Diego Armando Maradona – ein Name, der das Herz jedes Neapolitaners höher schlagen lässt. In der Stadt im Süden von Italien wird er wie ein Gott verehrt, oder besser gesagt: Für die Fans vom SSC Neapel ist der Argentinier ein Gott – «D10s». Eine Kombination aus Maradonas Rückennummer, die in Neapel nicht mehr vergeben wird, und der spanischen Übersetzung von Gott.
Als Diego Maradona im letzten November starb, trauerten der Klub und seine Fans um ihren Helden. Die Spielstätte wurde zu seinen Ehren in «Stadio Diego Armando Maradona» umbenannt. Aufgrund der Corona-Pandemie durften die Fans nicht in die Arena – deshalb errichteten sie eine Gedenkstätte aus Fahnen, Schals und anderen Erinnerungen an den Verstorbenen. Ein Spieler des zweifachen italienischen Meisters gesellte sich zu den Anhängern, um Blumen abzulegen. «Maradona hat uns immer im Herzen getragen. Nun ist es Zeit, ihn in unseren zu tragen. Es ist ein trauriger Tag für uns Neapolitaner.»
Bei diesem Spieler handelte es sich um Lorenzo Insigne – oder «Maradonino» (kleiner Maradona), wie er von einigen Fans genannt wird. Der Italiener ist in Neapel geboren und aufgewachsen. Mit 15 Jahren kam er zu seinem Herzensverein. Heute ist Insigne der neue Publikumsliebling der Anhänger des Klubs aus Süditalien. Er erinnert aber nicht nur aufgrund seiner Klubzugehörigkeit an «D10s» – wie der Weltmeister von 1986 begeistert auch der italienische Nationalspieler mit seiner Schnelligkeit und dem Können am Ball. Zudem ist er mit einer Grösse von 1,63 Metern nur geringfügig kleiner als die argentinische Legende.
Für den zweifachen EM-Torschützen ist Maradona heute der beste Fussballer aller Zeiten. Dabei verehrte er früher einen Akteur des ewigen Rivalen der Argentinier: Lorenzo Insigne war ein grosser Fan von Ronaldo.
Dies schreibt der kleine Flügelflitzer in einem Beitrag bei «The Players' Tribune». Als er begann, Fussball zu spielen, wollte der damals 8-Jährige unbedingt die Schuhe vom brasilianischen Stürmer. Sein Vater wollte ihm eigentlich schwarze Schuhe kaufen, wie Maradona sie trug, doch der kleine Lorenzo gab keine Ruhe – bis er die Fussballschuhe in seinen Händen hielt.
Mit dem richtigen Material an den Füssen war es jedoch lange nicht getan. Insigne bekam aufgrund seiner Grösse kaum eine Chance. «Ich war ein Winzling», sagt der Italiener im Rückblick. Fast habe er aufgegeben. Der Traum, Profifussballer zu werden, rückte in weite Ferne. Doch er wusste nicht, womit er sonst sein Geld verdienen sollte – also machte er weiter. Erst mit 15 Jahren bekam er noch eine Chance auf ein Probetraining beim SSC Neapel. Dort wusste er den Scout zu überzeugen und so schaffte er es in die Jugendakademie des Vereins, den er und seine Familie so liebten.
Die Tickets für die Spiele ihres Lieblingsklubs konnte sich Familie Insigne aber sehr selten leisten, weshalb er immer darum bettelte, Balljunge sein zu dürfen. «Wenn ich nur ein Spiel in diesem Stadion im Trikot von Neapel bestreiten dürfte, könnte ich glücklich sterben», dachte sich Lorenzo Insigne. Elf Jahre nach seinem Debüt in der A-Mannschaft von Neapel hat er bereits 270 Einsätze auf dem Buckel. Wie Maradona konnte er wieder Titel nach Kampanien bringen, zweimal gewann er mit dem Klub den Pokal. Nur der Meistertitel blieb dem 30-Jährigen bisher verwehrt, obwohl Neapel 2018 nur knapp daran vorbeischrammte.
Was ihn in der fast Millionen-Stadt so beliebt macht: Anders als andere Stars wie Edinson Cavani, Gonzalo Higuain und Ezquiel Lavezzi, folgte er nicht dem Ruf des Geldes, sondern blieb seinem Heimatklub treu. Um den Status des unantastbaren Stammspielers zu erreichen, musste er aber kämpfen. Dreimal wurde er zum Beginn seiner Karriere ausgeliehen, bei Pescara, wo er gemeinsam mit den heutigen Nationalmannschaftskollegen Ciro Immobile und Marco Verratti spielte, folgte der Durchbruch. 19 Tore erzielte er in einer Saison – noch nicht genug für den damaligen Neapel-Trainer Walter Mazzarri. Insigne müsse sich den Platz im Kader erobern. Der Italiener nahm die Herausforderung an: «Seit ich mich erinnern kann, bekam ich nie etwas umsonst.»
Diesen Worten liess der 66-fache Torschütze Taten folgen. Einen Stammplatz hat Insigne nicht nur bei Neapel, sondern auch in der italienischen Nationalmannschaft. An der EM begeistert er die Massen – dabei trägt er anders als bei Neapel die Nummer 10. Beim Finalisten der Europameisterschaft gehört «der Messi vom Vesuv» zu den besten Spielern und mit zwei tollen Toren sorgte er auch schon für Highlights. Im Viertelfinal gegen Belgien wurde er zum «Star of the Match» gekürt.
Lorenzo Insigne was on something else for #ITA tonight 🔥#EURO2020 @Lor_Insigne pic.twitter.com/2QK5HDYsJ0
— Goal (@goal) July 2, 2021
Dadurch hat Insigne das Interesse von einigen europäischen Topklubs wie dem FC Barcelona geweckt. Hintergrund sind die stockenden Verhandlungen mit Neapel um eine Verlängerung des nächsten Jahr auslaufenden Vertrags. Klub-Boss Aurelio De Laurentiis wolle unbedingt verhindern, die Vereinsikone ablösefrei zu verlieren. Doch nach der EM sollen Insigne und Neapel erneut über ein neues Arbeitspapier verhandeln wollen.
Eine Vertragsverlängerung wäre nur logisch – Lorenzo Insigne und der SSC Neapel passen perfekt zusammen. So sagt der gebürtige Neapolitaner auch: «Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich in Neapel spiele. Hier hat der beste Spieler aller Zeiten gespielt – Diego Armando Maradona.» Mittlerweile ist sein grösster Held der Argentinier, wie es sich für einen Sohn Neapels gehört. Ronaldo sei ein Genie gewesen, «doch ich bin Neapolitaner und für uns gibt es nur einen König – sein Name ist Diego.»
Schafft Insigne es am Sonntagabend, mit Italien den Europameistertitel zu gewinnen, gäbe es in Neapel vielleicht auch bald einen Prinzen. Dessen Name wäre Lorenzo.
Neapel ist in Kampanien!