit Platz 6 für die Gruppenphase der Europa League. Womit man die beste Platzierung seit dem Wiederaufstieg im Jahr 2016 erreichte.
Trotz zahlreicher Abgänge schafft der SCF es Jahr für Jahr, im Kampf um Europa mitzumischen und wurde so mittlerweile zu einer festen Grösse in Deutschlands Fussball-Oberhaus. Doch was macht der Klub aus Baden anders als die restlichen Teams des Landes?
Der wohl wichtigste Faktor in Freiburg ist die Ruhe und Geduld, die im und um den gesamten Verein herrscht. Anders als beispielsweise bei grossen Traditionsklubs wie Schalke 04, dem Hamburger SV oder dem 1. FC Köln bricht man in Freiburg auch nach ein paar verlorenen Spielen nicht in Panik aus. Die Verantwortlichem um Sportdirektor Klemens Hartenbach (einst selbst Spieler beim SCF) und Sportvorstand Jochen Saier geben der Mannschaft und dem Trainer das nötige Vertrauen, um in Ruhe arbeiten zu können. Bestes Beispiel dafür: Beim Abstieg im Jahr 2015 wurde nicht wie in der Branche üblich kurzentschlossen der Trainer entlassen, sondern man stärkte Christian Streich den Rücken und machte auch in Liga zwei mit ihm weiter.
Im Nachhinein betrachtet die völlig richtige Entscheidung. Denn ohne Streich wären die Freiburger mit Sicherheit nicht da, wo sie heute sind. Es gibt in der Bundesliga wohl keinen anderen Trainer, der es so gut wie Streich versteht, immer wieder neue Spieler in eine funktionierende Achse einzubauen. Er formte aus den Nachwuchsspielern Christian Günter, Matthias Ginter, Oliver Sorg und zuletzt Nico Schlotterbeck Nationalspieler. Seit Jahren muss der Pokalfinalist trotz des sportlichen Erfolgs seine besten Spieler immer wieder an Top-Klubs oder zahlungskräftigere Vereine aus ganz Europa abgeben. Doch egal ob Caglar Söyüncü, Nico Schlotterbeck, Baptiste Santamaria oder Maximilian Phillipp – der SCF schafft es, seine Abgänge auch ohne grosse Transfers zu kompensieren.
Zu den neuen Spielern, welche von Streich ins Team integriert werden, zählen häufig Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Denn der SC verfolgt hier ein besonderes Konzept. Durch Partnerschaften mit Vereinen aus der eigenen Region gelingt es den Breisgauern, jährlich einige Top-Talente in den Profikader aufzunehmen. Als bestes Beispiel kann hier Captain Christian Günter genannt werden. Günter kam 2006 in die Jugendabteilung des Sportclubs und durchlief von dort an sämtliche Jugendmannschaften bis hin zu seinem Bundesliga-Debüt am im Dezember 2012 beim 1:0-Sieg über Greuther Fürth. Heute ist der linke Verteidiger nicht nur Captain der Mannschaft, sondern auch Nationalspieler – und das ohne Wechsel zu einem grösseren Verein.
Denn ein Wechsel zu einem grösseren Klub ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Dies mussten auch Jonathan Schmid und Vincenzo Grifo feststellen: Schmid kam in der Jugend über den Kooperationsklub Offenburger FV zum SC und blühte unter Christian Streich so richtig auf. Als die Freiburger 2015 allerdings abstiegen, zog es ihn zur TSG Hoffenheim, ehe der Franzose 2019 über den Umweg Augsburg wieder zurück nach Freiburg fand. Anders als Schmid kam Grifo nach dem Abstieg erst zum SC und war schon damals mit seinen gefährlichen Standards ein Grund für den Wiederaufstieg. Nach einer Saison Bundesliga mit dem Sportclub wechselte der Italiener zu Borussia Mönchengladbach. Doch auch Grifo kehrte im Winter 2019, damals noch als Leihspieler der TSG Hoffenheim, zurück in den Breisgau und wurde im darauf folgenden Sommer wieder fest verpflichtet.
Mit Matthias Ginter wechselte in diesem Sommer auch der Weltmeister von 2014 wieder zurück in die alte Heimat, und zwar ablösefrei. Damit wurde der Abgang von Nationalspieler Nico Schlotterbeck zu Borussia Dortmund kompensiert. Auch sonst machen Hartenbach und Saier auf dem Transfermarkt keine aussergewöhnlichen Dinge. Die beiden legen ein Auge auf junge, entwicklungsfähige Spieler, welche noch nicht den ganz hohen Marktwert haben. Trotz der häufig hohen Einnahmen gab der Sportclub niemals mehr als zehn Millionen Euro für einen Spieler aus. Rekordtransfer ist bis heute Baptiste Santamaria, dieser wurde schon nach einer Saison gewinnbringend weiterverkauft.
Zudem sichtet der Europa-League-Teilnehmer häufig die nächsten potenziellen Stammspieler in Liga zwei. Mit Lucas Höler, Manuel Gulde und Torhüter Mark Flekken standen beim Pokalfinale drei Spieler in der Startelf, welche zu ihren Zeiten in der 2. Bundesliga bei Abstiegskandidaten unter Vertrag waren. Mit Daniel-Kofi Kyereh vom FC St.Pauli wurde jüngst der nächste Shootingstar aus dem Unterhaus verpflichtet.
Beide Teams, sowohl Union als auch der SCF, profitieren davon, den perfekten Trainer für ihr Konzept zu haben. Die Spieler kommen und gehen, doch die Männer an der Seitenlinie bleiben die gleichen. Sowohl Fischer als auch Streich wissen die jeweiligen Stärken ihrer Mannschaft optimal auszuspielen. Auffällig ist dabei, dass beide Mannschaften eine enorme Torgefahr nach Standardsituationen ausstrahlen.