Es ist wohl die grundsätzlichste Grundsatzfrage im aktuellen Fussball: Dreier- oder Viererkette? Murat Yakin, Trainer der Schweizer Nati, setzt mittlerweile konsequent auf eine Dreierkette in der Defensive, nachdem er zumindest zu Beginn seiner Amtszeit fast ausschliesslich auf vier Verteidiger vertraut hatte. Anders sieht das eigentlich bei seinem Kontrahenten im EM-Viertelfinal vom Samstag (18 Uhr) aus. Englands Coach Gareth Southgate stellte letztmals im September 2022 eine Dreierkette auf den Platz.
Doch nun könnte der in der Kritik stehende Trainer von seiner eigentlichen Stammformation mit Viererkette abweichen. Davon berichten englische Medien übereinstimmend. So habe Southgate im Training am Mittwoch erstmals während der Europameisterschaft mit Dreierkette trainieren lassen. Das würde wohl bedeuten, dass der bisherige Rechtsverteidiger Kyle Walker in die Dreierkette rückt, wo er dann neben John Stones und wohl Ezri Konsa spielen würde. Letzterer dürfte den gesperrten Marc Guéhi ersetzen.
Angeblich plane Southgate gegen die Schweiz diesen überraschenden Systemwechsel. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass er die Formation der Nati spiegeln möchte. Gegen die Dreierketten von Dänemark und Slowenien hatte England nämlich grosse Probleme. Ausserdem kam Italien mit seiner Viererkette im Achtelfinal gegen die Schweiz überhaupt nicht zurecht. Trainer Yakin erklärte danach: «Als ich sah, dass sie mit einer Viererkette spielen, wusste ich: Die machen wir kaputt.» Diese Gefahr scheint Southgate nicht eingehen zu wollen.
Und die englische Fachpresse scheint davon überzeugt zu sein. So schreibt Sky-Journalist Joe Shread: «Das Schweizer System zu spiegeln, macht Sinn.» Er fordert deshalb eine 3-4-3-Formation, viele seiner Kollegen stimmen ihm dabei zu. Alternativ zu Konsa könnte auch Joe Gomez in die Startaufstellung rücken. Da Walker Teil der Dreierkette werden dürfte, könnte die rechte Aussenbahn derweil von Kieran Trippier oder Trent Alexander-Arnold, die beide offensiv für Gefahr sorgen können, besetzt werden.
Auf der anderen Seite stünden Bukayo Saka oder Luke Shaw, falls fit, zur Debatte. Saka, der bisher auf dem rechten Flügel zum Einsatz kam, erklärte vor dem Achtelfinal gegen die Slowakei zwar, nicht so gerne auf der linken Seite zu spielen, jedoch scheint er trotzdem die logische Wahl zu sein.
Die Defensive ist jedoch nicht der einzige Diskussionspunkt bei den Engländern. Im Zentrum vertraute Southgate im Achtelfinal auf Kobbie Mainoo neben dem gesetzten Declan Rice. Der 19-jährige Jungstar von Manchester United dürfte erneut den Vorzug vor Conor Gallagher erhalten, da sind sich die englischen Experten einig – davor gehen die Meinungen jedoch weit auseinander.
Soll England erneut auf das Trio aus Jude Bellingham, Phil Foden und Harry Kane setzen? Spielen Foden und Bellingham dabei als hängende Spitzen oder eher auf den Flügeln? Rückt Cole Palmer vielleicht doch in die Startformation? Oder wäre es das beste, gar auf eine Doppelspitze zu bauen, um die Schweizer Defensivreihe mit dem bulligen Ivan Toney neben Kane so stärker unter Druck zu setzen?
Toney brachte nach seiner Einwechslung kurz vor Ende der regulären Spielzeit gegen die Slowakei neuen Schwung und bereitete Kanes Siegtor zum 2:1 in der Verlängerung vor. Kommt er gegen die Schweiz nun erstmals an dieser EM von Beginn an zum Einsatz? Es scheint nicht ausgeschlossen.
Doch stellt sich dann wiederum die Frage, wer für Toney weichen muss. Die wahrscheinlichste Option ist Foden, der bisher alles andere als überzeugen konnte – zumal es in der 3-5-2-Formation nur eine Position für einen offensiven Mittelfeldspieler gibt, die wahrscheinlich von Jude Bellingham besetzt wird. Anders könnte es aussehen, wenn Bellingham für seine obszöne Jubelgeste vom Sonntag doch noch gesperrt würde. Dann würde wohl Foden spielen, wie die «Sun» vermutet. Saka könnte zudem dem defensiveren Shaw weichen müssen, sollte dieser rechtzeitig fit sein.
Stürmer-Legende Alan Shearer glaubt hingegen nicht, dass Southgate grossartig von seinem bisherigen Ansatz abweicht. Dennoch fordert der 53-Jährige bei BBC: «Wir wollen alle, dass er diese talentierten Spieler einfach spielen lässt. Das ist es, was wir brauchen.» Ob Southgate das Flehen der englischen Experten und Medien erhören wird, zeigt sich am frühen Samstagabend – eine Überraschung hat er aber zumindest in der Hinterhand.