Stell dir vor, es ist Fussball-WM und keiner geht hin. Eigentlich unvorstellbar. Doch genau diese Angst geht um wenige Tage vor dem Start zur ersten FIFA-Klub-WM mit 32 Teams. Der Vorverkauf für das Eröffnungsspiel am Samstag zwischen Inter Miami und Al-Ahly in der Miami Gardens Arena lief so schleppend, dass die FIFA die Eintrittspreise massiv senkte. Amerikanische Medien berichteten von Tickets für 50 Dollar – statt der ursprünglichen 350 Dollar.
Die Sorge um leere Stadien in den USA passt zu diesem Turnier vom 14. Juni bis zum 13. Juli, das auf Ansinnen von FIFA-Präsident Gianni Infantino ins Leben gerufen wurde. Denn es ringt auch wenige Tage vor dem Anpfiff um Akzeptanz und zog sogar eine Klage gegen die FIFA nach sich.
Viel Lärm machte etwa die Ankündigung von Real Madrid vor ein paar Monaten, an der Klub-WM mit einem B-Team anzutreten, um den Stars nach einer langen Saison die nötige Erholung zu gewähren. Dass ausgerechnet der Rekordsieger der Champions League diese Drohung aussprach, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Real Madrid ist einer der Vereine, die von den finanziellen Anreizen, mit denen die FIFA die Klubs in die USA lockt, maximal profitieren könnten.
Und damit zum Lieblingsthema im Welt-Fussball: das Geld. Die FIFA schnürte für die 32 Teams ein Prämienpaket, das 900 Millionen Euro schwer ist. Der Gewinner erhält 115 Millionen Euro. Hinzu kommt eine Startgage, welche je nach Herkunft und Marktpotenzial des Klubs bis zu 33,5 Millionen Euro beträgt. Für einen Verein wie Real Madrid wäre die Prämienhöhe zwar bei 125 Millionen Euro gedeckelt. Aber das ist immer noch sehr viel. Als Champions-League-Sieger erhält man nur unwesentlich mehr.
Das ruft Kritiker auf den Plan. Jene, die in der Klub-WM einen weiteren Schritt sehen zur Ungleichheit im Weltklubfussball. Zu den einflussreichsten Kritikern gehört die Vereinigung «European Leagues», welche 40 europäische Ligen vertritt. Ihr Präsident ist der Berner Claudius Schäfer, der auch als CEO der Swiss Football League amtet.
Gegenüber dieser Zeitung sagte er: «Die Preisgelder, die an die teilnehmenden Klubs ausgeschüttet werden, verstärken den anhaltenden Trend der finanziellen und sportlichen Polarisierung im Klub-Fussball und beeinträchtigen das Wettbewerbsgleichgewicht innerhalb unserer heimischen Ligen weiter.»
Schäfer und die «European Leagues» stört an der Klub-WM aber nicht nur das einseitig verteilte Preisgeld. Sie kritisieren vor allem, dass die FIFA das Turnier «im Alleingang einfach in den internationalen Spielkalender implementierte, ohne die Ligen und die Spieler-Gewerkschaften in den Prozess miteinzubeziehen», wie Schäfer sagte.
Deshalb reichte die «European Leagues» gemeinsam mit der Spielergewerkschaft «FIFPRO Europe» bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde gegen die FIFA ein. Die Europäische Kommission soll prüfen, ob das Vorgehen der FIFA missbräuchlich ist.
«Die FIFA kann ihre weltweite Verantwortung als oberster Dachverband des Fussballs nicht länger ignorieren, während sie zugleich Entscheide trifft, die vorrangig ihren eigenen Interessen dienen. Als Weltverband ist die FIFA grundsätzlich ein Regulator. Doch anstatt unter Miteinbezug der wichtigsten Player Entscheide zu treffen, führt die FIFA ein Klubturnier durch, welches auch im Hinblick auf die Terminierung negative Auswirkungen auf die Ligen und die Spieler hat», so Schäfer.
Für ihn ist klar: «Die Ligen bilden das Rückgrat, den Grundstein des Fussballs. Aber sie wurden nicht miteinbezogen.» Er fordert: «Die FIFA muss einen Schritt zurückmachen und die Ligen und die Spielergewerkschaft FIFPRO mit an den Tisch nehmen.»
Klubs, welche sich für die WM qualifizierten und vor dem grossen Reibach stehen, sehen das offenkundig anders. Sie sehen die Ungleichheit im Fussball durch das zusätzliche Turnier nicht gefährdet. Karl-Heinz Rummenigge, Aufsichtsratsmitglied bei Bayern München, sagte gegenüber «Die Welt»: «Die Klub-WM findet nur alle vier Jahre statt. Auch mit über 100 Millionen Euro als Turniersieger kann man nicht den Krösus auf dem Transfermarkt spielen.»
Nur: Macht Rummenigge mit dieser Aussage die Rechnung mit der FIFA und deren nimmersattem Präsidenten Infantino? Schäfer ist skeptisch: «Im Moment findet die Klub-WM alle vier Jahre statt. Aber wer weiss, wie es in Zukunft ist?»
Für das Turnier in den USA kann die FIFA so viel Preisgeld ausschütten, weil der TV-Sender «DAZN» die Übertragungsrechte für knapp eine Milliarde Dollar kaufte. Fun Fact dazu: Ein Sportinvestmentfonds aus Saudi-Arabien, neben den USA Infantinos liebster Geschäftspartner und WM-Gastgeber 2034, ist vor wenigen Monaten bei «DAZN» mit einer Minderheitenbeteiligung eingestiegen. Gemäss dem deutschen Magazin «Spiegel» mit ... Überraschung: einer Milliarde Dollar.
Mit den Petro-Dollars aus Saudi-Arabien spielte «DAZN» im Hinblick auf die Klub-WM offenbar in einer eigenen Liga. Dadurch schlägt das Problem der Veräusserung von TV-Rechten in Bezug auf andere, kleinere Wettbewerbe in der Nahrungskette nach unten durch.
Schäfer spricht von einer «Kannibalisierung» im Fussball. «Das Geld, das in den internationalen Klubfussball fliesst, wird anderswo nicht mehr in den Kreislauf gepumpt. So haben immer mehr nationale Ligen das Problem der Refinanzierung. Mittlerweile mussten diesbezüglich sogar Länder wie Frankreich und Belgien grosse Abstriche machen.»
Und damit zurück zur Ungleichheit im Fussball: Die FIFA fährt mit ihrer Klub-WM einen Konfrontationskurs gegen die Kontinentalverbände. Gleichzeitig mit dem Turnier in den USA findet der Gold Cup der nord- und mittelamerikanischen Länder statt – sinnigerweise ebenfalls in den USA. Und ab dem 2. Juli kollidieren die Daten auch mit der Frauen-EM in der Schweiz.
Dort übrigens schüttet die UEFA ein Gesamtpreisgeld von 41 Millionen Euro aus. Real Madrid oder Manchester City bekommen an der Klub-WM fast ebenso viel – ohne dafür eine einzige Minute gespielt haben zu müssen.