Der Kreuzbandriss gehört zu den am meisten gefürchteten Verletzungen im Fussball. Profis fallen im Schnitt für acht Monate aus, bei Hobbyfussballern dauert es rund ein Jahr, bis sie wieder kicken können. Für manch ein Talent war die Verletzung auf dem Weg an die Spitze der Moment, in dem der grosse Traum platzte.
Daten der vergangenen Jahre zeigten auf, dass Frauen noch weitaus häufiger von einem Kreuzbandriss betroffen sind. Gemäss Angaben des Unfallversicherers Suva zogen sie sich diese Verletzung acht Mal häufiger zu als Männer – ein Wert, der den Zufall ausschliesst.
Tatsächlich bestätigen Sportmediziner ein erhöhtes Risiko. Professorin Kirsten Legerlotz von der Universität Berlin nannte in der ARD ein breiteres Becken als einen der Gründe dafür. Zudem würden Frauen tendenziell zu einer X-Bein-Stellung neigen, was die Gefahr erhöhe, das Knie nach innen zu verdrehen. Eine geringere Muskelmasse als Männer und ein anderes Sprung- und Landeverhalten werden ebenfalls als mögliche Ursachen genannt.
Umstritten ist, ob der Kunstrasen einen Einfluss hat. So wird beispielsweise in der Women's Super League in der Schweiz oft auf dieser Unterlage gespielt.
In London beginnt nun eine Studie, die eine andere Vermutung bestätigen könnte. Es soll herausgefunden werden, ob hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus zum Anstieg von Kreuzbandverletzungen beitragen. Finanziert werden die Forschungsarbeiten vom Fussball-Weltverband FIFA.
«Wir wissen, dass die Hormone in den verschiedenen Phasen des Zyklus schwanken», sagte der Studienleiter, Sport-Biomechaniker Simon Augustus, der BBC, «aber wir wissen noch nicht, inwieweit sich dies auf das Verletzungsrisiko auswirkt.» Spielerinnen mehrerer Teams nehmen an der Untersuchung teil, indem sie regelmässig ihr Blut und ihre Leistungsfähigkeit testen lassen.
Frühere Untersuchungen deuten auf eine Verbindung hin. Vor allem gegen Ende des Zyklus könne die Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein. Und wer sich nicht wohl fühlt, ist womöglich weniger konzentriert und damit verletzungsanfälliger.
Zitiert wird eine Untersuchung in England, die vor einem Jahr belegte, dass Fussballerinnen sich zu bestimmten Zeitpunkten ihres Menstruationszyklus häufiger verletzten. Die Studie ergab, dass bei 26 untersuchten Spielerinnen die Wahrscheinlichkeit einer Muskelverletzung in den Tagen vor ihrer Periode sechsmal höher war als während der Periode.
Das Schweizer Frauen-Nationalteam hat eine Vorreiterrolle inne. Schon seit rund fünf Jahren wird zyklusorientiert trainiert. Spielerinnen erfassen Daten in einer App, Athletiktrainerin Mélanie Pauli wertet sie aus und entwickelt geeignete Strategien: «Es geht um die Aktivierung, die Regeneration und die Ernährung.» Das Ziel sei es, dem Körper in jeder Phase das zu geben, was er gerade brauche.
Mehrere Spielerinnen bemerkten seither eine Leistungssteigerung, weil sie Training und Regeneration besser auf die Monatsblutung angepasst haben. Eine davon ist Nationalspielerin Meriame Terchoun, die schon drei Mal ein Kreuzband riss. Seit der letzten Verletzung beschäftigt sie sich intensiver mit ihrem Zyklus. An der WM 2023 sagte sie, sie fühle sich seither gesund und fit. Früher hatte Terchoun in der Phase kurz vor ihren Tagen stets Kopfschmerzen. Seit dem Verzicht auf Kaffee sei es deutlich besser geworden.
Die WM vor zwei Jahren verpassten mehr als 30 Fussballerinnen wegen eines Kreuzbandrisses, zu ihnen gehörte das grosse Schweizer Talent Iman Beney. Die mittlerweile 18-jährige YB-Angreiferin hat sich erholt und ist an der Heim-EM im Sommer einer der Schweizer Trümpfe.
Die Forschung steht noch am Anfang. Doch dass Spielerinnen wie Meriame Terchoun heute besser auf ihren Körper hören und davon profitieren, zeigt: Zykluswissen kann im Spitzensport zum echten Vorteil werden – vielleicht sogar zum Schutz vor dem Kreuzbandriss.