Sion-Präsident Constantin: «Der Klub kostet mich jeden Monat 450'000 Franken»
Wie gut schlafen Sie im Moment?
Christian Constantin: Wenig, aber gut, wie immer. Weshalb fragen Sie?
Weil Sie mal gesagt haben, dass Sie vor Cupspielen gegen Unterklassige immer Angst verspüren. Und jetzt steht das Duell mit dem Challenge-League-Spitzenteam Aarau an.
Da bin ich mal froh, dass die Formkurve beim FC Aarau zuletzt etwas nach unten zeigte.
Reicht das schon für Ihr Team?
Natürlich nicht, ich mache Spass. Wenn man im Cup glaubt, man sei stärker, weil man der Oberklassige ist, ist man schon ausgeschieden. Wir brauchen einen Exploit, vor allem mental.
Früher war der Cup immer das grosse Saisonziel für den FC Sion. Hat dieser Wettbewerb noch immer die gleiche Faszination wie vor einigen Jahren?
Wenn ich diese Frage beantworte, möchte ich nicht unbedingt über Sion sprechen, sondern die Bedeutung des Cups in einen grösseren Zusammenhang stellen. Der Cup bringt die Menschen zusammen, die Landesteile, Profis und Amateure. Du gehst als grosser Klub aufs Land, bist dort Teil eines Volksfestes. Mir käme es nie in den Sinn, das Heimrecht mit einem Amateurklub zu tauschen, damit für beide mehr Geld herausspringt. Schauen Sie, wenn es dieses Cupspiel Aarau gegen Sion nicht gäbe, wären Sie nicht unter der Woche früh morgens in der Deutschschweiz in den Zug gestiegen, um in Martigny mit mir dieses Gespräch zu führen. Nein, der Cup ist wichtig, weil er in unserem Land eine Verbindung bringt zwischen den Kulturen, den Sprachregionen.
Der Cup als letzte Insel der Fussball-Romantik?
Und der letzte Wettbewerb, den ein Klub gewinnen kann, der nicht aus einer der grossen Metropolen kommt. In den letzten 25 Jahren wurden nur Klubs aus Basel, Bern und Zürich Meister. Aber den Cup holten auch Lugano und Luzern, Biel stand letzte Saison im Final. Und auch wir gewannen ein paar Mal.
Allein sieben Mal in Ihrer Zeit als Präsident.
Jetzt strebe ich den Rekord an. Karl Rappan gewann vor bald 100 Jahren den Cup als Trainer acht Mal. Das schaffte in der gleichen Epoche auch Severino Minelli als Spieler. Ich will der erste Präsident sein, der acht Mal Cupsieger wird. Das tönt doch gut: Rappan, Minelli, Constantin. Cup-Rekordsieger!
Sie sind seit 2003 ein zweites Mal Präsident des FC Sion. In der ersten Amtszeit in den Neunzigerjahren reichte es 1997 auch zum Meistertitel.
Damals gab es noch keine neuen Stadien in Bern, Basel oder Genf. Der FC Sion konnte wirtschaftlich stärker sein, als diese Klubs, weil ich mehr arbeitete als sie. Wir hatten deshalb die grösseren Budgets als die Grossklubs. Dann kamen überall die modernen Arenen...
...und Sion wurde zum Kleinklub, weshalb Sie jetzt auch ein neues Stadion bauen. Wird das die Krönung Ihres Lebenswerks?
Darum geht es nicht. Es geht um die Existenz des FC Sion.
Die nur mit einer modernen Arena gesichert ist?
Wenn wir im Wallis Profifussball anbieten wollen, dann: ja. Aber lassen Sie mich zu meinem Projekt etwas sagen.
Bitte!
Heute genügt es nicht mehr, nur ein neues Stadion zu haben. Man muss weiter gehen als die anderen. In Sitten haben wir ein Potenzial, um mit Fussball pro Jahr 300'000 bis 400'000 Menschen ins Stadion zu bekommen. Ich brauche aber nochmals so viele, damit es rentabel wird. Also brauche ich jede Woche eine Veranstaltung mit 10'000 Zuschauern.
Können Sie erklären, was Ihnen vorschwebt?
Die Leute sollen in unser Stadion kommen und eine Erlebniswelt erfahren wie in Las Vegas. Barth (sein Sohn; Red) war kürzlich in Dallas und hat sich das Football-Stadion angeschaut. Da geht es um Immersion und Hologramme. Das wollen wir auch. Für die Bildschirme arbeiten wir mit einer Firma in Österreich zusammen, die in diesem Bereich führend ist. Für die Hologramme mit den Universitäten in Cambridge, Dresden und Peking. Wir wollen in Sitten ein Stadion mit den technischen Möglichkeiten, um ein Konzert zu veranstalten, bei dem die Menschen das Gefühl haben, sie würden Michael Jackson nochmals live erleben.
Sie denken wieder gross.
Nein, nein. Das kommt tatsächlich. Wenn wir mit dem Bau beginnen, steht das Stadion in drei bis vier Jahren.
Wann wird es so weit sein?
Ich hoffe, dass es 2030 fertig ist.
Gibt es keine politischen Hürden mehr? Keine Abstimmung?
Weshalb auch? Wir verlangen von der Öffentlichkeit kein Geld, und das Land gehört der Stadt.
Wenn das Stadion gebaut werden kann, dann bleiben Sie Präsident des FC Sion.
Das ist die Voraussetzung. Ohne neues Stadion muss ich aufhören, weil ich kein Geld verdienen kann. Das Mäzenatentum ist am Ende. Ein Fussballklub muss wie ein Unternehmen geführt werden.
Apropos Mäzenatentum: Wie viel Geld haben Sie in den FC Sion gesteckt in all den Jahren?
