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WM: Granit Xhaka will seine Kritiker gegen Portugal erneut widerlegen

Switzerland's midfielder Xherdan Shaqiri, center, celebrates after scoring the first goal with Switzerland's midfielder Granit Xhaka, left, and Switzerland's midfielder Djibril Sow, rig ...
Granit Xhaka jubelt mit Shaqiri und Sow über das erste Tor gegen Serbien.Bild: keystone

Gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt – Granit Xhaka will die Kritiker erneut widerlegen

Die Schweiz spielt gegen Portugal im Achtelfinal um ein grosses Stück WM-Geschichte. Im Zentrum dabei: Granit Xhaka. Für eine gute Schweizer Zukunft ist er hauptverantwortlich.
06.12.2022, 05:2906.12.2022, 05:29
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Im internationalen Top-Fussball gibt es keine Verstecke. Zumindest auf dem Rasenviereck nicht. In der Kernzone verschwinden Alibis innerhalb von Sekundenbruchteilen. Manchmal herrschen raue Sitten, das Geschehen wird teilweise in brachialer Weise auf das Wesentliche reduziert. In Schönheit sterben, oder überleben und sich für die nächste Runde qualifizieren.

Alpha-Tiere haben in grossen Momenten Hochkonjunktur. Im Gegensatz zu frühzeitig gescheiterten Fussball-Grössen wie Deutschland und Belgien hat die Schweizer Auswahl einen solchen Charakterkopf zu bieten. Einen Fussballer mit Profil, mit Kanten, mit der Lust, unter Hochdruck richtig Widerstand zu leisten. Granit Xhaka gehört global zur kleinen, feinen Gruppe dieser Spezies. Frühere Weltmeister hätten ihn liebend gerne sofort in ihre eigene Verbands-Auswahl integriert, derweil in der Schweiz wieder einmal über seine nicht keimfreie Aussenwahrnehmung diskutiert wird.

Dabei tut sein Feuer dem Spiel gut, seine Energie rüttelt auf, seine Unberechenbarkeit kann zwar vereinzelt belastend sein, aber eben auch Raum schaffen. Seine Unerschrockenheit färbt ab. Die Mitspieler saugen sein Selbstbewusstsein auf. Und sie profitieren davon, wenn sich der Fokus auf den Star verlagert. Von ihnen fällt automatisch Ballast ab. Im Windschatten grosser Figuren ist der Energieverlust in der Regel eher kleiner. Xhaka ist der Orientierungspunkt. Manchmal vielleicht unbewusst, meistens sehr gewollt.

Switzerland's midfielder Granit Xhaka reacts during the FIFA World Cup Qatar 2022 group G soccer match between Brazil and Switzerland at the Stadium 974, in Doha, Qatar, Monday, November 28, 2022 ...
An ihm orientieren sich die Mitspieler: Captain Granit Xhaka.Bild: keystone

Seit Jahren streckt der Captain seinen Kopf aus dem Verbund heraus. Er geht Konflikten nicht aus dem Weg. Er lechzt nach Verantwortung, er will partout führen und nicht wie ein Diplomat hofieren. Er ballt die Faust nicht erst in der Interview-Zone, sondern schon auf dem Hauptschauplatz. Unstimmigkeiten will er sofort beseitigen. «Ich bin kein Schauspieler!» Für ihn sind diese Worte ein Ausruf, ein Credo, eine Lebensmaxime. Pur, authentisch, grob, ehrlich. Xhaka kann aufbrausen, austeilen, richtig wehtun, unerbittlich sein.

Widerstand in London

Aber er ist ein Teamplayer, der dem Erfolg im Bedarfsfall alles unterordnet – oder sich fürs Kollektiv auflehnt, ohne die Konsequenzen und Kosten zu fürchten. Als der frühere Generalsekretär Alex Miescher direkt nach dem WM-Out 2018 via NZZ eine Doppelbürger-Debatte anzettelte, setzte der Spieler Xhaka gegen den damals einflussreichsten Verbands-Funktionär in einem Keystone-SDA-Interview zum Frontalangriff an: «Ich denke, Alex hat seine Steinzeit-Kommentare, die auf die Schweizer Doppelbürger zielten, sicherlich hinterfragt.»

Auch in London wagte er ohne Wimpernzucken das Unvorstellbare: Xhaka legte sich mit dem Anhang von Arsenal an. Die Verschmähungen und Beschimpfungen perlten nicht an ihm ab. Er machte den Hass in den Stadien zum Thema. Kein PR-Berater hält ihn in solchen Situationen davon ab, den üblichen Pfad zu verlassen. Miescher ist längst Geschichte, die Fehde mit den Fans der Gunners ebenfalls, ohne dass sich Xhaka hätte verbiegen müssen.

