Wann haben Sie gespürt, dass die
Schweiz Sie als Nationaltrainer
akzeptiert?
Vladimir Petkovic: Vor der EM in
Frankreich, während der Vorbereitung
im Tessin.
Haben Sie sich verändert?
Ich denke, ich bin im Wesentlichen der
Gleiche geblieben. Wir haben aber in
den Abläufen gewisse Dinge verändert.
Im Umgang mit den Medien beispielsweise.
Ich habe mir mehr Zeit für Einzelgespräche
mit Journalisten genommen.
Damit sie besser erfahren, wer und wie
ich bin, was ich denke, worauf ich besonderen
Wert lege. Ausserdem kam
erleichternd dazu, dass ich mich nicht
mehr nur verteidigen musste, weil die
guten Resultate halfen. Darauf reifte in
der Öffentlichkeit die Erkenntnis, dass
wir eine positive Einheit mit einem
positiven Teamgeist geworden sind.
Das bezieht sich nicht nur auf die
23 Spieler, sondern auch auf jene, die
zu Hause sind und den ganzen Mitarbeiterstab.
Ich habe aber schon das Gefühl,
dass Sie lockerer, gelassener, zutraulicher
geworden sind. Täuscht
der Eindruck?
Ich bin weniger die Zielscheibe – das
hat sich vor allem verändert.
Sie müssen sich seltener in den
Schützengraben zurückziehen?
Ja. Am Anfang spürte ich deutliche Ablehnung
gegen mich. Da ist es nicht einfach,
locker zu bleiben, zu lachen.
Wenn man nicht viel Respekt spürt, ist
es enorm schwierig, Gelassenheit auszustrahlen.
Dabei habe ich am Anfang
gesagt: Wenn wir einander mit Respekt
begegnen, wird es für alle einfacher.
Aber es dauerte eineinhalb Jahre,
Das Spiel in Zürich Ende März 2016
gegen Bosnien-Herzegowina war ein
Tiefpunkt. Die Fans sind nicht gekommen ...
... doch sie sind gekommen und haben
90 Minuten gesungen.
+++ Squad announcement +++
— nationalteams_SFVASF (@SFV_ASF) 29. September 2017
Team 🇨🇭 for #SUIHUN (7.10. in Basel) & #PORSUI (10.10. in Lisbon)!
Let's do this! #RoadtoRussia pic.twitter.com/IgVIS0RaGl
Aber nur für das Auswärts-Team.
Die Nati hatte sich damals vom
Publikum entfremdet, obwohl es
hiess, der von uns thematisierte
«Balkan-Graben» sei entweder zugeschüttet
oder habe gar nie existiert.
Haben Sie in dieser Zeit gehadert,
gezweifelt?
Nein. Trotz den Niederlagen gegen Irland
und Bosnien-Herzegowina war ich
überzeugt, dass wir auf dem richtigen
Weg sind. Denn wir haben schon nach
der erfolgreichen EM-Qualifikation begonnen,
vieles in die richtige Richtung
zu lenken.
Was konkret?
Wir haben viele Diskussionen geführt, in
denen ich nichts anderes wollte, als dass
alle Probleme auf den Tisch kommen.
Ich habe die schonungslose Reflexion
provoziert. Alle haben sich geöffnet.
Vermeintliche Probleme haben sich als
unbedeutend herausgestellt. Diese Gespräche
hatten eine positive Wirkung.
Und dann kam die unmittelbare EM-Vorbereitung.
Erst in Lugano, wo wir
als Team näher zusammengerückt sind,
uns aber auch gegenüber den Medien
und den Fans noch mehr geöffnet haben.
Lugano war enorm wichtig für die Entwicklung
zu einer verschworenen Einheit.
Als wir uns dann in Frankreich auf
die EM vorbereiteten, gab ich jedem
Spieler und Staff-Mitglied ein Puzzle-Teil
in die Hand. Mit der unmissverständlichen
Message: Jeder muss seinen
Teil dazu beitragen, dass etwas Grosses
entsteht.
Blenden wir zwei Jahre zurück. Damals
verhielten sich Stephan Lichtsteiner
und Xherdan Shaqiri, das
Duo auf der rechten Seite, wie ein
zerstrittenes Ehepaar. Heute ähneln
die beiden – überspitzt formuliert –
zwei frisch Verliebten. Was haben
Sie mit den beiden gemacht?
