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Interview

Marco Odermatt spricht über Gefahren im Ski-Weltcup und die neue Saison

Swiss ski racer Marco Odermatt arrive on the Green Carpet at the 21th Zurich Film Festival (ZFF) in Zurich, Switzerland, on Wednesday, October 1, 2025. The Zurich Film Festival festival will run from  ...
Für einmal Anzug statt Renndress: Marco Odermatt besucht in Zürich die Premiere des Films «Downhill Skiers».Bild: keystone
Interview

Marco Odermatt: «Niemand hat damit gerechnet, dass es lebensbedrohlich wird»

Marco Odermatt, 28, verrät im Gespräch, warum es richtig ist, im Film «Downhill Skiers» schlimme Stürze zu zeigen, auf welche Schattenseiten des Erfolgs er verzichten könnte – und warum er in der Werbung als Brillenkäufer zu sehen ist, obwohl er keine Sehhilfe benötigt.
22.10.2025, 17:3022.10.2025, 17:30
Etienne Wuillemin / ch media

Am Wochenende beginnt die Skisaison. Passend dazu kommt am Donnerstag der Film «Downhill Skiers» in die Kinos. Die besten Abfahrer der Welt liessen sich eineinhalb Jahre lang begleiten. Herausgekommen ist ein spektakulärer Streifen voller Emotionen und Drama. Regisseur Gerald Salmina zeigt auf, wie nahe Podest und Spital liegen. Wir haben mit Marco Odermatt über seine wichtigsten Erkenntnisse des Films gesprochen.

Warum sollte man «Downhill Skiers» unbedingt im Kino sehen?
Marco Odermatt: Der Film ist richtig cool geworden. Einerseits ist er spannend für alle, die den Skisport schon kennen. Die bekommen einen tieferen Einblick, viel «Behind the Scenes» und anderthalb Jahre Abfahrtssport in zwei Stunden zusammengefasst mit vielen coolen Bildern, Musik und Emotionen. Aber auch für Leute, denen der Skisport nicht viel sagt, ist es interessant, einmal in diese Sportart reinzusehen. Die Action und das Risiko zu sehen. Überhaupt, wie gefährlich und gross die Aufgaben sind, die wir bewältigen – das kommt gut rüber.

Ist es richtig, dass in einem Dokumentarfilm über den Skisport die gefährliche Seite – also die Stürze und ihre Folgen – derart im Fokus steht?
Es ist organisatorisch extrem schwierig, so einen Film zu planen. Zuerst filmt man ein, respektive zwei Jahre und dann entsteht ein Storyboard. Du weisst zu Beginn ja nicht, wie alles rauskommt. Niemand hat damit gerechnet, dass von fünf Protagonisten mit Kilde und Sarrazin zwei so heftig stürzen, dass es lebensbedrohlich wird. Eines muss man schon sehen: Solche Stürze gab es in den letzten zehn Jahren vielleicht drei oder vier. Und nun gleich zwei innerhalb eines Jahres. Dass man dann die Geschichten von Kilde und Sarrazin zeigt, die sich innerhalb der Zeitspanne des Filmes so dramatisch verändern, ist ja klar.

Medical staff are carrying France's Cyprien Sarrazin after crashing into protections net during an alpine ski, men's World Cup downhill training, in Bormio, Italy, Friday, Dec. 27, 2024. (AP ...
Cyprien Sarrazin wird nach seinem Horrorsturz in Bormio abtransportiert.Bild: keystone

Sie hätten das auch so gemacht?
Ich finde es wichtig und richtig, ja. Es geht beiden den Umständen entsprechend gut. Das war auch die Grundvoraussetzung, dass der Film überhaupt ausgestrahlt wird. Wenn es anders gekommen wäre, dann hätten wir alles hinterfragen müssen. Schön ist, sowohl bei Kilde als auch bei Sarrazin, wenn man ihnen zuhört, dann spürt man, wie sie den Sport weiterhin lieben, wie motiviert sie sind und wie sehr sie sich freuen auf all das, was hoffentlich bald wieder kommt. Ich glaube, der Film zeigt die verschiedenen Emotionswelten in sehr kurzer Zeit von positiv zu negativ sehr gut.

