Draussen, in der weiten Welt, ist es gerade garstig für die FIFA und Katar. Etwa zwei Monate noch, dann geht es los mit der Fussball-WM, die so umstritten ist wie keine vor ihr. Es ist schon länger beachtlich, in welchem Takt Kritik und Kontroversen auf den Anlass einprasseln. Jetzt, wo die WM näher rückt, wird er noch höher.
Da waren zuletzt zum Beispiel: Nationalteams, die ankündigen, dass ihre Captains in Katar, wo Homosexualität strafbar ist, per Armbinde für Toleranz werben werden. Da war eine deutsche Talkshow, in der sich Katar-Gegner und Katar-Verteidiger – namentlich Uli Hoeness – medienwirksam fetzten. Da war David Beckham, der sich von Ex-Teamkollege Eric Cantona anhören musste, was für ein Fehler es sei, als Botschafter für diese WM unterwegs zu sein.
Doch an diesem Abend in Bern bleibt das alles vor der Türe - oder genauer: vor den Zeltwänden, die bei der Residenz des katarischen Botschafters aufgebaut sind. Der heisst Mohammed Al Kuwari und hat zu einem Empfang geladen. Der Anlass, natürlich: die WM in Katar.
In diesem Zelt, das sich im Verlauf des Abends in eine Art katarische Kapsel verwandelt, werden Häppchen und Wein gereicht. Darin stehen Modelle aller WM-Stadien hinter Plexiglas und Banner mit ihren Abbildungen. Im Hintergrund funkelt die Skyline der Hauptstadt Doha.
Alles neu und glänzend und in kühnen Linien und geschwungenen Kurven in den Wüstensand gebaut. Um die WM-Infrastruktur aus dem Boden zu stampfen, die Stadien, die Strassen, die Hotels, den neuen Flughafen, sind Hunderttausende Arbeitsmigranten nach Katar gekommen. Berichte darüber, wie es ihnen dabei ergangen ist, machen seit Jahren Schlagzeilen. An diesem Abend aber wird das Wort Arbeiter kein einziges Mal fallen.
Der offizielle Teil beginnt mit einer Moderatorin, die vom Enthusiasmus berichtet, der vor der WM um die Welt gehe. Es folgen ein paar Sätze aus dem FIFA-PR-Handbuch, etwa: Der Fussball bringe Menschen zusammen.
Dann spricht Fatma Samoura. Sie ist so etwas wie der Star des Abends. Die FIFA-Generalsekretärin lobt Katar dafür, als erster Ausrichter der Geschichte schon sechs Monate vor der WM bereit zu sein. Und sie betont, was zuvor schon der katarische Botschafter herausgestrichen hat: Dass die WM erstmals in einem arabischen Land stattfindet, es vieles zu entdecken gebe, die Menschen nach Katar kommen sollen.
Im Publikum stehen Männer in Anzügen und Frauen in schicken Kleidern, es sind Diplomaten darunter, Botschaftspersonal, Leute vom OK in Katar, von der FIFA. Auch Pascal Zuberbühler ist da, der frühere Nationalgoalie, der nun für den Weltfussballverband arbeitet. Eingeladen wäre auch die Schweizer Politik. Doch gekommen ist nur eine Handvoll der 246 National- und Ständerätinnen, vier Vertreter der SVP, darunter Parteipräsident Marco Chiesa – und auch Lars Guggisberg.
Der Berner Nationalrat hält eine kurze, launige Rede. Er hat den Gedanken mitgebracht, dass Fussball mehr sei als ein Sport, eine Sprache, und dass er Türen öffne für Gespräche, den Austausch unterschiedlicher Meinungen. Konkreter wird es nicht. Kein Wort zu den Arbeitern, keines über Menschenrechte.
Reicht das, wenn man als Parlamentarier an einem solchen Anlass auftritt? Guggisberg antwortet, dass er ja auf die Funktion des Fussballs als Türöffner für Diskussionen hingewiesen habe. Wie es den Arbeitern in Katar ergeht, könne er zu wenig beurteilen. Die Kritikpunkte seien aber bekannt.
Als sich der Empfang dem Ende zuneigt, nimmt sich Botschafter Al Kuwari Zeit für ein paar Fragen. Dabei klingt mit, was vorher schon andere katarische Vertreter erwähnten: Dass man findet, die Fortschritte würden zu wenig gewürdigt, gerade im Bereich des Arbeitsrechts.
Tatsächlich ist in Katar einiges passiert. Selbst Gewerkschafter attestieren dem Land, der Vorreiter im arabischen Raum zu sein. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass geregelte Arbeitszeiten und Pausen, Mindestlöhne und die freie Wahl des Arbeitgebers für alle Arbeiter erst nach immensem Druck im katarischen Recht verankert wurden. Bis heute kritisieren NGO zudem, dass es mit der Umsetzung zuweilen hapere.
Und dann ist da die Sache mit den Toten. Dass Hunderte, gar Tausende Arbeiter auf den Baustellen für die WM-Infrastruktur gestorben sein sollen, wie das Medien und NGO berichtet haben, weist Al Kuwari zurück. Er spricht von drei verstorbenen Arbeitern auf Stadionbaustellen und 35 ohne Bezug zur Arbeit. Es ist eine Zahl, die auch FIFA-Präsident Gianni Infantino schon genannt hat und die nur die Arbeiter berücksichtigt, die beim Bau der Stadien involviert waren; nicht aber jene beim Rest der WM-Infrastruktur.
Im Verlauf der Diskussion dreht Al Kuwari den Spiess um. Fragt, warum man sich so auf Katar einschiesse. Sagt, dass Todesfälle bei grossen Bauprojekten vorkämen. Und ob man als Schweizer wisse, wie viele Italiener einst beim Tunnelbau in der Schweiz gestorben sind.