Die Ausgangslage vor dem Champions-League-Gruppenspiel zwischen Manchester United und Bayern München war klar: für die Red Devils reichte nur ein Sieg, um die Hoffnung auf das europäische Überwintern zu wahren. Bei einem Unentschieden zwischen Galatasaray und Kopenhagen hätte sich United gar noch aus eigener Kraft auf den zweiten Platz hieven und für den Achtelfinal qualifizieren können.
Eine Ausgangslage, in der der 20-fache englische Meister trotz Krise alles in die Waagschale werfen und für einen Moment aus dem Dornröschenschlaf erwachen würde, könnte man meinen. Aber vom krisengeplagten Champions-League-Dauergast kam ... nichts. Der Fussballexperte Marcel Reif hatte im Studio von «Blue» nach dem Spiel deutliche Worte für den Auftritt der «Red Devils»: «Es war nicht einmal schlecht, es war einfach nichts».
Aus dem Old Trafford, dem «Theatre of Dreams», wurde am gestrigen Abend das «Theatre of Nightmares». Manchester United hatte den Münchnern, die wahrlich nicht ihren besten Fussball zeigten, wenig entgegenzusetzen. Bayern hätte, so Reif, gar nicht anders gekonnt, als zu gewinnen. In einem Spiel, in dem es für Manchester um alles oder nichts ging, rang sich das Team gerade mal zu vier Schüssen durch, davon nur einer aufs Tor.
Manchester Uniteds Champions-League-Kampagne schien von Anfang an unter einem schlechten Stern zu stehen. Da waren Onanas Patzer in München und in Istanbul, Casemiros rote Karte, die verspielten Führungen, Marcus Rashford, der in Kopenhagen nach einem umstrittenen Entscheid vom Platz flog. Zuweilen hatten die Red Devils einfach Pech, aber, wie Mladen Petric nach dem Spiel feststellte, ist man als Team auch für sein Pech verantwortlich.
Nüchtern betrachtet, so die englische Zeitung «Daily Mail», fehle es Manchester United momentan einfach an Klasse: «Sie sind nicht gut genug, um sich mit Bayern München, Manchester City, Real Madrid, Inter Mailand oder einer anderen Mannschaft zu messen, die im Achtelfinale der Champions League steht», so das Verdikt. United wirke wie eine Mannschaft auf dem absteigenden Ast, die sich immer weiter von der europäischen Elite entfernt.
Nichts passt bei den Red Devils zusammen, urteilt der «Guardian». Die Mannschaft sei ein «wirres Konstrukt», «eine völlig willkürliche Zusammenstellung von Spielern, die zu verschiedenen Zeiten von Ten Hag, José Mourinho, Ole Gunnar Solskjær und Alex Ferguson verpflichtet wurden».
Der englische TNT-Sports-Experte Paul Scholes geht mit den Spielern hart ins Gericht: «Antony und Garnacho: Unkreativ und egoistisch. Rashford: In einem Formtief.» «Man muss mutig sein, man muss den Mut haben, den Ball auch mal anzunehmen, man muss bereit sein zu kämpfen und die Ärmel hochzukrempeln», resümierte Rio Ferdinand, ebenfalls Experte bei TNT. Das, was Manchester United momentan zeigt, bezeichnete er als «Basketball-Fussball»: «Ihr greift an, wir greifen an und schauen, wer am Ende die Nase vorn hat».
Dass Ferdinand mit seiner Aussage nicht Unrecht hat, zeigt das Torverhältnis der Red Devils: In der aktuellen Champions-League-Saison kassierte das Team 15 Tore – noch nie in der Geschichte des Wettbewerbs musste ein englisches Team in der Gruppenphase mehr Gegentore einstecken. Gleichzeitig produzierte die Offensive zwölf Treffer – gleich viele wie Bayern München.
Im Old Trafford herrschte am gestrigen Champions-League-Abend, der auch ein denkwürdiger hätte werden können, eine gespenstische Stille, die nur von den mitgereisten Bayern-Fans durchbrochen wurde. «Ihr seid scheisse und ihr wisst es», sangen die deutschen Fans und brachten die Krise in Manchester damit auf den Punkt. Der Klub, die Spieler, die Fans, alle scheinen sie ratlos angesichts der Baisse, von der sie nicht nur in der Champions League, sondern auch in der Liga heimgesucht werden.
Bayern Munich supporters give a frank assessment of Manchester United at Old Trafford... #MUFC | #UCL
— The Athletic | Football (@TheAthleticFC) December 12, 2023
📼 @lauriewhitwell pic.twitter.com/kY0kjPU4M8
Und plötzlich ertönte der englische Fussball-Song «Football's Coming Home» von der Tribüne des Olf Trafford. Ein Lebenszeichen der United Fans, die dem Trauerspiel auf dem Feld trotzen? Nein, es waren die Bayern-Fans, die keine Gelegenheit ausliessen, um den englischen Klub mit dem höchsten Zuschauerschnitt daran zu erinnern, dass er momentan nicht mit den besten Teams der Welt mithalten kann.
@tntsports 🗣 “Football’s coming home!” The Bayern Munich fans adopt a famous English anthem at Old Trafford 🎶 #bayern #bayernmunich #manutd #mufc #ucl #championsleague ♬ original sound - TNT Sports
In einem Punkt herrschte zwischen den beiden Fanlagern jedoch Einigkeit. Mit Bannern protestierten die Bayern-Fans gegen die Glazer-Familie und Scheich Mansour bin Zayed Al Nahya, die Mehrheitseigentümer von Manchester United bzw. Manchester City. Auch bei den Fans von Manchester United sorgen die Besitzer aus den USA seit Jahren für Unmut.
“Glazers, Sheikh Mansour, all autocrats out! Football belongs to the people.”
— ESPN FC (@ESPNFC) April 11, 2023
Bayern Munich fans displayed this banner during their Champions League clash against Manchester City at the Etihad. pic.twitter.com/fsAaGJ4buM
«Thirty years of hurt never stopped me dreaming» – dreissig Jahre des Schmerzes haben mich nicht vom Träumen abgehalten, heisst es in einer Zeile von «Football's Coming Home». Die United-Fans werden hoffen, dass die Leidenszeit der «Red Devils» weniger lange dauert.