Für eine Ablöse um die 100 Millionen Euro bekam der ehemalige Ajax-Amsterdam-Trainer Erik ten Hag seinen Wunschspieler Antony kurz vor Ende der Transferfrist doch noch. Wie Antony ging auch Innenverteidiger Lisandro Martínez von Ajax zu Manchester United.
Doch nicht nur die Engländer bedienten sich in diesem Sommer beim niederländischen Spitzenklub. Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui wechselten zum deutschen Rekordmeister Bayern München. Stürmer Sébastien Haller ging in die Bundesliga zu Borussia Dortmund. Linksverteidiger Nicolas Tagliafico folgte ebenfalls dem Ruf eines Ex-Ajax-Coaches und ging nach Lyon zu Peter Bosz. André Onana, welcher einen Grossteil der letzten Saison aufgrund einer Dopingsperre verpasste, wechselte ablösefrei zu Inter Mailand.
Ajax steht dadurch wie bereits 2019 nach den Abgängen von Frenkie de Jong und Matthijs de Ligt vor der Aufgabe, mehrere wichtige Stammspieler ersetzen zu müssen. In den letzten Jahren gelang es den Amsterdamern regelmässig, diese Aufgabe bravourös zu lösen. Doch wie sieht es in dieser Saison aus?
Der 21-jährige Innenverteidiger Jurrien Timber wurde in diesem Sommer schon mit einem Transfer zu Manchester United in Verbindung gebracht. Stattdessen entschied sich der niederländische Nationalspieler für einen Verbleib in Amsterdam und verlängerte seinen Vertrag bis 2025. Timber ist in der Ajax-Defensive gesetzt und kann sowohl Innenverteidiger als auch Rechtsverteidiger spielen.
Ähnlich variabel einsetzbar ist der zwei Jahre jüngere Devyne Rensch. Er durchlief alle Jugendteams der Hauptstädter und kann in der Abwehr alle Positionen ausfüllen. Zudem konnte Rensch in der aktuellen Saison bereits zwei Treffer erzielen und ein Tor vorbereiten. Auch der U21-Nationalspieler der Niederlande steht noch bis 2025 in Amsterdam unter Vertrag.
Ebenfalls zwei Tore und einen Assist konnte Kenneth Taylor in dieser Saison bereits sammeln. Der zentrale Mittelfeldspieler ist beidfüssig und gilt als Standardspezialist.
Der wahrscheinlich grösste Name in dieser Liste dürfte indes Edson Alvarez sein. Am Deadline-Day des Sommertransferfensters kursierten plötzlich Gerüchte um einen Chelsea-Wechsel des Mexikaners. Der 24-Jährige bat die Ajax-Verantwortlichen wohl auch um die Freigabe für den Wechsel in Richtung London. Doch Trainer Alfred Schreuder wollte nicht noch einen weiteren Stammspieler in diesem Sommer abgeben und so muss Alvarez in Amsterdam bleiben, zumindest vorerst.
Für Brian Brobbey kam der Schritt ins Ausland noch zu früh. Im Sommer 2021 wechselte der Nachwuchs-Stürmer aus der zweiten Mannschaft von Ajax zu RB Leipzig. Dort konnte er aber nie richtig Fuss fassen und wurde so kurzerhand im Winter an Ajax zurück verliehen, wo er zu alter Stärke fand. Sodass der niederländische Meister sich dazu entschied, den Mittelstürmer für knapp 16 Millionen Euro fest zu verpflichten. Sollte Brobbey weiter seine Tore schiessen, dürfte sich diese Investition gelohnt haben.
Aber wie schafft es Ajax, Jahr für Jahr neue talentierte Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die Profimannschaft zu integrieren und woher kommen die zahlreichen Talente? Der entscheidende Faktor für den Erfolg des niederländischen Rekordmeisters ist seine Talentschmiede.
Die Ajax-Talentschmiede De Toekomst («die Zukunft») liegt in unmittelbarer Nähe der Johan-Cruyff-Arena. Dadurch sollen die Stars von morgen ihr Ziel immer im Auge behalten. Seit 2009 trainieren auch die Profis auf der Anlage. Dadurch soll eine stärkere Bindung zwischen den Nachwuchsspielern und dem Profi-Kader entstehen. Doch was braucht ein Spieler, um es überhaupt nach De Toekomst zu schaffen?
Bei der Rekrutierung junger Talente gehen die Ajax-Scouts streng nach dem T.I.P.S.-Modell vor. Hier wird besonders auf die folgenden vier Bereiche geachtet: Technik, Intelligenz, Persönlichkeit und Speed (Schnelligkeit). Dieses Modell wurde von Ajax-Legende Johan Cruyff geprägt. Seiner Auffassung nach machen besonders Spielintelligenz und Technik einen guten Fussballer aus.
Der Nachwuchs wird vor allem in der Niederlande selbst gescoutet. Die Scouting-Abteilung von Ajax, welche aus 40 freiwilligen Scouts und 3 bis 4 Festangestellten besteht, beginnt dabei schon früh im Radius von 50 Kilometern um Amsterdam herum, talentierte Fussballer auf Bolzplätzen zu sichten.
