Da hat sogar Jürgen Klopp Mitleid. Als der Liverpool-Trainer das Resultat des EFL-Cup-Spiels zwischen Manchester United und Newcastle mitgeteilt kriegt, verzieht er das Gesicht, als würde er gerade Zeuge eines kleineren Auto-Unfalls werden. 0:3 unterlagen die «Red Devils» im Achtelfinal.
Für deren Fans dürfte sich die Geste von Klopp wie eine weitere Demütigung angefühlt haben. Dass der Trainer vom Erzrivalen bekümmert auf das Team schaut, ist nicht unbedingt das, was sich der Anhang von Manchester United erhofft. Doch auf Augenhöhe begegnen sich der englische Rekordmeister (20 Titel) und der erste Verfolger Liverpool (19 Titel) in dieser Saison nicht. Zu viel läuft in Manchester derzeit schief.
Jürgen Klopp’s reaction to the Man Utd score 😬 pic.twitter.com/ps5pEdwR0R
— B/R Football (@brfootball) November 1, 2023
Zuletzt beschwerten sich die Spieler gar über ihre Kleidung. So sollen die Stulpen aufgrund des aufgestickten Teufels für viele Profis zu eng sein, wie englische Medien berichten. Deshalb laufen die Spieler des Tabellen-Achten vorerst ohne das Klub-Maskottchen auf ihren Stulpen auf. Und auch der neue Goalie André Onana hat Probleme mit seiner Ausrüstung. Demnach bevorzuge er – anders als die Torhüter der letzten Saison – losere Trikots, die derzeit aber nicht verfügbar sind. Deshalb läuft er in einer Replika-Version, wie sie auch im Fanshop erhältlich ist, auf.
Wären dies die einzigen Probleme bei Manchester United, könnte der Klub sehr zufrieden sein. Doch das sind sie bei Weitem nicht: In der Liga ist Manchester United nach dem 3. Platz in der Vorsaison auf Platz 8 abgerutscht, im EFL Cup ist nach der Pleite gegen Newcastle im Achtelfinal Schluss und in der Champions League muss es ums Weiterkommen fürchten – in einer Gruppe mit Galatasaray Istanbul und dem FC Kopenhagen.
Einer der Gründe für den Absturz ist die deutlich verschlechterte Defensive. In der letzten Saison stellte Manchester United noch die drittbeste Verteidigung der Premier League. Schon bei den zugelassenen Chancen war das Team von Trainer Erik ten Hag ein Topteam. Lisandro Martinez und Raphaël Varane bildeten ein sicheres Innenverteidiger-Duo und wenn sie verletzt waren, wurden sie von Victor Lindelöf und Harry Maguire stark ersetzt. Doch in dieser Saison ist alles anders.
Nach zehn Spielen haben die «Red Devils» bereits 16 Tore kassiert, weder Martinez noch Varane kommen an ihre Form aus der Vorsaison heran. Aufs Tor von André Onana kommen pro Spiel 1,66 Schüsse mehr als im letzten Jahr, die im Vergleich zu der letzten Saison für fast ein halbes Gegentor pro Spiel mehr sorgen. Daran konnte auch Onana, der im Sommer für eine Ablösesumme von rund 50 Millionen Euro aus Inter Mailand kam, nichts ändern.
Der Kameruner wirkt in vielen Situationen noch unsicher und machte auch schon den ein oder anderen Fehler, wie in der Champions League bei der 3:4-Niederlage gegen Bayern. Dennoch konnte der 27-Jährige gemäss dem «Expected-Goals-Wert» (xG) zumindest mehr Gegentore verhindern als sein Vorgänger David de Gea.
Doch nicht nur in der Defensive sieht es in der zweiten Saison unter dem niederländischen Trainer düster aus. Zwar schoss Manchester United schon im letzten Jahr nur 56 Tore und damit die siebtmeisten im englischen Oberhaus, doch sind es in dieser Saison noch weniger. Elf Tore in zehn Spielen sind gleichbedeutend mit Platz 12 in dieser Kategorie.
Es hapert aber nicht erst im Abschluss – die Chancenverwertung war schon in der letzten Saison ein Problem –, sondern gerade im Herausspielen von Torchancen. Fast einen Torschuss pro Spiel gibt die United-Offensive weniger ab als in der Vorsaison. Dies liegt aber auch an der mangelnden Präzision. Fanden im letzten Jahr noch knapp 35 Prozent der abgegebenen Schüsse ihren Weg aufs Tor, sind es nun nur noch 30 Prozent.
Einer der Hauptgründe für den Rückgang an Toren ist Marcus Rashford. In der letzten Saison schien er mit 30 Toren und elf Assists in wettbewerbsübergreifend 56 Spielen seinen endgültigen Durchbruch zu feiern. Die Zahlen beeindrucken umso mehr, als dass er vorwiegend auf dem linken Flügel eingesetzt wurde und nicht im Sturm. Doch wie viele andere im Team kann auch der 26-Jährige nicht an seine Leistungen von vor der Sommerpause anknüpfen.
Schoss er in der vergangenen Premier-League-Saison in 35 Spielen 17 Tore, steht er nach zehn Runden erst bei je einem Tor und Assist. Der statistische Absturz ist vor allem auch mit mangelnder Präzision zu erklären. Bei etwas mehr abgegebenen Schüssen schiesst Rashford nur noch halb so oft aufs Tor. Dabei ist der englische Nationalspieler noch umtriebiger als in der Vorsaison, gerade im Passspiel ist er nun noch stärker eingebunden. Damit steht das Eigengewächs auch sinnbildlich für seinen Klub: Zwar probiert er viel, gelingen tut ihm derzeit aber nur wenig.