Als ich Nati-Trainer wurde, war mir
wichtig, dass alle Spieler am selben
Tisch sitzen. Der zweite Schritt: Den
rechten Teil des Tisches mit dem linken
Teil zusammenzubringen. Es war ein
langer Prozess. Die erste Phase verlief
eigentlich gut. Weil vieles auf den fussballerischen
Bereich, die Spielidee und
taktische Varianten fokussiert war. Aber
dann wurden Probleme von aussen in
die Mannschaft getragen wie Ihr Balkan-Graben.
Das hat meine Arbeit nicht auf
Anhieb erleichtert, aber auch dazu beigetragen,
dass wir noch schneller und
stärker zusammenwuchsen.
Haben Sie sich unterdessen mit der
Schweiz, mit den Medien und mit
den Fussballfans versöhnt?
Ich brauchte keine Versöhnung. Ich
habe nur zweimal auf Angriffe reagiert,
in dem ich meine Standpunkte unmissverständlich
dargelegt habe. In beiden
Fällen war nicht ich die Zielscheibe.
Wenn der Entwicklungsprozess des
Teams gefährdet ist, setze ich mich zur
Wehr. Zugegeben, ich agiere heute vielleicht
früher. Nach dem Motto: Wehret
den Anfängen.
Fürchten Sie sich davor, die
gute Ausgangslage in der WM-Qualifikation
zu verspielen?
Jetzt sind wir in der negativen Denkweise,
das gefällt mir nicht. Wir haben
nie gesagt, die Schweiz muss die
Qualifikation auf Platz 1 abschliessen.
Zum Glück stehen wir jetzt so gut da,
dass wir theoretisch den ersten Platz
verspielen könnten. Aber die ganze
Welt würde es als eine grosse Sensation
werten, wenn wir Portugal hinter uns
liessen.
Nochmals …
… Nein, ich habe keine Angst.
Respekt?
Es tönt vielleicht absurd: Aber entscheidend
für die letzten zwei Spiele
ist, dass wir nicht zu euphorisch sind,
sondern mit kühlem Kopf auftreten
und clever agieren. Wir müssen selbstbewusst
in die Spiele gehen, aber wir
dürfen nicht zu ehrgeizig sein und
denken, wir könnten in Portugal gleich
auftreten wie gegen Andorra. Wir
müssen intelligent spielen und versuchen,
unserem Stil, dominant aufzutreten,
treu bleiben.
Es gibt Trainer, die sagen, die Angst
vor der Niederlage sei ihre stärkste
Triebfeder.
Das gilt für mich nicht. Für mich sind
die nächsten drei Punkte die stärkste
Motivation.
Sind Sie ein Typ, der sich während
der Fahrt durch den Gotthard-Tunnel
Gedanken macht, was jetzt
alles passieren könnte?
Nein. Ich freue mich auf das, was ich am
anderen Ende sehen und erleben darf.
Natürlich mache ich mir Gedanken
über reale Ereignisse wie das Erdbeben
in Mexiko. Aber ich bin nicht der Typ,
der sich mit möglichen Katastrophen
auseinandersetzt. Ich bin grundsätzlich
nicht der Typ, der schwarzmalt.
Haben Sie die Erinnerung an die
letzten Monate bei YB, als Sie einen
grossen Vorsprung auf Basel verspielt
haben, gelöscht?
An den meisten Orten, wo ich gearbeitet
habe, dachten die Leute: Nach
Petkovic wird es noch besser. Verstehen
Sie mich nicht falsch: Aber irgendwie
war es schon eine Bestätigung für meine
Arbeit, dass YB nach mir nicht wirklich
viel erfolgreicher war. In Bern redet
man offenbar noch heute gerne über
die Zeit, als ich Trainer bei YB war.
Gibt es Spiele, in denen Sie noch unmittelbar
vor dem Anpfiff an Ihrer
Aufstellung zweifeln?
Ja. Und ich sage Ihnen: Das sind
schwierige Momente für einen Trainer.
Denn es ist ähnlich wie beim Penaltyschiessen.
Wer unmittelbar vor dem
Schuss seinen ursprünglichen Plan
über den Haufen wirft, nicht mit voller
Überzeugung schiesst, läuft Gefahr,
dass er verschiesst.
Wie gehen Sie mit solchen Zweifeln
um?
Indem ich es mit mir selber ausmache.
Und vor allem: indem ich möglichst auf
den ursprünglichen, den ersten Plan
vertraue. Es ist ähnlich wie beim Gotthard.
Airolo rein, Göschenen raus,
gradlinig, ohne Umwege.