Am 1. März 2006 bricht in Glasgow eine neue Zeitrechnung im Schweizer Fussball an. Johan Djourou bestreitet beim 3:1-Sieg der Nati im WM-Test gegen Schottland sein erstes Länderspiel, steht gemeinsam mit Philippe Senderos auf dem Feld. Den beiden jungen Verteidigern, das ist allen klar, gehört die Zukunft. Djourou ist gerade 19 Jahre alt geworden, Senderos ist zwei Jahre älter.
Mehr als ein Jahrzehnt später neigen sich die Karrieren der beiden Abwehrspieler dem Ende zu. Der Blick zurück schmerzt Schweizer Fussballfans. Denn das Nati-Duo Senderos/Djourou konnte die hohen Erwartungen nur selten und schliesslich gar nicht mehr erfüllen.
Senderos und Djourou wachsen beide in Genf auf. Schon als 16-Jähriger debütiert Senderos bei Servette in der Nationalliga A, er wird U17-Europameister und wechselt als 18-Jähriger zu Arsenal. Nach einem Lehrjahr kommt er in London regelmässig zum Einsatz, kurz nach dem 20. Geburtstag debütiert er in der Nati. Senderos ist einer von Europas heissesten jungen Verteidigern.
Djourou wechselt noch früher nach London. Er schliesst sich Arsenal als 16-Jähriger an, der zuvor bei Etoile Carouge ausgebildet wurde. Auch der Sohn eines Schweizers und einer Ivorerin fasst Fuss in der Premier League. Stammverteidiger wird Djourou indes nie – so wie auch Senderos jeweils maximal in der Hälfte aller Meisterschaftsspiele eingesetzt wird. 20 Mal verteidigen die zwei Copains gemeinsam für Arsenal, wobei sie nur vier Mal als Verlierer vom Platz müssen.
In der Schweizer Nati etabliert sich Senderos unter Köbi Kuhn rasch als zweiter Innenverteidiger neben dem routinierten Patrick Müller. Der sechsfache Meister mit Olympique Lyon ist als Abwehrpatron gesetzt, Djourou ist noch zumeist Ersatz. Als Müller nach der EM 2008 abtritt, scheint der Weg frei zu sein für das Nati-Duo der Zukunft: Senderos/Djourou.
Die Realität ist ernüchternd und Stoff für die Macher von Quizfragen. Wie oft stand dieses vermeintliche Fabel-Duo gemeinsam 90 Minuten lang für die Schweiz auf dem Rasen? Nur ganze fünf Mal.
Denn nun endet der Höhenflug des jungen Philippe Senderos. Er ist immer öfter verletzt. Mal plagt ihn der Rücken, dann der Oberschenkel, am schlimmsten ist 2010 ein Achillessehnenriss. Da ist Senderos bereits nicht mehr bei Arsenal, wo er in den Planungen Arsène Wengers keine Rolle mehr spielt. Das Sprachtalent wird eine Saison an Milan ausgeliehen, ein halbes Jahr an Everton und nach der WM 2010 wechselt Senderos zu Fulham. Rückblickend betrachtet ist seine grosse Zeit da mit 25 Jahren bereits vorbei.
Denn die Verletzungshexe schlägt erbarmungslos zu. Senderos' Körper gleicht einer Baustelle, überall hat er Sorgen. Er hat Probleme mit der Hüfte, mit der Leiste, bricht sich den Fuss, es zwickt in den Knien, Oberschenkeln, Waden. Ab 2014 wechselt Senderos nun häufig den Klub. Aber weder in Valencia noch bei Aston Villa oder GC kann er an seine Leistungen früherer Tage anknüpfen. Der Ruhm ist verblasst, der gute Ruf in der Heimat nach dem missglückten Engagement bei den Grasshoppers versaut.
Also geht's im Sommer 2016 zurück auf die Insel. In Schottland besitzen gross gewachsene Innenverteidiger seit jeher den Status von Fussballgöttern, weshalb ihn die in die höchste Liga zurückgekehrten Glasgow Rangers verpflichten. Höchste Zeit, Senderos' Berater zu loben: Wer so einen verletzungsanfälligen Klienten bei derart vielen guten Adressen unterbringt, der ist sein Geld wert.