Zu seinem Schutz muss aber auch gesagt werden, dass ihn die für die Offensive getätigten Transfers bisher nicht entlasten konnten. Rasmus Höjlund liess sein Talent zwar bereits aufblitzen, doch waren drei Tore in zwölf Spielen nicht das, was sich ten Hag und Co. vom dänischen Stürmer, der für 75 Millionen Euro aus Bergamo geholt wurde, erhofft haben. Und auch 64-Millionen-Mann Mason Mount konnte sich bisher nicht entscheidend in der Offensive einbringen, was aber auch damit zu tun hat, dass er verletzungsbedingt erst zu wenigen Einsätzen kam.
Nach der 0:2-Niederlage im Manchester-Derby erlaubte sich Rashford dann angeblich einen Fauxpas. So soll der Offensivstar noch wenige Stunden vor dem Montagstraining in einem Club gefeiert haben.
In der aktuellen Krise greifen natürlich auch die gewohnten Mechanismen: Galt der Trainer während der letzten Saison noch als Heilsbringer, fordern nun viele seine Entlassung. Noch gebe es keinen Kontakt mit möglichen Nachfolgern, doch könnte sich das bei weiteren Niederlagen schnell ändern. United-Legende Gary Neville äusserte sich nach dem 0:3 gegen Newcastle deutlich zu der aktuellen Situation: «Wir sahen einen Trainer, der grosse Probleme hat. Wir haben es schon einmal gesehen, wir wissen, wie es endet und wir haben genug.»
Damit dies nicht der Fall sein wird, will Trainer Erik ten Hag mit jedem seiner Spieler Einzelgespräche führen, wie «The Sun» berichtet. Dadurch will der Niederländer herausfinden, welche Probleme zwischen den Profis und ihm, sowie den Mitspielern und dem Training bestehen. So sollen noch vor dem Auswärtsspiel gegen Fulham vom Samstag Lösungen gefunden werden. Ten Hag gibt sich dennoch optimistisch: «Ich bin ein Kämpfer und ich bin zuversichtlich.» Für die schlechte Verfassung seines Teams, übernimmt er die volle Verantwortung, aber: «Ich sehe es als Herausforderung. Jetzt müssen ich und meine Spieler zusammenstehen und gemeinsam kämpfen.»
Im «Theatre of Dreams» aufzulaufen, wurde für Jadon Sancho schnell zum Albtraum. Im Sommer 2021 wechselte der Flügelspieler als Hoffnungsträger nach Manchester, konnte sich dort aber nie endgültig durchsetzen. Sein Marktwert sank im Vergleich zu seiner Zeit in Dortmund um fast 100 Millionen Euro auf noch 32 Millionen. Als er auch in dieser Saison nur als Ergänzungsspieler fungierte und ten Hag Sanchos Trainingsleistung öffentlich kritisierte, machte der 23-Jährige seinem Unmut auf X (vormals Twitter) in einem mittlerweile gelöschten Post Luft.
«Ich werde es nicht erlauben, dass Menschen Dinge über mich sagen, die komplett unwahr sind. Ich habe mich diese Woche im Training sehr gut verhalten», postete er dort. Zudem beschuldigte er ten Hag, ihn zum Sündenbock zu machen. Seither stand Sancho nicht mehr im Kader. Zudem soll er aus der Kantine der Profis ausgeschlossen sein, sein Essen werde ihm in einer Box auf das Trainingsgelände geliefert. Ex-United-Spieler Louis Saha kritisierte den Trainer dafür: «Es sieht nach Rache aus, als ob er dem Spieler zeigen will, wer der Stärkere ist.»
Ein Abgang scheint derzeit unumgänglich, neben Interesse von unter anderem Juventus Turin wurde immer wieder von einer möglichen Rückkehr zu Borussia Dortmund berichtet.
Schon seit vielen Jahren fordern die Fans der «Red Devils», dass die Besitzer-Familie Glazer den Klub verkauft. Beinahe wäre der Wunsch dann in Erfüllung gegangen, doch der katarische Scheich Jassim zog sein Angebot zurück, nachdem mehr als die gebotenen sechs Milliarden Dollar gefordert wurden. Nun sollen dennoch Anteile verkauft werden, doch nur 25 Prozent, wodurch die Glazers Mehrheitseigner bleiben würden.
Trotzdem könnte der Einstieg von Sir Jim Ratcliffe einige Konsequenzen zufolge haben. So soll der zweitreichste Brite unter anderem die Transferpolitik der jüngeren Vergangenheit kritisiert haben. Vor allem die Verpflichtung von Casemiro sorgten bei Ratcliffe für Unverständnis. Ausserdem werde auch über die Zukunft von Trainer ten Hag erst nach dem Einstieg Ratcliffes entschieden werden.
Ob der Verkauf einiger Anteile der Glazer-Familie jedoch für eine Wende sorgen kann, scheint fraglich. Die Meinung von Henry Winter, Chef-Fussball-Reporter bei der «Times», ist eindeutig: «Manchester United braucht keinen neuen Trainer, es braucht neue Besitzer. Die Glazers müssen weg und Ratcliffe muss den Klub vollständig übernehmen.» Dies könnte in der Zukunft passieren, doch noch klammern sich die Glazers an ihren Klub.