Der ehemalige schwedische Spitzenschiedsrichter Jonas Eriksson ist möglicherweise auch Schweizer Fussballfans noch ein Begriff. 2014 pfiff er die WM-Achtelfinalpartie gegen Argentinien, die die Schweiz erst in der Verlängerung verlor. 2016 leitete er den Europa-League-Final zwischen Liverpool und Sevilla in Basel. Zwei Jahre später war er beim Champions-League-Achtelfinal zwischen Basel und Manchester City im Einsatz. 2018 trat er zurück, nachdem er nicht für die Weltmeisterschaft in Russland nominiert wurde.
Seit drei Jahren im Ruhestand meldet sich Eriksson, der früher als Unternehmer als «reichster Fussballschiedsrichter der Welt» galt und mit PSG-Präsident Nasser Al-Khelaifi gut befreundet ist, nun mit einem Buch mit dem Namen «Korthuset» (Kartenhaus) zurück. Darin erhebt der heute 47-jährige Vorwürfe über den Umgang der Verbände mit den besten Schiedsrichtern – insbesondere gegen Pierluigi Collina, früher der beste Schiri der Welt, heute der Schiedsrichterchef bei der FIFA.
Collina ist gemäss Eriksson «ein Lügner mit grosser Macht, launisch, ein schlechter Kommunikator und manchmal richtig gemein». Solange der Italiener von Erikssons Leistungen profitieren konnte, hätte er ihn geschützt. Als er jedoch fand, dass der Schwede sein Potenzial voll ausgeschöpft habe, habe er ihn sofort fallen gelassen.
Eriksson berichtet in seinem Buch auch von Vorfällen des Mobbings und des Bodyshamings: «Im Herbst 2010 bei den Schiedsrichterkursen der FIFA wurden alle Refs in drei Gruppen aufgeteilt. Als meine Gruppe den grossen, kalten Konferenzraum betrat, wurden wir von Collina und Co. gezwungen, uns bis auf die Unterhosen auszuziehen. Wir durften am Morgen und auch am Abend vorher nichts essen oder trinken, damit wir möglichst ‹leer› waren. Dann wurden wir gewogen, mit Zangen gepikst und gezwickt und unser Gewicht wurde als inakzeptabel verurteilt.»
Er verstehe, dass die Fitness auch bei Schiedsrichtern ein wichtiges Element sei, und dass sie von weniger Gewicht und mehr Tempo profitieren würden, schreibt Eriksson. «Aber wie das gehandhabt wurde, war diskriminierend und eine Schande. Wir waren die besten Schiedsrichter der Welt, Vorbilder, Eltern, grosse Persönlichkeiten. Und wir mussten halbnackt dort in einer Reihe stehen.» Es sei Collina mehr darum gegangen, dass die Schiedsrichter gut aussähen, als dass sie auf dem Rasen gute Leistungen zeigen würden.
Der Schwede beschreibt auch, warum niemand wagte, etwas gegen die Methoden zu sagen: «Es besteht eine extreme Abhängigkeit gegenüber der Schiedsrichterkommission. Wenn ich das Vorgehen von Collina und Co. hinterfragt hätte, wäre das für meine Karriere der Todesstoss gewesen. Ich hätte keine wichtigen Spiele mehr gepfiffen, davon bin ich überzeugt.» Collina habe bei der FIFA ein Umfeld geschaffen, in dem ihn nie jemand kritisieren oder in Frage stellen könne.
Jetzt, da seine Karriere längst vorbei sei, sehe er die Dinge mit anderen Augen, schreibt Eriksson. «Ich bin nicht der einzige, der diese Dinge durchgemacht hat. Diese Geschichte muss erzählt werden und es ist mir mittlerweile egal, wie die Involvierten darauf reagieren.»
Die FIFA und Pierluigi Collina haben auf Anfrage der schwedischen Zeitung «Aftonbladet» jegliche Stellungnahme zu den Vorwürfen abgelehnt. (abu)