Mehr als 150 Millionen Franken. Der Klub kostet mich jeden Monat 450'000 Franken. Aber damit muss jetzt Schluss sein.
Also kann man festhalten: Ohne neues Stadion kein Präsident Christian Constantin. Ohne Christian Constantin kein FC Sion.
So ist es. Es gibt keinen Zweiten, der so ein Dummkopf ist, das so zu handhaben wie ich es seit bald 30 Jahren mache.
Und wie lange wollen Sie mit dem neuen Stadion den Klub noch führen?
Das entscheidet die Gesundheit. So lange ich gesund bin, arbeite ich. Mein Vater war Unternehmer. Seine Firmen stellten Betontreppen her, machten Häuserfassaden. Er hat bis 88 gearbeitet. An einen Rücktritt denke ich nicht. Nichtstun ist etwas für die Zeit nach dem Tod. Nicht etwas zu Lebzeiten.
Es scheint, Sie seien zuletzt ruhiger geworden. Weniger aufbrausend. Sind Sie altersmilde?
Ich ärgere mich immer noch, wenn mir etwas nicht passt. Aber das ist auch richtig so. Ich habe mein eigenes Geld im Klub, bezahle alles selber. Das ist nicht das Gleiche wie bei einem Präsidenten, der ein Angestellter des Klubs ist.
Weshalb ärgern Sie sich über die Fussballer häufiger als über die Angestellten ihres Architekturbüros?
Fussballer verlieren oft den Bezug zum Geld. Sie sind 17 und haben plötzlich viel mehr davon als ihre gleichaltrigen Copains. Aber das viele Geld zerrinnt bei den meisten zwischen den Fingern. Schuld daran sind sie nicht selber. Es ist der schlechte Einfluss von Beratern und Familien. 60 Prozent der Fussballer haben am Ende nichts mehr. Ich versuche den Jungen beizubringen, dass sie vorsichtig sein sollen. Aber dann denken sie bloss: Ja, ja, der alte Dummkopf soll reden. Aber wissen Sie, welchen Satz ich von Fussballern am häufigsten höre? «Ich hätte auf dich hören sollen.»
Was sagt das Ihnen?
Dass man Fussballer noch mehr führen muss. Dribbeln, Kopfbälle, das technische Rüstzeug. Das alles reicht heute nicht mehr. Ich habe gelernt, dass die intelligentesten Fussballer diejenigen sind, die am besten aufs Leben danach vorbereitet sind.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Vincent Sierro ist so ein Typ. Er wird auch nach dem Fussball Grossartiges schaffen. Er wird sein Leben problemlos meistern.
Jetzt braucht es natürlich auch ein schlechtes Beispiel.
Da könnte ich Chadrac Akolo (Ex-Sion, -St. Gallen) nennen. Er hat alles ausgegeben und muss jetzt in Vietnam spielen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Ist Akolo das schlechtere Beispiel als Mario Balotelli?
Das Problem bei Balotelli ist nicht, dass er das Geld «verjubelt», sondern dass er aus seinem Talent zu wenig gemacht hat. Er hätte den «Ballon d'Or» gewinnen können. Wie Lionel Messi oder Ronaldo.
Aber Balotelli hat Sie mehr Geld gekostet als jeder andere Sion-Spieler.
Er hat sicher das höchste Salär gehabt in meiner ganzen Ära, mehr als eine Million Franken.
War das Engagement von Balotelli, das 2023 mit dem Abstieg endete, der grösste Fehler, der Ihnen unterlaufen ist? Oder ist dieser eher beim enormen Trainerverschleiss zu suchen?
Ich wechselte nie ohne Grund den Trainer aus. Auch wenn das langfristig selten eine Besserung gebracht hat.
Das sagen Sie, nachdem Sie in 27 Jahren mehr als 40 Trainer engagiert und entlassen haben.
Moment! Der Trainerwechsel kann auch etwas nützen, wenn er nur kurzfristig etwas bringt. Es geht immer darum eine neue Dynamik reinzubringen. Wenn dir diese in den ersten paar Spielen zwölf zusätzliche Punkte bringt, macht das am Ende der Saison einige Plätze aus.
Im letzten Frühjahr haben Sie aber trotz Negativserie an Didier Tholot festgehalten.
Didier kam zu uns, als wir in der Challenge League waren. Er hat mir gesagt: «Ich komme drei Jahre zu dir und dann beende ich die Karriere.» Wir haben uns auf einen Vertrag über drei Jahre geeinigt und das ziehen wir jetzt durch. Im Sommer läuft der Vertrag aus. Aber bis dann bleibt er bei uns.
Und jetzt wird Ihre Geduld belohnt. Der FC Sion ist konstant in den Top 6 klassiert.
Das ist das Minimum. Wir hätten es besser machen können. Gegen Thun (1:2), Lausanne (2:2) und Zürich (2:2) haben wir nach Führungen sieben Punkte verschenkt. Sonst wären wir Zweiter.
Wo soll der FC Sion am Ende der Saison stehen?
Wir wollen in den Europacup. Da waren wir vor acht Jahren zum letzten Mal. Vorher hatten wir uns im Schnitt in fünf Saisons drei Mal qualifiziert. Wir brauchen die internationalen Spiele für das Selbstwertgefühl des Klubs und den Stolz der Region. Wenn wir europäisch spielen, merken die Leute, dass wir ein neues Stadion brauchen. Der Europacup hilft uns, uns zu entwickeln. Der Walliser Fan ist sich gewohnt, dass er das Besondere erleben kann. Wir wollen ihn träumen lassen. Sonst sucht er die Party anderswo. Und dann sind wir tot. (aargauerzeitung.ch)
