Es ist brütend heiss und das Training schon lange vorbei. Aber Lawrence Ati Zigi wird immer noch umringt von Autogrammjägern. Geduldig unterschreibt der Goalie Trikots, Fussbälle und am Ende gar eine Sandale, die ihm eine Zweitklässlerin hinhält.
Die Szene spielt sich Ende Juni in Ebnat-Kappel ab, wo der FCSG im Rahmen von «Espen on Tour» Halt macht. Bereits seit einigen Jahren trainiert St.Gallen in der Sommervorbereitung auf Fussballplätzen überall in der Ostschweiz. «Überragend» sei das, findet Captain Lukas Görtler. «Die Fans geben uns übers ganze Jahr so viel, dass wir gerne etwas zurückgeben.»
Als Matthias Hüppi 2018 Präsident wurde, war es eines seiner Ziele, den Kitt zwischen dem Klub und seinem Publikum zu verbessern. Nähe zu schaffen zu den Menschen in der Ostschweiz.
Allein der Blick auf die Zuschauerzahlen belegt schon, dass dies gelungen ist. Obwohl die Finalrunde verpasst wurde, kamen so viele Fans wie nie zu den Heimspielen des FC St.Gallen, mehr als 18'000. Vor Corona betrug der Zuschauerschnitt noch rund 12'700.
«Wir dürfen wirklich festhalten, dass wir unser Ziel erreicht haben», stellt Hüppi erfreut fest. «Wenn Kinder auf Pausenplätzen tschutten, sieht man immer mehr grün-weisse Trikots und immer weniger andere. Das ist für uns als Klub ideal – und die Kinder von heute sind die Zuschauerinnen und Zuschauer von morgen.» Wobei einige schon heute kommen. Werde nicht gerade wochentags um 20.30 Uhr angepfiffen, sei der Familiensektor eigentlich immer voll.
Präsident Hüppi ist während und nach dem Training ein ebenso begehrter Gesprächspartner wie die Spieler. Routiniert zückt er für Autogramme den eigenen Stift, den er stets im Sack hat, als einer, der überall erkannt wird. Hier einer, der sich nach der Möglichkeit erkundigt, Aktien zu zeichnen, dort einer, der fragt, wer denn der Spieler da drüben sei.
Die grosse Frage an Hüppi und Trainer Enrico Maassen, nicht nur im Toggenburg: Wie löst man die Probleme im Sturm? Die Antwort ist nicht einfach, weil die Super League am unteren Ende der Nahrungskette angesiedelt ist. Der Abgang von Willem Geubbels scheint beschlossene Sache zu sein. Eine Ablösesumme von mehreren Millionen Franken winkt, wobei ein beträchtlicher Teil an die AS Monaco weiterfliessen wird.
Der Franzose ist noch da, weil der Transfermarkt oft Kettenreaktionen auslöst. Es könnte so laufen: Ein englischer Klub braucht einen Stürmer und holt ihn von einem starken Bundesliga-Verein. Dieser braucht nun Ersatz und holt ihn von anderswo aus der Bundesliga. Nun fehlt dort, sagen wir bei Augsburg oder Union Berlin, ein Stürmer – und Geubbels wird zum Thema. Mühsam ist das, weil das Transferfenster bis am 1. September offen ist, die Super League aber bereits dieses Wochenende beginnt.
Vermutlich wird Alessandro Vogt seine Chance erhalten. Der 20-Jährige kommt aus dem eigenen Nachwuchs und war mit mehreren Toren einer der Gewinner der Vorbereitung.
Überhaupt, die Sache mit den Eigengewächsen. Mit Christian Witzig und Betim Fazliji stehen zwei etablierte Ostschweizer im Kader, Corsin Konietzke gelang vergangene Saison der Durchbruch und Cyrill May kam zu ersten Einsätzen. Damit die Verankerung in der Region weiterhin gross bleibt, sind gute «Eigene» doppelt wertvoll.
Trainer Enrico Maassen kann zudem auf eine Achse mit Spielern zählen, die in der schnelllebigen Zeit auch schon beinahe als «ewige» Grün-Weisse durchgehen. Aggressiv-Leader Görtler ist seit sechs Jahren da, Jordi Quintilla (vom halbjährigen Abstecher nach Basel abgesehen) sogar seit sieben Jahren, Goalie Zigi auch schon seit fünfeinhalb und Verteidiger Albert Vallci seit drei.
Noch kurz ist die Liste der Neuverpflichtungen. Verteidiger Tom Gaal kam vom Zweitliga-Absteiger Ulm, Mittelfeldspieler Carlo Boukhalfa bestritt vergangene Saison 25 Bundesliga-Spiele für St.Pauli. Ausserdem wurde Linksaussen Aliou Baldé, der in der letzten Saison in 23 Spielen 2 Tore für Lausanne erzielte, leihweise unter Vertrag genommen. Pech ist, dass der im Frühling von Bochum ausgeliehene Lukas Daschner kurz nach seiner festen Verpflichtung eine Knieverletzung erlitt und längere Zeit fehlen wird.
Andererseits kann es für St.Gallen auch ein Vorteil sein, eingespielt zu sein. Denn der Auftakt hat es in sich: erst geht es gegen Meister Basel, danach stehen ein Auswärtsspiel bei Servette auf dem Programm und die Partie gegen Winterthur, das eine Art Angstgegner ist und gegen das der FCSG als Favorit fast nur verlieren kann.
Die Fans sind nicht nur zahlreich, sondern auch treu und verzeihen viel. Doch wenn der Start in die Hose geht, kann der Puls rasch in die Höhe schnellen, wo Herzen grün-weiss schlagen. Der vormalige Trainer Peter Zeidler hatte dem Team einen spektakulären, attraktiven Stil verpasst. Maassen hat St.Gallen wieder zu einem gewöhnlicheren Team gemacht. Wenn damit aber nicht mehr Erfolg herausschaut als vorher, ist es nach einer Saison, die bloss auf Rang 8 endete, nachvollziehbar, dass der Trainer – wie auch Sportchef Roger Stilz – da und dort angezählt ist.
Auch deshalb fährt der Klub in der Saisonvorbereitung durch die Ostschweiz: Um ein Gefühl dafür zu schaffen, dass es beim FC St.Gallen um mehr geht als die nackten Resultate. Noch ist alles im Lot, Präsident Hüppi sagt sogar, man bekomme immer mehr Anfragen von kleineren und grösseren Klubs, doch einmal bei ihnen vorbeizuschauen.
Der Sportplatz Untersand in Ebnat-Kappel liegt direkt an der Thur. Was im Alltag schon für den einen oder anderen verlorenen Ball sorgte, ist an diesem heissen Nachmittag eine willkommene Gelegenheit für einige Spieler, sich zu erfrischen. Die St.Galler hoffen, dass es in der Super League nicht auch bachab geht.
Der FCSG beendet die Saison auf Rang 7.
Die wichtigsten Zugänge:
Die wichtigsten Abgänge:
Samstag, 26.7., 18.00 Uhr:
St.Gallen – Basel
Samstag, 2.8., 18.00 Uhr:
Servette – St.Gallen
Samstag, 9.8., 18.00 Uhr:
St.Gallen – Winterthur
Samstag, 16.8., 16.00 Uhr:
Walenstadt – St.Gallen (Cup)
Sonntag, 24.8., 16.30 Uhr:
St.Gallen – Luzern