Der Fussball ist süchtig nach Daten. «Jedes Training, jeder Match, eigentlich wird jede körperliche Aktivität aufgezeichnet», sagt Michael Müller, Leistungsdiagnostiker beim FC Basel. Jeder Fussballer generiert so eine Unzahl von Informationen, Rohdaten, Zahlen über Zahlen. YB-Sportchef Christoph Spycher sagt: «Der Spieler wird immer gläserner. Wir haben eine Unzahl technischer Daten. Entscheidend aber ist, dass diese richtig interpretiert werden.» Stichwort: Big Data. Riesige Datenmengen, zu gross, zu komplex, zu chaotisch, um von einem Menschen verarbeitet zu werden.
Die technologische Entwicklung, der Fortschritt der Computerwissenschaften, hat dazu geführt, dass diese Datenmengen von Programmen verarbeitet und für den Menschen nutzbar gemacht werden können. Die digitale Revolution ist dabei, unsere Gesellschaft grundlegend zu verändern – und sie macht auch vor dem Fussball nicht halt. Sie verändert das Spiel und die Klubs teilweise grundlegend.
GPS- und Pulsgeräte gehören heute bei allen Super-League-Klubs zum Alltag. Ja, sie sind sogar bis in den Amateurbereich verbreitet. Darüber hinaus werden beim FC Basel weitere Daten zu jedem Spieler gesammelt: Blutwerte, Gewicht, Körperfettanteil, Schnellkraftwerte, subjektive Empfindungsdaten – und und und.
Ab der Stufe U14 sammelt der FCB Daten von seinen Spielern. Sie sollen den Trainern, Leistungsdiagnostikern, Physiotherapeuten und Sportmedizinern dabei helfen, Entscheide zu fällen, indem diese objektive Informationen heranziehen können und sich nicht bloss auf ihren subjektiven Eindruck verlassen müssen. Um ihre Spieler besser zu machen, ihnen zu helfen, sich zu entwickeln. Und natürlich um Verletzungen zu verhindern oder die Spieler nach einer Verletzung möglichst schnell wieder fit zu kriegen.
Dem Premier-League-Klub Manchester City entstanden in der vergangenen Saison verletzungsbedingte Kosten von mehr als 22 Millionen Franken. Das sind andere Dimensionen als in der Schweiz. Aber auch hier gehen die Kosten aufgrund von Spielerausfällen in die Millionen. Weil sie nicht spielen, aber dennoch Lohn beziehen. Weil der Erfolg ausbleibt, wenn zum Beispiel ein Schlüsselspieler wie Guillaume Hoarau über Monate ausfällt. «Das finanzielle Potenzial im Fussball ist enorm», sagt Martin Jedrusiak-Jung, Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er kennt beide Welten: die Wissenschaft und den Fussball. Er arbeitet nebenamtlich als Co-Trainer der deutschen U17- Nationalmannschaft.
Die Fussball-Millionen treiben die Entwicklung rasend schnell voran. Es wird in verschiedensten Bereichen geforscht. Michael Müller, der Datenguru des FCB, sagt: «In der Entwicklung der Trainingswissenschaft können wir keine Quantensprünge mehr erwarten. Die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Körpers wird auch in 20 Jahren praktisch dieselbe sein, aber die Anwendungsmöglichkeiten der Computer-Software entwickeln sich rasant.» Das hat auch die Wirtschaft erkannt. Zahlreiche Firmen tummeln sich auf diesem Feld, Start-ups schossen aus dem Boden wie Pilze. Die Ziele sind überall und immer gleich: Die Spieler besser machen, die Klubs effizienter.
Einer der weltweit führenden Klubs in diesem Bereich ist die TSG 1899 Hoffenheim. In Zusammenarbeit mit Hauptsponsor und Software-Hersteller SAP haben die Sinsheimer die Digitalisierung des Fussballs massgeblich geprägt. Gemeinsam mit dem Software-Giganten hat der Bundesliga-Verein eine App zur Verbesserung des Vereinsmanagements entwickelt. Das blieb auch in Basel nicht unbemerkt.
Unter der Leitung von Sportkoordinator Roland Heri hat der Verein den Sprung ins digitale Zeitalter längst in Angriff genommen und ist führend in der Schweiz. In Zusammenarbeit mit der Swisscom hat der Serienmeister eine App entwickelt, die das Vereinsmanagement auf ein neues Level hievt. Noch wird sie erst im Nachwuchsbereich eingesetzt, doch schon in den nächsten Wochen soll der Profi-Bereich integriert werden.
Das neue Tool schlug ein wie eine Bombe. Roland Heri erinnert sich: «Im März 2016 starteten wir die Pilotphase. Eigentlich war geplant, dass wir bis zum Sommer testen. Doch schon nach zwei Wochen waren die involvierten Personen so überzeugt davon, dass wir den Test abbrachen und die App seither zum Alltag gehört.»
Was genau aber macht dieses Wunderding? Eigentlich ist es simpel: Alle Spieler-Daten werden zentral gesammelt, auf eigenen Rechnern archiviert. Namen, Adressen, Leistungsdaten, Verletzungsgeschichte – alles an einem Ort. Ein Administratorenteam verwaltet die Daten, entscheidet, wer welche Informationen erhält. So können die Spieler beispielsweise auf ihrem Smartphone sehen, welche Termine sie in den kommenden Tagen haben: Trainings, Physiotherapie, Autogrammstunde. Die Trainer können über die App Videosequenzen zur Spielvorbereitung zur Verfügung stellen. Die Physiotherapeuten und Sportmediziner sehen, wer welche Verletzung hat. Und sie werden von der App gerügt, wenn sie vergessen, eine Behandlung oder eine Diagnose einzutragen. Alles automatisch, alles ohne tippen.
FCB-Trainer Raphael Wicky ist ein ausgewiesener Fan, sagt: «Das ist eine Top-Sache für uns Trainer. Wir haben alle Informationen über unser Team an einem Ort.» Immer aktuell, immer griffbereit. Eigentlich hätte die App ab Sommer auch im Profibereich zum Zug kommen sollen. Doch das hat sich aufgrund des Führungswechsels hinausgezögert.
Heri sagt: «Es ist ja klar, dass sich die neuen Leute zuerst einen Überblick über die IT-Notwendigkeiten verschaffen wollten.» Er rechnet aber damit, dass die App schon in wenigen Wochen auch bei den Profis eingesetzt wird. Die Konkurrenz hinkt hinterher. YB sondiert zwar den Markt, aber ist noch weit davon entfernt, eine eigene App für das Vereinsmanagement zu haben. Basel also hat einmal mehr die Nase vorn. Auch im Daten-Dschungel.