«Sein Arbeitsethos, wie er die Leute behandelt, seine Professionalität – das alles ist unglaublich.»
Arsenal-Coach Mikel Arteta über Xhaka

Er ist kein angezählter Leader ohne Bodenhaftung – im Gegenteil: Er geht aufrechter denn je durchs Leben, ist greifbar, versteckt sich nicht hinter getönten Scheiben. In der Premier League haben die Meinungsmacher inzwischen Xhakas Qualität auf und neben dem Rasen in den Fokus gerückt. Er wird als Unterschiedsspieler gesehen, sein wallendes Blut wird nicht (mehr) primär als Problem betrachtet. Coach Mikel Arteta wiederholt seine Huldigung immer wieder: «Sein Arbeitsethos, wie er die Leute behandelt, seine Liebe für den Klub, seine Professionalität – das alles ist unglaublich.»

Mandatory Credit: Photo by GEORGE TEWKESBURY/PPAUK/Shutterstock 13086868x Granit Xhaka of Arsenal celebrates after scoring his side s third goal during the Premier League Match between Arsenal and Lei ...
Xhaka hat sich zurück in die Herzen der Londoner Fans gespielt.Bild: www.imago-images.de

Lernprozess in Gladbach

Reibung und Auflehnung, Standhaftigkeit, Loyalität. Immer wieder hat Xhaka im Laufe seiner Karriere Widerstände und Stürme ausgehalten. Im ersten Bundesliga-Jahr setzte ihn Lucien Favre während rund fünf Monaten auf die Ersatzbank. Die sportlich bedingte Degradierung löste beim damaligen Talent keinen Kollaps aus. Sie entfachte Zorn, der damals 20-Jährige tauchte nicht ab, sondern erst richtig auf. Favre sah, wie der junge und impulsive Xhaka mit Zusatzschichten seine physischen Defizite abarbeitete. Xhaka verliess den Verein 2016 als Captain.

Noch heute trauern sie in Gladbach ihrem «Mentalitätsmonster» nach. Und wie sehr er seine Nebenspieler besser macht, wie markant das Nationalteam unter dem Einfluss Xhakas Grenzen verschoben hat, widerspiegelt sich in grossen Spielen. Das Jahrhundertspiel gegen Frankreich in der letzten EM-Knock-out-Runde ist ganz eng mit der Persönlichkeit Xhakas verbunden. Wenn er umzingelt wird, wenn Gefahr im Anzug ist, wenn die Emotionen Teil der Geschichte werden, dann blüht Xhaka auf. Dann führt und gewinnt er.

Noch einmal zum geniessen: Xhakas Vorlage beim 3:3-Ausgleich gegen Frankreich (ab Minute 6:11).Video: YouTube/SRF Sport

Spiel des Lebens gegen Portugal

Im Achtelfinal-Duell mit Portugal benötigen Xhaka und Co. den nächsten Energieschub. Dann werden sich die Debatten verflüchtigen. Dann dürften auch jene medialen Beobachter, die Xhakas Captain-Würde anzweifeln und ihm bei jeder Gelegenheit vorwurfsvoll eine Vorbildfunktions-Etikette um den Hals hängen, wieder die Applaus-Taste betätigen. Im engsten Kreis hat Xhaka die Einschätzungen verfolgt und sich vorgenommen, im WM-Achtelfinal ein weiteres Spiel seines Lebens zu zeigen und erneut alle Kritiker zu widerlegen. (nih/sda)

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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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rodolofo
06.12.2022 06:45registriert Februar 2016
An alle Journis, die sich immer "wie Fliegen auf Kuhfladen" stürzen und an alle Kommentiersüchtigen in den Asozialen Medien:
Lasst Xhaka endlich mal in Ruhe seinen Job machen!
Ob es Euch passt, oder nicht, weder serbische Ultras, noch Pharma-Gläubige, noch wohlstandsverwöhnte Dauer-Nörgler und elitäre Nasenrümpfer werden ihn von dem abbringen, was er selber für richtig und zur jeweiligen Situation passend hält!
Xhaka lebt genau das, was uns ein deutscher Schriftsteller mit seinem Willhelm Tell-Mythos gelehrt hat:
Verbiege Dich niemals und vor niemandem!
(Und übe den Apfel-Schuss!)
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En Espresso bitte
06.12.2022 09:01registriert Januar 2019
Ist halt schon Schweiz pur. Da fehlt der Nati jahrelang ein richtiger Leader und in den letzten fünf Jahren, in denen man mit Xhaka endlich einen hat, ist's vielen auch wieder nicht recht. Er wird als einer der ganz Grossen in die Geschichte der Nati eingehen.
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Zamorano1
06.12.2022 08:24registriert Oktober 2021
Hopp Schwiiz
Schön wie man spürt, dass Xhaka endlich vom Grossteil der Schweizer Bevölkerung akzeptiert wird. Ich habe ihn schon immer bewundert, wie er unbeirrt seinen Weg geht. Er liess sich nie von Stimmungsmache gegen ihn, sei es in England oder der Schweiz, von seinem Weg abbringen. Xhaka ist eine Schweizer Persönlichkeit mit Ecken und Kanten. Das ist gut so!
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