Es ist die emotionalste Szene an diesem Nachmittag im Berner Wankdorf-Stadion. Pascal Schürpf hat in der 70. Minute das 3:1 des FC Luzern gegen den FC St.Gallen erzielt und setzt nun zum langen Jubellauf an. Schürpf steuert einen Mitspieler an, der auf der Tribüne sitzt: Ersatzgoalie David Zibung.
«Ich wusste nichts davon», sagte Zibung, «aber ich habe mich extrem darüber gefreut. Das zeigt auch ein Stück weit die Wertschätzung mir gegenüber.»
Torschütze Schürpf verriet, er habe davon geträumt, dass es vielleicht dazu komme, dass er bei einem entscheidenden Treffer zu Zibung rennen und mit ihm feiern könne. «Klar, ein 3:1 ist heikel, da ist noch nichts entschieden. Ich sah dann, dass Dave sitzen blieb. Er ist halt ein realistischer Typ. Aber ich musste zu ihm gehen. Er gibt uns sehr viel. Ohne ihn wäre vieles nicht möglich gewesen, auch wenn er ‹nur› Ersatzgoalie gewesen ist heute.»
Zibung war dieser Jubel nicht ganz geheuer – zu viel hat er in seiner Karriere schon erlebt. «Ich habe manchen Final gesehen und manchen selbst erlebt, und ich sagte mir, dass ich sitzen bleibe, bis der Schiedsrichter abpfeift.» Als dies dann der Fall war, habe er eine «brutale Erleichtung» verspürt, so der FCL-Keeper. «Das waren enorme Emotionen, ein Gefühl, das ich so noch nicht gekannt habe. Ich bin stolz, dass ich Teil dieser Mannschaft sein durfte, auch wenn ich nicht oft gespielt habe.»
Aus Zibung sprach auch Erleichterung, denn es schien, als habe er das eigene Team in der Aussenseiterrolle gesehen. «Ich habe die Luzerner Spiele auf dem Berner Kunstrasen gegen YB gesehen und jene des FC St.Gallen hier und ich hatte den Eindruck, dass St.Gallen jeweils die bessere Figur abgab. Aber wir hatten einen super Matchplan, der auch aufging.»
Während Zibung strahlend und mit einer Bierdose in der Hand den Reportern Auskunft gab, haderte einige Meter neben ihm Matthias Hüppi. Der Präsident des FC St.Gallen anerkannte den verdienten Sieg des FCL, doch als ihm ein Fotograf ein Bild auf seinem Kameradisplay zeigte, löschte es Hüppi kurz ab. Auf dem Bild sieht man, wie die Faust von FCL-Goalie Marius Müller im Gesicht von Lukas Görtler landet.
«Jo nei, da git's jo nöd!», entfuhr es Hüppi, «das sieht aus wie in einem Boxring, das war ein klarer Treffer». Ansonsten war Hüppi kurz nach Schlusspfiff gefasst. «Das Resultat ist so, wie es ist. Wir hoffen, dass wir in einer anderen Saison, wenn wieder Publikum im Stadion sein darf, einen weiteren Coup landen und wir es erneut in den Final schaffen.»
Matchentscheidend war die Szene in der 88. Minute nicht mehr gewesen. Doch sie ist ein Sinnbild dafür, dass an diesem Nachmittag wenig für den FC St.Gallen gelaufen ist. Denn Schiedsrichter Lionel Tschudi hielt es nicht für notwendig, sich die Szene noch einmal am Monitor anzuschauen, so wie er auch kurz nach der Pause auf eine Konsultation verzichtete, als Elie Youan niedergerissen wurde. Andere Schiedsrichter haben in vergleichbaren Szenen schon auf Penalty entschieden. Erneut bleibt die Feststellung, dass wenig für St.Gallen gelaufen ist. Das nötige Glück fehlte den Ostschweizern auch beim 1:3, dem womöglich ein Abseits vorausging.
Luzern war cleverer und kaltblütiger, und deshalb der richtige Sieger. «Wir haben nicht so gespielt, dass wir es verdient hätten, Cupsieger zu werden», hielt Peter Zeidler fest. Der St.Galler Trainer wollte nicht gross auf die Schiedsrichter-Leistung eingehen: «Ich kann jetzt noch nichts dazu sagen. In Sachen Konzentration und Mentalität, technisch-taktisch war Luzern heute die bessere Mannschaft.»
Knapp drei Stunden, bevor Zeidler das sagte, verschwanden die Luzerner nach dem Aufwärmen in der Kabine, während im Wankdorfstadion der Klassiker «Beautiful Day» von U2 lief. Wie sich später zeigte, ist es für sie ein schöner Tag geworden, ein wunderschöner, ein historischer. 29 Jahre nach dem bislang letzten Cupsieg haben die Innerschweizer wieder einmal eine Trophäe gewonnen.
Und einer strahlte ganz besonders: David Zibung, der «ewige» FCL-Goalie, der nun zum Abschluss einer langen Karriere doch noch etwas gewinnen konnte. Nach 520 Pflichtspielen für den FCL ist nun Schluss, nun hält Zibung nicht mehr Bälle, sondern anderes: «Ich freue mich, dass nun der Leistungsdruck weg ist, und ich einmal ein Spiel auf der Tribüne mit einer Wurst in der einen Hand und einem Bier in der anderen sehen kann.»
Und auch mich als YB-Supporter, freut es für David Zibung, den ewigen FCL-Goalie. Er hat es verdient mit einem Titel abzutreten.