Vom Spieler selber lässt sich das nicht mehr behaupten. Gleich beim Debüt gehen die Rangers gegen den Erzrivalen Celtic mit 1:5 unter und nicht nur das: Senderos fliegt mit Gelb-Rot vom Platz. Er bringt es bis heute auf bloss vier Einsätze für die Rangers, zuletzt fehlte er – natürlich – wegen einer Verletzung.
🇨🇭 "I can do better" is the message from Philippe Senderos despite featuring in Gers' last two matches: https://t.co/cd0TyXKoQs pic.twitter.com/aZ9T4j1yHe
— Rangers FC (@RangersFC) 16. Februar 2017
328 Pflichtspiele hat Philippe Senderos bis heute bestritten. Das ist viel, entspricht aber doch nur rund 20 Spielen pro Saison. Angesichts des Talents und der grossen Schritte in jungen Jahren eine tiefe Zahl. In der Schweizer Nationalmannschaft spielt Senderos mittlerweile keine Rolle mehr, seine beiden letzten Einsätze hatte er in Testpartien vor der EM 2016. Ob zu seinen 57 Länderspielen noch weitere hinzukommen? Wohl kaum.
Aber Senderos ist nicht der einzige «Schuldige» daran, dass die Natitrainer Köbi Kuhn, Ottmar Hitzfeld und Vladimir Petkovic viel zu selten auf das Duo Senderos/Djourou bauen können. Auch Nebenmann Djourou ist häufig verletzt.
Seine Zeit bei Arsenal endet im Winter 2012/2013, als er an Hannover 96 ausgeliehen wird und im Sommer darauf an den HSV. In Hamburg findet Djourou eine neue Heimat. Und wie in London lernt er auch da viele Ärzte und Physiotherapeuten kennen. Er muss an der Leiste operiert werden, hat häufig Probleme mit Oberschenkeln und Adduktoren.
Dennoch fühlt sich Djourou beim HSV wohl. Der Klub ist populär und trotz miserabler Resultate – zwei Mal hält man erst in der Relegation die Klasse – ist das Stadion meist voll. Als der Schweizer im Sommer 2015 zum Captain ernannt wird, ist das der neue Höhepunkt. Einer, von dem Johan Djourou tief abstürzt. Denn im Herbst 2016 entzieht ihm der neue Trainer Markus Gisdol dieses Amt und im Frühling 2017 setzt er nicht mehr auf ihn. Beim 0:8 gegen Bayern München spielt Djourou letztmals für den HSV, mehr als zwei Monate ist das nun her.
Auch ohne Djourou sind die Hamburger nicht besser. Weil der Bundesliga-Dino drei Spiele vor Schluss nur den Relegations-Platz 16 belegt, beschliesst der Klub gestern, drei Spieler zu suspendieren. Nebst zwei Mitläufern vor allem davon betroffen: Djourou. Trainer Gisdol stösst angeblich sauer auf, dass sein Ex-Captain trotz der schlechten Resultate weiterhin gute Stimmung verbreitet.
Djourous Zeit beim HSV ist damit wohl abgelaufen, Ende Saison läuft sein Vertrag aus. Er ist mittlerweile 30 Jahre alt und hat 66 Länderspiele auf dem Buckel. Djourou absolvierte mehr als 200 Partien in der Premier League und in der Bundesliga, durfte mit Arsenal oft in der Champions League spielen.
Eine verpatzte Karriere ist definitiv etwas anderes. Und wer bei Johan Djourou stets nur auf Abwehrfehler hinweist, der sieht nur Details und nicht das ganze Bild. Aber wie bei Philippe Senderos bleibt der Eindruck haften, dass für ihn noch viel mehr möglich gewesen wäre. Und damit auch für die Schweizer Nati.
(Alle Daten: transfermarkt.ch)