Nach der Heim-EM bleibt die Euphorie: Aber die Zukunft von Sundhage ist ungewiss
98 Tage ist es her, seit sich die Schweizer Nationalspielerinnen in Bern vor der Fankurve aufgereiht haben. Trotz des 0:2 im Viertelfinal gegen Spanien liessen sie sich feiern für eine Heim-EM, die den Frauenfussball verändert hat. Sie haben für einen historischen Erfolg, eine nie vorstellbare Euphorie und Rekord-Fanmärsche mit bis zu 25'000 Fans gesorgt.
Beim ersten Länderspiel seit jenem historischen Turnier wird vieles wieder anders sein. Die Temperaturen sind gesunken, das Sommermärchen ist schon weit weg. In Luzern, wo die Schweiz am Freitagabend Kanada empfängt, hat der Herbst Einzug gehalten. Dennoch dürfte auf der Allmend ein Hauch EM-Stimmung zu spüren sein. Die Arena ist fast ausverkauft –wobei die Stehsektoren nicht geöffnet sind und deshalb nur 12'000 Fans ins Stadion können. Dazu helfen auch die günstigen Preise von rund 25 Franken.
Zuschauerzahlen sind deutlich gestiegen
Mit ihrer mutigen, leidenschaftlichen Spielweise haben die Schweizerinnen die Herzen vieler Fans gewonnen. «Es ist schön, dass auch jetzt viele ins Stadion kommen», sagt Nationaltrainerin Pia Sundhage. «Für uns ist es speziell, wieder vor unseren Fans zu spielen.»
Wie wenig selbstverständlich es ist, dass das Stadion gut gefüllt ist, zeigt ein Blick zurück. Vor zwei Jahren kamen in Luzern nur 4'000 Fans zum Spiel gegen Schweden, im Juni 2024 gegen Aserbaidschan gar nur 2'222. Dass die Zuschauerzahl nun selbst bei einem Testspiel fünfstellig sein dürfte, ist erfreulich. Dazu trägt auch Gegner Kanada bei, der in der Weltrangliste auf dem neunten Rang liegt. Die Schweizerinnen belegen dort den 24. Platz.
Für die Schweizerinnen geht es darum, sich in Form zu spielen für die WM-Qualifikation. Nach dem Abstieg aus der Nations League sind die Vorzeichen schwierig für den Sprung zur WM 2027 in Brasilien. Doch statt diese Testspiele richtig zu nutzen, schwebt in diesem Nati-Herbst eine Frage wie ein Damoklesschwert über allem anderen: Wie geht es weiter mit Nationaltrainerin Pia Sundhage? Sie, die Schwedin, die nach dem EM-Aus von den Fans gefeiert wurde, würde gerne bleiben. Als Bedingung setzt sie, dass ihre Assistentin Lilie Persson und ihr Assistent Anders Johansson fest angestellt werden.
Vom Verband gab es auf diese Forderung bisher noch kein klares Statement. Frauenfussball-Direktorin Marion Daube lässt bisher einzig verlauten, dass im Verlauf des nächsten Monats ein Entscheid getroffen werde. Auch fast 100 Tage nach dem EM-Aus ist das Turnier noch nicht fertig analysiert und unter dem neuen SFV-Präsidenten Peter Knäbel wurde noch keine klare Strategie für den Frauenfussball festgelegt. Dabei geht es auch um die Zeit nach den «Legacy-Projekten», die 2027 enden. Anhand solcher strategischen Fragen entscheidet sich wohl auch die vielleicht wichtigste Personalie: jene der Nationaltrainerin. «Der Zentralvorstand setzt die Strategie für die kommenden Jahre fest. Danach richtet sich auch, in welche Richtung ich mich bewegen kann», sagt Daube gegenüber «SRF».
Der Verband hält Sundhage hin
Dazu kommen finanzielle Zwänge. Noch ist die Frauen-Nati nicht selbstragend. Möglich ist, dass der Verband die Qualifikation der Männer-Nati für die WM 2026 abwarten möchte. Spätestens nach dem Geldsegen für den SFV wäre die Anstellung der Assistenten finanziell keine Hürde.
Doch die Hinhalte-Taktik mit der Schwedin hat nicht nur strategische Gründe. Es verdichten sich die Anzeichen, dass innerhalb des Verbandes nicht alle zufrieden sind mit der Nationaltrainerin, die erst an der EM richtig geliefert hat. Die Vorbereitung auf das Turnier war enttäuschend, was im Abstieg in der Nations League mündete. Auch bei den Spielerinnen soll die 65-Jährige nicht bei allen beliebt sein.
Öffentlich aber weichen die Nati-Spielerinnen zur Personalie der Trainerin aus. «Wir müssen uns auf unsere Leistungen konzentrieren», sagt Alisha Lehmann. «Im Team ist das kein Thema. Ich habe noch kein einziges Gespräch in dieser Woche gehört, in dem es darum gegangen ist. Wir können das ja sowieso nicht entscheiden», sagt Talent Noemi Ivelj.
Zur Ungewissheit sagt Pia Sundhage: «Wir im Trainerteam haben gemischte Gefühle, wenn wir an die Zukunft denken. Doch wir bleiben professionell. Wir haben lange diskutiert, wie wir gegen Kanada spielen möchten und versuchen mit dem Team den nächsten Schritt zu machen.» Wie es mit der Schweizer Nationaltrainerin weitergeht, bleibt ungewiss, doch das Feuer des Sommermärchens soll in Luzern noch einmal aufflammen. (riz/aargauerzeitung.ch)
