Der Frauenfussball boomt. Daran gibt es keine Zweifel. 1993 gab es in der Schweiz weniger als 4000 lizenzierte Fussballerinnen, inzwischen ist diese Zahl mit 41'000 lizenzierten Fussballerinnen mehr als zehnmal so hoch. Jede zehnte Person, die in der Schweiz in einem Klub kickt, ist weiblich.
Die Trainingsbedingungen für fussballspielende Mädchen haben sich verbessert, in der höchsten Liga schreitet die Professionalisierung voran, das Nationalteam bekommt inzwischen auch grosse mediale Aufmerksamkeit. Doch an einem Ort hat sich in den letzten 30 Jahren nichts geändert: auf den Bolzplätzen. Dort kicken fast nur Jungs. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Bern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Schweizer Nationalspielerinnen in den letzten dreissig Jahren zur Entwicklung im Frauenfussball befragt. In vielen Punkten zeigt sich die Entwicklung in den letzten Jahren deutlich. So beginnen Mädchen jünger und das Trainingsvolumen hat sich deutlich erhöht, was angesichts der steigenden Leistungsanforderungen logisch erscheint.
Umso erstaunlicher ist jedoch die Tatsache, dass die aktuellen Schweizer Nationalspielerinnen in der Freizeit nicht mehr gekickt haben als jene in den 1990er-Jahren. «Wir hatten gehofft, dass auch in diesem Bereich eine Entwicklung stattgefunden hat», sagt Sportwissenschaftler Michael Schmid. «Stattdessen blieben die Zahlen in den letzten dreissig Jahren unverändert und relativ im Vergleich zu den Knaben.»
Über die Gründe spekulieren die Macher der Studie. Bryan Charbonnet sagt: «In unserer Gesellschaft galt Fussball lange Zeit als typisch männliche Aktivität. Dadurch sahen sich Mädchen leider mit grösseren Zugangshürden konfrontiert. Auf dem Pausenplatz werden sie zum Beispiel selten von Jungs zum Mitspielen eingeladen.» Die Studie zeigt auch, dass auch die Anzahl Stunden in anderen Sportarten neben dem Fussball in den letzten 30 Jahren unverändert geblieben ist.
Die Ergebnisse stehen in einem Widerspruch zu ähnlichen Untersuchungen bei den Männern. Dort ist bekannt, dass künftige Nationalspieler in der Kindheit ähnlich viel im Verein trainieren wie spätere Challenge-League-Fussballer, jedoch kicken sie daneben deutlich mehr.
Charbonnet erklärt: «Die Stunden, die ein Kind bis zum zwölften Lebensjahr im Strassenfussball verbracht hat, sind bereits ein Prädiktor des zukünftigen Leistungsniveaus. Diese Stunden werden häufig mit positiven Effekten auf Technik, Kreativität und Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht.» Die Freizeit-Kicks seien auch deshalb wichtig, weil dabei auf unterschiedlichen Untergründen, mit verschiedenen Bällen, sich änderenden Toren und in ungewohnten Teamgrössen gespielt wird.
Die Wissenschaftler Schmid und Charbonnet führen aus, dass die Erkenntnis, dass Mädchen in der Freizeit weniger kicken, nicht unbedingt negativ betrachtet werden soll. «Es hängt immer vom Ziel ab», sagt Schmid. «Soll es um die Talentförderung hinsichtlich zukünftiger Höchstleistungen gehen, dann sollte die zunehmende Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft auch vor den Bolzplätzen nicht halt machen.»
Auf den Pausenplätzen schlummert also noch grosses Potenzial für den Schweizer Frauenfussball. Marion Daube, Direktorin Frauenfussball beim SFV, sagt: «Diese Zahlen sind natürlich auf den ersten Blick erstaunlich, wenn beachtet wird, dass der Frauenfussball in den letzten Jahren enorm boomt und hier Nationalspielerinnen befragt wurden. Jedoch decken sich diese Ergebnisse mit meinem Eindruck: Auf den Pausenplätzen sieht man vor allem Jungs kicken.»
Deshalb sei es wichtig, dass auch Mädchen zum Fussball spielen in der Freizeit motiviert werden können. «Es ist Fakt, dass man Mädchen anders abholen muss als Jungs.» Um mit Jungs aus der Nachbarschaft zu kicken, würde laut Daube einigen Mädchen wohl das Selbstvertrauen fehlen. «Sie denken, sie seien nicht gut genug.» Und so würden sie entweder im Verein mit dem Fussball spielen beginnen – sofern es Mädchenteams gibt – oder sie lassen es bleiben.
«Viele Mädchen haben immer noch das Problem, dass sie in ihrer nahen Umgebung nicht Fussball spielen können, da es keine Angebote hat. Für einige Mädchen fällt der Einstieg in die Sportart unter ihresgleichen leichter, als mit Jungs zu spielen», sagt Daube.
Jonathan Badan, Co-Präsident des Schweizerischen Verbandes für Sport in der Schule, sieht in seiner Funktion als Sportlehrer in Fribourg eine Entwicklung. «Die Form des Sportunterrichts hat sich enorm geändert», erklärt Badan. «Es ist inzwischen nicht mehr so, dass die Jungs Fussball spielen und Mädchen Volleyball spielen. Stattdessen werden alle Sportarten bei beiden Geschlechtern gleichermassen gefördert.»
An vielen Schulen werden die Kinder im Sportunterricht nicht mehr nach dem Geschlecht eingeteilt. «Viel eher geht es um unterschiedliche und flexible Niveaus», so Badan. «Wenn jede und jeder in seinem Niveau einen Sport betreiben kann, ist die Freude grösser, das Selbstvertrauen steigert sich und somit auch die Fortschritte. Auch das kann die Hürde, in der Freizeit mitzuspielen, verringern.»
Im Hinblick auf die Heim-Europameisterschaft 2025 will der Schweizerische Fussballverband mehrere Projekte lancieren, um den Frauenfussball weiter zu fördern. Auch in Sachen Strassenfussball und ungebundene Projekte seien mehrere Ideen vorhanden, sagt Daube.
Spruchreif sind die Projekte jedoch nicht, auch weil der SFV im Frauenfussball mit wenig Ressourcen zu kämpfen hat. «Aber natürlich wollen wir den Schub, den die Heim-EM bringt, nützen, damit mehr Mädchen den Weg zum Fussball finden.» Ihre Hoffnung ist es, dass irgendwann neben Jungs auch viele Mädchen auf den Bolzplätzen kicken.
Jedoch meist überproportional zum eigentlichen Interesse der Zuschauer und Leser, was ja vielerorts ideologisch motiviert ist.