Sie lassen nichts anbrennen, auch ganz zum Schluss nicht, und alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen in dieser Saison für die Ewigkeit. Bayer Leverkusen gewinnt gegen Werder Bremen mit 5:0.
Anführer Granit Xhaka trifft dabei, auf wunderbare Art. Die deutsche Meisterschaft ist damit beiden sicher. Es ist die erste überhaupt, in der Geschichte des Klubs, in der Geschichte Xhakas.
Meister also, fünf Spiele vor Schluss schon, nach 25 Siegen in 29 Partien und keiner einzigen Niederlage: Das umreisst in aller Kürze, wie aussergewöhnlich die Leverkusener Darbietung in dieser Spielzeit ist. Sie haben die Titelserie des FC Bayern regelrecht zerschmettert. Die Bundesliga geht nach München, so war das jahrelang, einem Naturgesetz gleich holte der Dominator elf Titel in Folge. Damit ist es jetzt vorbei.
Leverkusen hat die Bundesliga belebt, ihr geschenkt, was sie so dringend braucht: etwas Abwechslung. Und es ist kein bisschen vermessen zu behaupten: Ohne Granit Xhaka, den Schweizer Mittelfeldspieler, wäre das alles nicht passiert.
Natürlich steht der 31-Jährige auch gegen Werder Bremen auf dem Platz. Jedes einzelne Bundesligaspiel hat er diese Saison von Anfang an bestritten, fast jede einzelne Minute gespielt; er ist so unverzichtbar wie kein anderer Fussballer in diesem Team, über das man in der Bundesliga noch lange sprechen wird.
Im modernen Fussball wird alles gezählt, das sich irgendwie zählen lässt, werden unzählige Ranglisten erstellt. Zum Beispiel: Wer hat die meisten Ballkontakte? Wer läuft am weitesten? Und: Wessen Pässe kommen am zuverlässigsten beim Mitspieler an?
Granit Xhaka gehört in allen drei Wertungen zu den Besten. Bei den Ballkontakten ist er gar einsame Spitze, bundesligaweit. Immerzu hat der Schweizer seine Füsse im Spiel, wenn die Leverkusener, dieses Orchester, das stets im Gleichklang spielt, ein neues Stück anstimmt. Xhaka ist der Dirigent, er führt den Taktstock, verpasst kaum einen Einsatz - und schaut, dass das auch keinem seiner Mitspieler passiert.
Man darf es so ruhig so deutlich sagen: So gut wie in dieser Saison war Granit Xhaka noch nie. Er befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Schon in jungen Jahren wagte der Basler den Sprung ins Ausland. Einen Meistertitel hat er ausserhalb der Schweiz bisher noch nie gewonnen. Jetzt schon. Und das ausgerechnet in jener grossen europäischen Liga, die zuvor so sehr von einem Klub dominiert worden war wie keine andere.
"you came from arsenal and won it here" no fucking way he just said that😭😭😭😭😭 pic.twitter.com/Yk0UOakP8J
— lena 🧸 (@pierrellis) April 14, 2024
Bayer Leverkusen musste sich in Deutschland viele Jahre mit einem Spitznamen herumschlagen, er klebte ihm an den Fersen wie ein alter Kaugummi. «Vizekusen» lautete dieser Spitzname, weil der Klub schon mehrmals knapp an grossen Titeln vorbeigeschrammt war.
Das brachte den Leverkusenern über die Jahre viel Häme ein, doch mittlerweile lacht niemand mehr. Wenn es so etwas wie ein kollektives Vereinsgedächtnis, eine kollektive Vereinsmentalität überhaupt gibt: «Vizekusen» ist jetzt Geschichte, und auch das hat viel mit Granit Xhaka zu tun. Die Leverkusen-Bosse haben ihn wegen seiner Mentalität geholt, auch wegen seiner Führungsstärke; sie wollten ihn, weil sie wussten, was ihrem Team fehlt. Und weil sie glaubten, dass Xhaka ihnen das geben kann.
Und der Schweizer liefert, weil er immer da ist und immer unterwegs, stets den Ball will, Pass an Pass reiht, und zwar auch dort, wo es schwierig wird, im Angriffsdrittel. Xhaka ist der Leader, er hat Leverkusen verwandelt, nicht alleine, natürlich nicht. Aber er hat geholfen, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben, zusammen mit Xabi Alonso, dem genialen Trainer der Leverkusener.
Der Baske kam im Herbst 2022 nach Leverkusen; damals lag sein Team auf einem Abstiegsplatz. Ende Saison war es auf den sechsten Platz vorgestossen. Und Alonso wusste genau, wen sein Team brauchte, um noch besser zu werden: Granit Xhaka. Wenn die beiden, Alonso und Xhaka, übereinander sprechen, dann hört man viel Wertschätzung heraus, viel Respekt auch.
Als Xhaka im Sommer 2023 von Arsenal nach Leverkusen ging, verursachte das da und dort Stirnrunzeln. In London hatte der Basler zuvor eine exzellente Saison gespielt, und das im Mittelfeld eines Klubs, der lange an der Tabellenspitze der Premier League gestanden hatte. Doch Xhaka ging, weil ihm gefiel, wie sehr sie ihn in Leverkusen wollten – und auch, weil seine künftige Rolle bei Arsenal nicht ganz so klar war. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung wollte der Klub ihm nicht anbieten.
Heute steht fest: Der Wechsel war ein Glücksgriff, und zwar für alle Beteiligten. Xhaka ist der nächste Schweizer, der in einer grossen Liga Meister wird. So, wie das Yann Sommer 2023 mit Bayern München schaffte und bald auch mit Inter Mailand schaffen wird. So wie Manuel Akanji im letzten Jahr mit Manchester City. So wie neben anderen auch: Stephan Lichtsteiner. Xherdan Shaqiri. Diego Benaglio. Ciriaco Sforza. Stéphane Chapuisat.
Man muss das alles nicht vergleichen, weil solchen Vergleichen immer der Makel anhaftet, dass man verschiedene Fussball-Epochen nebeneinanderstellt, verschiedene Ligen-Hierarchien, nicht zuletzt auch: Spieler mit verschiedenen Rollen, auf dem Platz und daneben. Eines aber steht fest: Eine Rolle wie Xhaka hat kaum einmal ein Schweizer Legionär eingenommen in seinem Meisterteam.
Den Meistertitel hat Leverkusen sich nun gesichert. Es können zwei weitere Pokale dazukommen, im DFB-Pokal und in der Europa League. Und dann findet im Sommer noch die EM statt. Für Nati-Captain Xhaka ist alles angerichtet, um 2024 zum Jahr seines Lebens zu machen.