Eine Szene finde ich besonders prägend. Man sieht Ihren Vater Walter, der in Kitzbühel sagt: «Manchmal denke ich, was habe ich nur gemacht mit meinem Sohn!» Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sehen, wie Ihre Eltern Angst um Ihre Gesundheit haben?
Ehrlich gesagt nicht übertrieben viel. Das Risiko ist Teil des Geschäfts. Mein Vater hat das ja auch sehr schön weiter ausgeführt: Wir reden hier vom letzten Promille der Skifahrer. Den Abfahrtssport führen die Besten der Besten aus. Es ist ja auch nicht so, dass jeder, der mit 18 die Autoprüfung macht, damit rechnet, dass er einmal Formel 1 fährt. Genauso ist es im Skisport. Die Abfahrt ist das Schnellste, das Gefährlichste, das Gröbste und dadurch auch das Interessanteste. Im Motorsport gibt es auch Unfälle. Und es ist klar, wenn du als Eltern deinem Kind zuschaust, bist du auch nervös. Aber die ganz grosse Breite der Skifahrer betrifft das nicht.

Ich frage mich: Wirkt der Skisport für viele Kinder oder Eltern nicht eher abschreckend, wenn sie in diesem Film so viele Stürze sehen?
Vielleicht schon ein bisschen. Es wäre auch okay gewesen, zwei, drei Stürze weniger zu zeigen. Aber nochmals: Der Film zeigt die überwiegend positiven Emotionen und besonders eindrücklich finde ich, wie aus den Gesprächen mit den Gestürzten hervorgeht, wie speziell und voller Spass das Leben im Skizirkus ist. Sie möchten diese Emotionen möglichst rasch wieder erleben, das zeigt schon auch, wie lohnenswert es ist, Teil der Abfahrts-Szene zu sein.

FILE - Norway's Aleksander Aamodt Kilde falls during an alpine ski, men's World Cup downhill race, in Wengen, Switzerland, Saturday, Jan. 13, 2024. (AP Photo/Alessandro Trovati, File)
Dieser Sturz verändert sein Leben: Kilde rast im Januar 2024 in Wengen ins Fangnetz – noch immer ist er nicht auf die Rennpiste zurückgekehrt.Bild: keystone

Wenn etwas passiert – wie rund um den tödlichen Trainingsunfall von Matteo Franzoso in diesem September – wird von überallher gerufen: «Zu gefährlich! Man muss etwas machen!» Später verebben die Rufe wieder. Gibt es etwas, wo Sie sagen: «Das muss besser werden!»?
Zunächst: Ihre Aussage ist richtig. Das ist immer so. Meine Antwort: jein. Es gibt keine klaren Dinge, die falsch laufen. Unser Sport wird immer gefährlich sein. Du wirst immer Risiko haben, egal wie viele Netze es gibt. So hart es tönt, am Ende ist jeder Athlet auch selbst für seine Sicherheit verantwortlich. Wie fühle ich mich heute? Wie fest kann ich ans Limit gehen? Klar, im Rennen sollte das keine Rolle spielen. Und trotzdem bist du derjenige, der die Verantwortung trägt.

Und der andere Teil des «Jein»?
Wir Athleten appellieren daran, dass möglichst gleiche Pistenverhältnisse herrschen vom Start bis ins Ziel. Das ist es, was wir fordern. Oder besser: Worauf wir hoffen. Denn die Umsetzung ist nicht immer einfach, gerade wenn wir an eine Abfahrt denken, die über drei, vier Kilometer stattfindet bei unterschiedlichen Höhenmetern. Am Ende sollen das Rennenfahren, der Sport und die Athleten im Vordergrund stehen. Das bedeutet, dass die Pisten spätestens zwei Wochen vor dem Rennen abgesperrt werden, damit genügend Zeit vorhanden ist, diese gut zu präparieren. Und nicht, weil grad das Wochenende davor kommerziell noch ein gutes ist, die Piste weiter offen bleibt und man erst drei Tage vor dem Rennen mit dem Präparieren beginnt. So funktioniert es nicht.

