Raphael Wicky ist zurück im Schweizer Fussball. Der 75-fache Nationalspieler wird neuer Trainer der Young Boys. Nach vier Meistertiteln in Folge mussten die Berner in der kürzlich beendeten Saison dem FC Zürich den Vortritt lassen. Wickys Hauptaufgabe im Wankdorf: YB zurück zum Meistertitel führen.
Für den 45-jährigen Wicky ist Bern die zweite Station als Trainer in der Super League. In der Saison 2017/18 führte er den FC Basel. Er hatte Erfolge in der Champions League, verpasste aber den Meistertitel, den der FCB zuvor acht Mal in Folge erringen konnte. In der Saison darauf wurde Wicky bereits nach zwei Niederlagen in den ersten zwei Pflichtspielen gefeuert.
Mit einem Dreivierteljahr Abstand äusserte sich Wicky damals in der «NZZ am Sonntag» über die Entlassung beim FCB, über seine generellen Gedanken zum Fussballgeschäft und zum Leben als Trainer. «Ich habe Mühe mit der Schnelllebigkeit», sagte er. Einst habe er sich mit FIFA-Präsident Gianni Infantino darüber unterhalten, ebenfalls Walliser und damals noch Generalsekretär bei der UEFA. «Ich sagte ihm, dass es eigentlich nicht nur für Spieler, sondern auch für Trainer so etwas wie eine Transferfrist geben müsste – dass Trainer bloss in bestimmten Zeitfenstern entlassen werden dürften. Damit Trainer nicht fast willkürlich fortgeschickt werden können.»
Wickys Überlegung: Würde es eine Regelung geben, würden sich die Verantwortlichen bewusster Gedanken darüber machen, wen sie als Trainer verpflichten. Dass es so eine Regelung wohl nie geben werde, sei ihm klar, ergänzte Wicky. «Aber die Schnelllebigkeit muss ein Ende haben. Ich wünsche mir ein bisschen mehr Tiefgang, wenn es um Entscheidungen und Zielsetzungen geht.»
Damals in Basel war für ihn Schluss, weil Präsident Bernhard Burgener und Sportchef Marco Streller die Panik ergriffen hatte. Sie entliessen Wicky nach einem 1:2 gegen St.Gallen in der Meisterschaft und einer 1:2-Niederlage auswärts in der Champions-League-Qualifikation gegen PAOK Saloniki. Jahre später gab Burgener zu, «dass wir den Entscheid zu früh getroffen haben. Wicky hatte seine Sache grossartig gemacht.»
Der einstige Mittelfeldspieler mit 218 Einsätzen in der Bundesliga (Werder Bremen, Hamburger SV) sieht sich nicht als «Feuerwehrmann», sondern als einer für langfristige Projekte. Ein solches war für ihn das Engagement als U17-Nationaltrainer der USA. Es endete dennoch nach neun Monaten vorzeitig, weil Wicky mit guter Arbeit auffiel und von Chicago Fire verpflichtet wurde.
Knapp zwei Jahre lang war er Trainer der erfolglosen MLS-Franchise, der nun Xherdan Shaqiri angehört und die den gleichen Besitzer wie der FC Lugano hat. Zu den USA hat Raphael Wicky eine ganz besondere Beziehung, seit er 2009 in Los Angeles seine Spielerkarriere beendet hat: «Ich mag das Land und die Sportmentalität.» 2018 heiratete er seine amerikanische Freundin Laura.
Auch zu YB hat er einen familiären Bezug: Wickys Mutter ist Bernerin. Scherzhaft bezeichnete er sich deshalb auch schon einmal bloss als «halben Walliser».
Christoph Spycher, der Sportverantwortliche von YB, ist zwar kein Familienmitglied. Aber er spielte während einigen Jahren gemeinsam mit Raphael Wicky im Nationalteam. Die beiden kennen sich also gut und auch Spycher ist keiner, der für Schnellschüsse bekannt ist, sondern der im Gegenteil für Ruhe und Seriosität steht. Es prallen wohl kaum Welten aufeinander, wenn die beiden diskutieren.
Im NZZ-Interview sprach Wicky damals auch über die Möglichkeiten, die sich einem Fussballtrainer bieten. Wer eine Chance erhalte, könne anderswo auf eine zweite hoffen, brauche dort dann aber Erfolg. «Ich glaube, du hast als Trainer zwei Patronen», sagte Wicky. «Wenn du das Ziel mit dem ersten Schuss verfehlst, hast du nochmals eine Chance – und wenn's wieder nicht klappt, wird es schwierig, dass du nochmals eine Chance auf demselbem Niveau bekommst.»
YB ist Wickys zweite Gelegenheit, der Fussballschweiz zu zeigen, was er draufhat. Seine Batterien sind aufgeladen, acht Monate sind seit dem Engagement in Chicago vergangen. Er genoss die Zeit im Wallis bei seiner Familie, nutzte die Auszeit, um den Kopf zu lüften. Nun will er wieder angreifen.