Sollte ein junger Spieler dann dem Rekrutierungs-Modell von Ajax entsprechen, erhält dieser die Chance, in einem sechswöchigen Probetraining seine Qualitäten unter Beweis zu stellen. Erst danach fällt die endgültige Entscheidung darüber, ob ein Spieler in die Jugendakademie aufgenommen wird oder nicht.
Seit Ende der 90er-Jahre besitzt Ajax auch einen Partnerverein in Südafrika. In diesem sollen afrikanische Talente nach den in der Amsterdamer Akademie geltenden Prinzipien gefördert werden. Der letzte Spieler, der aus diesem Programm hervorging, war Lassina Traoré. Dieser wechselte 2021 von Ajax zu Schachtar Donezk.
Zudem werfen die Ajax-Scouts gerade in den älteren Jahrgängen auch vermehrt einen Blick in die skandinavischen Länder. So kamen unter anderem Spieler wie Jari Litmanen, Zlatan Ibrahimovic, Christian Eriksen, Markus Rosenberg oder jüngst Mohamed Daramy zum Klub.
In den Nachwuchsmannschaften wird auf Kontinuität gesetzt. Sei es bei der Trainingskleidung, dem Spielsystem oder der Kaderzusammenstellung. Hier wird in allen Altersbereichen von der Jugend bis hin zu den Profis gleich vorgegangen. Jede Mannschaft trägt die gleiche Kleidung zum Training und zum Spiel. Um die Integration in den nächst höheren Jahrgang möglichst einfach zu gestalten, wird überall bevorzugt ein 4-3-3 System gespielt. In Ausnahmefällen – sollte ein Jahrgang auf einer Position mehrere besonders talentierte Spieler zur Verfügung haben – darf das System auch angepasst werden. Denn die individuelle Klasse eines Spielers ist in diesen Fällen wichtiger als die Formation.
Bei aller Nachwuchsarbeit vergisst Ajax jedoch auch nicht, seine Fühler nach europäischen Top-Talenten auszustrecken. Mit Owen Wijndal von AZ Alkmaar und Ahmetcan Kaplan vom türkischen Meister Trabzonspor wurden zwei neue Defensiv-Akteure verpflichtet. Auch die Offensive musste nach den Abgängen von Antony und Haller verstärkt werden. Hierfür wurde Steven Bergwijn von Tottenham zurück in die Eredivisie gelotst und vom FC Porto kam der junge Flügelspieler Francisco Conceicao.
Anders als in den Jahren zuvor stehen in dieser Saison die Nachfolger für die abgewanderten Spieler nicht auf jeder Position direkt im eigenen Kader bereit. Der Verlust von de Ligt und de Jong konnte beispielsweise direkt mit Lisandro Martinez und Ryan Gravenberch aufgefangen werden. Ein Muster-Beispiel für den Rekrutierungsprozess von Ajax. Martinez kam damals für kleines Geld durch das gute Scouting-System nach Amsterdam. Gravenberch wurde über Jahre in der eigenen Jugend ausgebildet und hatte dadurch keine Probleme beim Übergang in den Profibereich.
In dieser Saison sieht die Situation allerdings etwas anders aus. Besonders in der Offensive hat es Ajax mit den Abgängen schwer getroffen. Für Sébastien Haller steht mit Bryan Brobbey noch ein Ersatz parat, welcher in der letzten Saison noch mit dem Ivorer gemeinsam stürmen durfte. Der Verlust von Antony, welcher seines Zeichens selbst Spieler wie Hakim Ziyech und David Neres bei Ajax in Vergessenheit geraten liess, wiegt besonders schwer. Seine Rolle dürfte in Zukunft von Bergwijn oder Conceicao eingenommen werden.
Auf nationaler Ebene dürfte Ajax trotzdem auch in dieser Saison wieder das Mass aller Dinge sein. Ob es allerdings in der schweren Champions-League-Gruppe mit Liverpool, Napoli und den Glasgow Rangers zum Weiterkommen reicht, darf bezweifelt werden. Sollte Ajax jedoch mit dem dritten Platz in der Gruppe der Einzug in die Europa League gelingen, könnte ein Final-Einzug wie 2017 durchaus im Bereich des möglichen liegen. Und wer weiss, vielleicht entwickelt sich daraus wie bereits in der Vergangenheit dann auch wieder ein Team, das in der Königsklasse für Aufsehen sorgen kann.
Lisandro Martínez/Kristensen - Noussair Mazraoui/Haidara - Sébastien Haller/Haaland - Nicolas Tagliafico/Stefan Lainer - Ryan Gravenberch/Schlager - Frenkie de Jong/Keita - Matthijs de Ligt/Upamecano - Jurrien Timber/Sadio Mane - Devyne Rensch/Szobozlai - Kenneth Taylor/Aaronson - Edson Alvarez/Sesko - Brian Brobbey/Adeyemi
...RB muss man nicht mögen, aber die machen schon auch guten Job!