Es gibt einen weiteren Satz Ihres Vaters im Film, den ich eindrücklich finde. «Ich mache mir jetzt manchmal Gedanken, dass der Erfolg zu viel wird.» Ist der Erfolg für Sie zu viel?
Logisch hat Erfolg immer Sonnen- und Schattenseiten. Wofür arbeite ich so hart und gewissenhaft? Um schnell skizufahren, um Rennen zu gewinnen und um Erfolg zu haben. Aber klar, wenn ich ein paar Schattenseiten des Erfolgs abstellen könnte, würde ich das sofort tun.

Woran denken Sie?
Zum einen sicher die Anonymität, die man verliert. In der Schweiz oder im Alpenraum komme ich fast nirgends mehr unerkannt durch. Das würde ich, wenn ich etwas ändern könnte, sicher als erstes tun. Zum anderen denke ich vielleicht auch an Drucksituationen. Solche Sachen.

Skirennfahrer Marco Odermatt posiert auf dem roten Teppich an der Swiss-Ski Night am Freitag, 9. Mai 2025 in der Halle 622 in Zuerich. (KEYSTONE/Til Buergy)
In der Schweiz hat Marco Odermatt keine Anonymität mehr.Bild: keystone

In den letzten beiden Saisons haben Sie acht Kristallkugeln gewonnen. Sie sind Olympiasieger, dreifacher Weltmeister. Wie halten Sie die Lust am Skisport aufrecht?
Das ist die grosse Frage, die ich gerade jetzt vor der Saison auch noch nicht beantworten kann. Hoffentlich kann ich die Frage dann, sobald der Rennwinter läuft mit: «Die Lust ist einfach noch da» beantworten. Jedenfalls war ich im Sommer sehr motiviert für die harte Arbeit im Konditionsbereich. Und auch die ersten Skitage über habe ich alle die kleinen Schrittchen sehr diszipliniert gemacht, auch wenn nicht mehr mit demselben Hunger. Ich fahre jetzt auch schon zum zehnten Mal in Sölden in meiner Karriere, das ist viel. Dass irgendwo die Spannung ein bisschen abnimmt, ist normal. Dass nicht mehr jedes Rennen gleich wichtig ist, vielleicht auch. Aber für die grossen, wichtigen Rennen, nein, da habe ich keine Angst, zu wenig motiviert zu sein.

Dem früheren Dominator Marcel Hirscher ist nach acht Gesamtweltcupsiegen alles zu viel geworden. Wie antworten Sie jenen Schweizer Ski-Fans, die bei Ihnen Ähnliches befürchten?
Eine schwierige Frage, die ich nicht einfach so beantworten kann. Marcel und ich sind sicher ganz andere Typen. Ich glaube, wenn man in einem Privat-Team unterwegs ist wie er, dann ist die Gefahr automatisch schon mal grösser als bei mir, weil ich so ein cooles Team um mich habe. Da kommen immer wieder topmotivierte Junge, die vielleicht diese Freude und das locker Spielerische noch mehr ausstrahlen. Ich glaube, das ist sicher der grosse Unterschied.

Sie haben gesagt, Sie erhoffen sich, dass die Dokumentation «Downhill Skiers» hilft, um das Ski-Fieber auch ausserhalb der Schweiz und Österreich zu entfachen. Einen Schritt weiter gedacht: Muss sich der Skisport anpassen, um auch die Generationen Z und Alpha zu erreichen?
Es ist wichtig, dass man immer dranbleibt. Und die Schritte mitmacht bei der Entwicklung des Sports. Vom Marketing, über die Produktion bis hin zur Frage: Wie stellen wir unseren Sport dar? Es muss sich nicht extrem viel ändern, überhaupt nicht. Nach wie vor wird der Skisport gerade in der Schweiz und Österreich sehr gut verfolgt. Und man kann auch nicht erwarten, dass aus dem Skisport plötzlich die Formel 1 wird, die die ganze Welt interessiert. Und ich weiss auch nicht, ob das wirklich das Ziel sein muss. Am Ende fahren wir in den Skiländern, die bekannt sind – und auf diese muss man sich auch konzentrieren.

