Das einst blütenweisse Trikot ist durchnässt, und überall sind braune Flecken. Es sind Spuren, die belegen, dass Meschack Elia an diesem verregneten Samstag in Winterthur das gemacht hat, was er immer macht, wenn er sich das Dress der Young Boys überstreift: Er ist gerannt, er hat Tore eingeleitet, ist noch mehr gerannt, gegrätscht, hat Lücken geschlossen und Löcher aufgerissen – und er hat für einmal sogar selbst getroffen.
An drei Treffern ist er beim 4:1 gegen Winterthur beteiligt, wobei er mit seinem Schlenzer den sehenswerten Schlusspunkt setzt. «Travailler pour l’équipe» nennt es Elia. Arbeiten für die Mannschaft.
Der 26-jährige Kongolese würde sich auch als Mann des Spiels nie als solchen bezeichnen. Doch dass er in der Mannschaft von Trainer Raphael Wicky zu einem der wichtigsten Spieler geworden ist, ist unbestritten. Wicky meinte kürzlich, wenn es für ihn darum gehe, die in der Regel zwei Positionen im Sturm zu besetzen, wähle er aus dem Trio Cedric Itten, Jean-Pierre Nsame und Silvère Ganvoula einen aus, «und daneben wirbelt Meschack».
Elia ist im Ensemble der Berner gesetzt, was auch dadurch illustriert wird, dass er von 20 möglichen Partien nur in zwei Cupspielen eine Verschnaufpause erhalten hat. Der 30-fache Nationalspieler ist für YB unverzichtbar, weil er über ein Profil verfügt, das kein anderer in diesem Team hat: Er ist trickreich, spielintelligent, verfügt aber auch über einen wuchtigen Schuss, wie er das in dieser Saison sowohl gegen St.Gallen als auch im ersten Champions-League-Auftritt gegen Leipzig demonstriert hat. Sein grösster Trumpf ist freilich die Geschwindigkeit.
«Mit seinen Läufen und seiner Energie streut er Unruhe in der gegnerischen Abwehr», sagt YB-Sportchef Steve von Bergen und erwähnt eine wichtige Eigenschaft des Stürmers, die ihn für das Team so wertvoll macht: «So schnell sprinten wie Elia ist eine Sache. Diese Sprints zu wiederholen ist eine andere. Elia sprintet in der 3. Minute gleich schnell wie in der 80. Das ist der grosse Unterschied zu anderen schnellen Spielern.»
Von Bergen ist noch nicht in der Verantwortung, als Elia nach Bern kommt. Damals im Herbst 2019, als die Young Boys und der damalige Sportchef Christoph Spycher glauben, mit Elia den perfekten Nachfolger für den abwanderungswilligen Roger Assalé gefunden zu haben, vom Spielertyp her vergleichbar klein und flink.
Schon 2016 ist Elia YB-Chefscout Stéphane Chapuisat ein erstes Mal aufgefallen, als dieser an der afrikanischen Nationen-Meisterschaft brilliert, einem Turnier, an dem nur die Fussballer spielberechtigt sind, die in den nationalen Ligen ihrer Herkunftsländer spielen. Elia schiesst vier Tore, den Kongo zum Titel, wird zum besten Spieler des Turniers gewählt. Statt in den Strassen der Millionenmetropole Kinshasa kickt Elia auf einmal für Tout Puissant Mazembe, über 2000 Kilometer südlich in Lubumbashi, der zweiten Millionenstadt im zweitgrössten Land des afrikanischen Kontinents.
Beim kongolesischen Rekordmeister und fünffachen Gewinner der afrikanischen Champions League erhält Elia seinen ersten Profivertrag – ein Arbeitspapier, das die Young Boys knapp vier Jahre später noch beschäftigen wird. Denn als Elia im Herbst 2019 in Bern eintrifft, hat er eine Odyssee hinter sich: Eigentlich sollte sein erstes Engagement fern der Heimat in Belgien sein. Als er aber merkt, bei Anderlecht nur für die zweite Mannschaft vorgesehen zu sein, geht Elia in die Schweiz und kommt bei Verwandten in Lausanne unter.
Zu diesem Zeitpunkt will er unbedingt zu YB wechseln, und die Berner stellen sich auf den Standpunkt, Elias Vertrag mit TP Mazembe sei ungültig, weil das Alter widerrechtlich auf 18 angehoben worden sei. Der Klub beschuldigt den Spieler, seinen Pass gefälscht zu haben, und der kongolesische Verband sperrt Elia – ebenfalls widerrechtlich – für ein Jahr.
Nach Intervention der FIFA ist Elia ab Anfang 2020 doch noch für die Young Boys spielberechtigt und absolviert am 23. Februar in St.Gallen sein erstes von bisher 151 Spielen für die Berner. Dass es so viele sein würden, hätte vor knapp vier Jahren wohl niemand gedacht. Weil die Schweiz für Elia ein Sprungbrett sein soll in eine grössere Liga. Angebote gab es schon einige, in diesem Sommer von Besiktas Istanbul. Zum zweiten Mal an der Gruppenphase der Champions League teilzunehmen war für den Stürmer aber Argument genug für einen Verbleib bei YB.
Weil er weiss, dass mit starken Leistungen auf europäischem Parkett noch andere Interessenten auftauchen werden. «Es ist nicht nur für mich eine Chance, sondern für alle meine Teamkollegen», sagt Elia, der mit drei Treffern nun zusammen mit Guillaume Hoarau bester YB-Torschütze in der Königsklasse ist. «Das Wichtigste ist, dass wir weiter Spiele auf diesem Niveau bestreiten können, damit wir als Mannschaft wachsen können.»
Pep Guardiola bezeichnete seinen Lupfer zum zwischenzeitlichen 1:1 gegen Manchester City vor zwei Wochen in Bern als «fantastisch». Elia lächelt und sagt: «Ein Tor kennt keine Schönheit. Ein Tor ist ein Tor.» Aber natürlich hätte er nichts einzuwenden gegen einen Treffer im Etihad Stadium von Manchester. Er sagt: «Ich werde weiter rennen, bis ich nicht mehr kann. Ich hoffe, alle werden wieder ihr Trikot dreckig machen.»
(ram/sda)