Juventus Turin ist derzeit ein Hornissennest. Dabei geht es nicht um die sportliche Situation des italienischen Rekordmeisters, sondern um finanzielle und insbesondere juristische Probleme. Da immer noch die WM läuft, ging das Juve-Chaos bislang fast etwas unter. Darum hier ein Aufwisch zu allem, was bislang bekannt ist.
Der grosse Knall kam vor einer Woche. Der gesamte Verwaltungsrat von Juventus Turin gab damals seinen sofortigen Rücktritt bekannt. Sowohl Präsident Andrea Agnelli als auch der Vizepräsident und ehemalige Spieler Pavel Nedved waren dabei eingeschlossen. Die Juve-Bosse reagierten so einerseits auf die finanzielle Schieflage des Klubs, andererseits auf laufende Ermittlungen gegen den Klub und ihre Personen.
Buon compleanno, Presidente!
— JuventusFC (@juventusfc) December 5, 2022
Vor rund einem Jahr hat der italienische Fussballverband (FIGC) die Juventus-Finanzen schon einmal unter die Lupe genommen. Damals ging es explizit um die Frage, ob der Klub mit künstlich aufgeblähten Marktwerten die eigene Bilanz bei Transfers geschönt habe. Der Verband sprach Juventus und zehn weitere Klubs, die Teil der Untersuchung waren, im April dieses Jahres aber frei und berief sich dabei unter anderem auf die inoffiziellen Marktwerte auf der Webseite «Transfermarkt».
In der jüngsten Juventus-Saga geht es aber nicht mehr nur um Transfereinnahmen, sondern ganz generell um Bilanzfälschung, Kommunikation falscher Zahlen an die Börse, Marktverfälschung und Verhinderung von Revisionen. Die Ermittlungen werden nicht mehr vom italienischen Fussballverband, sondern von der Turiner Staatsanwaltschaft unter dem Aktennamen «Prisma» geleitet. Es wurden Razzien auf den Juventus-Trainingsgeländen und in den Klubbüros in Turin und Mailand durchgeführt.
Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den finanziellen Ergebnissen des Klubs aus den Jahren 2019, 2020 und 2021. Der Klub hat in diesen Jahren – auch aufgrund der Coronavirus-Pandemie – einen Verlust von 337 Millionen Euro angegeben. Die Ermittler haben in der gleichen Zeitspanne einen Verlust von 542 Millionen Euro festgestellt.
Die Staatsanwaltschaft interessiert sich aber auch für den Lohnverzicht, den die Spieler auf dem Höhepunkt der Pandemie zugestanden. Demnach berichtete Juventus, dass die Spieler auf rund vier Monate ihres Gehalts verzichteten. In Tat und Wahrheit sollen die Spieler aber nur den Verzicht von einem Monatsgehalt zugesichert haben. Die Ermittler interpretieren das als Irreführung der Finanzmärkte.
Zudem soll es rund um den Transfer von Cristiano Ronaldo im Jahr 2018 ein ominöses Dokument geben. In einem abgehörten Gespräch soll zu hören sein, wie Federico Cherubini, einer der Personalchefs von Juventus, und Cesare Gabasio, ein ehemaliges Mitglied der Rechtsabteilung, davon sprachen, wie «die Behörden uns an die Kehlen springen» werden, sofern sie «das geheime Dokument» fänden.
Juventus widerspricht diesen Anschuldigungen und betont, stets im legalen Rahmen operiert zu haben. Der Rücktritt des Gesamtvorstands sei nötig gewesen, weil es im besten Interesse des Klubs sei, sich mit einem neuen Vorstand um diese Angelegenheiten zu kümmern.
Ein gestern enthülltes Dokument zeigt zudem einen Deal zwischen Juventus und Atalanta Bergamo. Dabei verpflichtete sich Atalanta, einen Juventus-Spieler für drei Millionen Euro zu kaufen – als Teil des Verkaufs von Dejan Kulusevski. Welcher Spieler das am Ende war (Simone Muratore, Marktwert 0,3 Mio. Euro), entschied Juventus aber selbst. Mit solchen Deals schaffte es Juventus, nicht gegen die Financial-Fairplay-Regeln zu verstossen.