Aber wenn es hiesse: Wir brauchen spektakulärere Bilder! Wir wollen Drohnen noch näher ranlassen. Wären Sie offen dafür?
Die Technik gibt uns tatsächlich immer wieder neue und gute Möglichkeiten zur Entwicklung. Ich sehe jedenfalls in diesem Bereich mehr Potenzial, um die Rennen noch ein bisschen cooler und spektakulärer rüberzubringen, anstatt Streckenpassagen so zu verändern, dass es extremer und spektakulärer wird. Rein in der TV-Produktion ist sicher noch mehr möglich, von «On board Kamera», über Tonwiedergaben, G-Kräfte-Messung und, und, und. Da könnten wir beispielsweise von der Moto GP sehr viel abschauen.

epa11833746 Lars Roesti of Switzerland in action during the Men's Downhill race at the FIS Alpine Skiing World Cup in Wengen, Switzerland, 18 January 2025. EPA/JEAN-CHRISTOPHE BOTT
Eigentlich liefert der Skisport schon spektakuläre Bilder. Bild: keystone

Nun steht der Saisonauftakt in Sölden an. Was muss passieren, damit Sie sagen: «Es war ein gutes Wochenende!» Muss es der Sieg sein?
Zunächst: Ich fühle mich sehr gut. Ich bin bereit für das Rennen in Sölden und für den Saisonstart allgemein. Wenn man mit einem Podestplatz in die Saison startet, dann ist sicher immer alles sehr gut. Klar wünsche ich mir gleich den perfekten Start mit einem Sieg – aber es ist kein Wunschkonzert. Die Spitze wird immer breiter und die Konkurrenten geben immer mehr Gas, von daher ist es ein hoch gestecktes Ziel – aber kein unrealistisches. Aber eben: Fehler können immer passieren, das habe ich mit meinem Ausfall letztes Jahr auch erlebt. In Sölden geht es immer auch darum, zu spüren: Wie fahren die anderen Ski? Wie fahre ich Ski? Und dafür zählt nicht immer nur das Resultat.

Seit kurzem sind Sie in der Werbung als Brillenträger zu sehen. Tragen Sie selbst auch Brille oder Linsen?
Nein, noch nicht. Aber das ist mehr daraus entstanden, weil zum einen in meiner Familie alle schon Brillen oder Linsen haben. Und ich bin mir bewusst, dass das bei mir auch irgendwann kommt. Respektive ich merke auch jetzt schon, dass sich bei mir die Sehstärke verändert. Und darum ist das so zustande gekommen, weil mir die Augen sehr wichtig sind. Auch weil ich im Training sehr viel mit den Augen mache. Und ich einfach die Augen häufig kontrollieren gehe – und die Veränderungen sehen will. Das ist ja auch eine Message des Spots. Regelmässig die Kontrollen machen. Oft merkt man ja die Veränderungen gar nicht, weil sie schleichend kommen. Und die Brille aus dem Spot, das ist eine Meta-Brille, bei der es nicht rein um die Sehstärke geht.

Marco Odermatt macht Werbung für Brillen – obwohl er noch keine Brille braucht.
Marco Odermatt macht Werbung für Brillen – obwohl er (noch) keine Brille braucht.Bild: visilab

Wie trainieren Sie die Augen konkret?
Es geht darum, möglichst schnell auf scharf stellen zu können. Oder mit dem rechten und dem linken Auge unterschiedliche Sachen anschauen und fokussieren. Und aufs Skifahren bezogen: Aufwärmen der Augenmuskulatur. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Nach rechts, nach links, rauf, runter sehen. Verschiedene Sachen ansteuern, die Dinge ein bisschen bewusster anschauen. (aargauerzeitung.ch)

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Die (schon jetzt) unfassbare Karriere von Ski-Star Marco Odermatt
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Die (schon jetzt) unfassbare Karriere von Ski-Star Marco Odermatt
Am 8. Oktober 1997 wird Marco Odermatt in Stans NW geboren. Zwei Jahre und zwei Monate später steht Klein-Marco erstmals auf Skiern.
quelle: marco odermatt / marco odermatt
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nummy33
22.10.2025 18:26registriert April 2022
Super ODI wir freuen uns auf die Saison mit dir🥇
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Peter Griffin
22.10.2025 18:42registriert April 2019
Danke Odi, wünsche dir und dem Swiss Team einen guten Saisonstart.
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