Juventus, Atalanta, Sassuolo: la serie A distorta dalle plusvalenze è una farsa sportiva https://t.co/0XwzpOb1Kb pic.twitter.com/aNwuf78S45
— Stefano Feltri (@StefanoFeltri) December 5, 2022
Die UEFA hat nach den Enthüllungen der Turiner Staatsanwaltschaft eine eigene Untersuchung gegen Juventus lanciert. Wie der Europäische Fussballverband mitteilt, geht es dabei um mögliche Verstösse gegen das Financial-Fairplay-Reglement (FFP) und Einnahmen aus Spieler-Registrierungsrechten.
UEFA announce Club Financial Control Body First Chamber opens investigation into Juventus. 🚨 #SerieA
— Fabrizio Romano (@FabrizioRomano) December 1, 2022
“CFCB First Chamber has opened a formal investigation into Juventus FC for potential breaches of the Club Licensing and Financial Fair Play regulations”, statement reports. pic.twitter.com/bgNWY8YLAd
Sollten sich die von Juventus vorgelegten Zahlen als Falschangaben erweisen, würde die UEFA-Kammer für Finanzkontrollen entsprechende Disziplinarmassnahmen ergreifen. Der Verband arbeite in dieser Frage mit den nationalen Behörden zusammen.
Nein. Beim «Calciopoli-Skandal», der im Frühling 2006 ans Licht kam, ging es um direkte Spielmanipulation. Der damalige Juventus-Generaldirektor Luciano Moggi bestach Schiedsrichter unter anderem mit Uhren und Autos, um Partien zugunsten der Turiner zu verfälschen.
Bei den aktuellen Ermittlungen geht es ausschliesslich um die Finanzen des Klubs. Um Zahlen, Löhne und Transfers. Die Spiele auf dem Rasen wurden nie direkt beeinflusst.
Es gibt dieses «geheime Dokument», das mit Cristiano Ronaldos Transfer von Real Madrid zu Juventus Turin zusammenhängt und den zurückgetretenen Juve-Verantwortlichen offenbar noch Probleme bereiten könnte.
Der Spieler selbst hat mit allfälligen Finanzen des Klubs natürlich nichts zu tun. Aber es scheint so, als könnte CR7 seinem ehemaligen Arbeitgeber noch zusätzliche Probleme bereiten. Gestern Nachmittag wurde bekannt, dass Ronaldo von den Turinern 19,9 Millionen Euro fordert, die ihm der Klub seinen Angaben zufolge noch schuldet. Der zurückgetretene CEO Maurizio Arrivabene widersprach diese Darstellung jedoch: «Wir haben keine Rückstände mit Cristiano Ronaldo.»
Die «Prisma»-Ermittlungen der Turiner Staatsanwaltschaft sind seit Mitte Oktober abgeschlossen. In einem nächsten Schritt dürfte bei der Justizbehörde das anhängige Strafverfahren anlaufen. Betroffen sind 16 Personen, darunter auch Agnelli und Nedved.
Innerhalb des Klubs wird eine neue Führung zusammengestellt. Maurizio Scanavino soll dabei als neuer Generalsekretär amten. Der Italiener hat zuvor die GEDI-Mediengruppe geleitet, der auch die Zeitungen «La Repubblica» und «La Stampa» angehören. GEDI gehört wie Juventus zum Investment-Unternehmen EXOR, dem auch Automobilhersteller Ferrari angehört und das sich im Besitz der Familie des zurückgetretenen Klubpräsidenten Andrea Agnelli befindet. Als Agnellis Nachfolger hat EXOR Gianluca Ferrero angekündigt, der bis dato das Kaffee-Unternehmen Lavazza geleitet hat. Mitte Dezember möchte Juventus den Rest des neuen Verwaltungsrats vorstellen.
Gianluca Ferrero will be the new chairman of Juventus. pic.twitter.com/rINIhXAIUn
— Juventus News Live (@juvenewslive) November 29, 2022
Sollten die von der Turiner Staatsanwaltschaft gesammelten Beweise standhalten, wird der italienische Fussballverband wohl die nächste Untersuchung gegen Juventus lancieren. Bei einer allfälligen Schuldigsprechung könnten dem Rekordmeister Geldstrafen und Punktabzüge drohen.
Ein noch düstereres Bild zeichnet der italienische Rechtsanwalt Mattia Grassani. Er glaubt, dass der einstige Serienmeister in die Serie B zwangsrelegiert werden könnte, wie das nach dem «Calciopoli-Skandal» der Fall war. Er sagt: «Das sind die schwersten Vorwürfe, denen der Klub in seiner Geschichte je gegenüberstand.»