Eine einzige Woche erst hat Yann Sommer im Kosmos des FC Bayern erlebt. Es hat gereicht, um die ganze Aufregung rund um diesen Weltverein zu erleben. Zwei Spiele. Zweimal 1:1. Entlassung des Torhüter-Trainers. Dazu ein Spieler, der den freien Sonntag nutzt, um nach Paris an die Fashion Week zu reisen. Ergibt Krise total und einen Sportchef, der bereits zur ersten Wutrede des Jahres ansetzt.
«Ich verfolge das entspannt und konzentriere mich auf meine Leistung», sagt Yann Sommer. Er sitzt in München im klubeigenen TV-Studio und blickt in die Kamera. Erstmals redet der Schweizer Nationaltorhüter mit wenigen Schweizer Medien ausführlich über seinen Wechsel von Borussia Mönchengladbach zu Bayern München.
Wie kam es zum ersten Kontakt mit den Bayern?
Yann Sommer: Völlig aus dem Nichts! Ich hätte nie damit gerechnet. Danach waren es immer sehr offene Gespräche, mit beiden Klubs. Es war mir wichtig, dass ich mit all jenen Leuten, mit denen ich zum Teil achteinhalb Jahren gearbeitet habe, sehr offen und korrekt umgehe.
Es gab bereits vor der WM Gerüchte, Sie würden zu Manchester United wechseln.
Ich hatte mit Mönchengladbach zwei, drei Gespräche geführt, auch schon vor der WM. Nach einer so langen Zeit macht man sich Gedanken: Wie könnte es weitergehen? Soll ich meinen Vertrag noch einmal verlängern? Oder eine neue Herausforderung annehmen? Dafür habe ich mich nun entschieden.
Warum?
Ich sehe es als riesige Chance. Es ist der FC Bayern München, einer der grössten Klubs in Europa, ja der ganzen Welt. Ich spürte, sie wollen mich unbedingt, was für mich sehr wichtig war. Ich weiss, wie der Trainer Julian Nagelsmann denkt, und habe gemerkt: Doch, das kann ich ihm als Torhüter geben, da fühle ich mich wohl. Und natürlich, ich sehe gute Möglichkeiten für sehr viel Erfolg.
Die Anspruchshaltung bei Bayern München ist: Es gibt nur den Sieg! Wie erleben Sie dieses «Mia san mia»-Gen?
Grundsätzlich: Ich will den maximalen Erfolg. Das reizt mich. Und darum passt Bayern zu mir. In den wenigen Tagen, in denen ich jetzt hier bin, habe ich schon gemerkt, dass die Spieler hier genau wissen, was es braucht, um Erfolg zu haben – bereits in jungen Jahren. Es gibt auch viele Leader hier. Und ich bin überzeugt davon, mit meiner Erfahrung auch etwas beitragen zu können.
Der Start war harzig, zweimal «nur» ein 1:1, gegen Leipzig und Köln – wie ist das für Sie?
Klar, wir haben uns das anders vorgestellt. Andererseits waren auch wir zwei Monate ohne Spiel, hatten direkt ein Topspiel auswärts gegen Leipzig vor der Brust. Aber ja, es ist so, als Bayern muss man immer gewinnen, ist man immer der Gejagte. Zum Glück haben wir am Samstag gegen Frankfurt bereits ein nächstes Topspiel und die Chance, etwas gutzumachen.
Heutzutage werden Fussballer nach einem Wechsel in derselben Liga mit Hass zugeschüttet. Bei Ihnen war das anders, die Fans aus Mönchengladbach gönnen Ihnen den Wechsel und die Aussicht auf Pokale. Wie haben Sie das erlebt?
Als Fan sagst du, wenn der eigene Torhüter in derselben Liga zu Bayern München wechselt, nicht zwangsläufig: «Hey, cool!» Aber das hätte ich auch verstanden. Umso mehr habe ich das extrem geschätzt. Das zeigt einmal mehr, wie toll das Umfeld Borussia Mönchengladbach ist. Darum freue ich mich sehr darauf – auch wenn es komisch wird – mit Bayern in den Borussia-Park zurückzukehren und alle Leute wiederzusehen.
Als Sie zu Mönchengladbach kamen, mussten Sie in der Garderobe ein Lied singen. Nun ebenfalls bei den Bayern?
Das Einstandsritual ist dasselbe bei den Bayern, ich muss vorsingen in der Garderobe, bis jetzt hat aber die Zeit dazu gefehlt.
Wissen Sie schon, welchen Song?
Mal schauen. Vielleicht nochmals «No Diggity» von Ed Sheeran und Passenger, schliesslich hat das damals ganz gut funktioniert. Ich hatte noch nicht viel Zeit, darüber zu brüten. Aber ich bin entspannt unterwegs.
Musik ist im Leben von Yann Sommer eine wichtige Energie-Quelle geworden. «Die Gitarre bringt mich in eine neue Welt. Ich sehe es fast meditativ. In dem Moment denke ich an gar nichts anderes mehr, als an das, was ich singe. Das hilft, mich komplett abzuspalten vom Druck und der Anspannung im ganzen Fussball-Business.» Das erzählt Sommer in einem sehenswerten Dokumentarfilm von SRF. Erstmals überhaupt in seiner Karriere lässt er darin Einblicke in sein Privatleben zu.
«Als Torhüter musst du immer so nahe wie möglich an die Perfektion kommen. Du darfst keine Fehler machen. Perfekt sein, das zieht sich bei mir durch. Den nicht perfekten Yann, den gibt es nur im Privatleben. Bei Yann, dem Privatmenschen, da gibt es auch Unsicherheiten und Sorgen. In diesen Momenten gibt mir meine Frau Alina Halt.»
Im Juni 2021 dringt die Familie Sommer ins Bewusstsein der ganzen Schweiz. EM 2021, die grösste Stunde in der Geschichte des Schweizer Fussballs. Mit Yann Sommer in der Hauptrolle. Dank seinem gehaltenen Penalty gegen Frankreich erreicht die Schweiz erstmals einen Viertelfinal an einem grossen Turnier. Für Sommer ist die Geschichte noch viel emotionaler. Er wird zum zweiten Mal Vater. Zwischen den Spielen gegen Italien und die Türkei reist er nach Hause, verbringt zwei Tage mit seiner Familie, ehe er zurück zum Team reist.
Für die Familie sind es intensive, herausfordernde Tage. Sommer braucht nach der EM einige Wochen, um wieder in die Rolle des Ehemanns und Vaters zurückzufinden. Auch nicht gerade hilfreich ist, dass die Familie wegen eines Schadens vorübergehend das eigene Haus nicht mehr bewohnen kann.
Auch an der WM 2022 ist Yann Sommer einer der grössten Schweizer Hoffnungsträger. Ist nun auch die Zeit für einen Exploit auf der grössten Bühne gekommen? Das Abenteuer endet diesmal abrupt und mit einer grossen Enttäuschung. 1:6 im Achtelfinal gegen Portugal. Die Fussball-Schweiz ist geschockt. Mit ihr Yann Sommer. Erkältet wegen eines hartnäckigen Virus verpasst er zuerst das Gruppenspiel gegen Serbien. Gegen Portugal ist auch er nicht in Höchstform.
Während für die meisten Nati-Spieler der Alltag schnell wieder beginnt, folgt für Sommer indes bald das grösste Abenteuer seiner Karriere. 34-jährig ist der Nati-Torhüter mittlerweile. An das Ende seiner Karriere denkt er aber noch lange nicht. «Die Beziehung zu meinem Körper ist je länger desto besser. Ich investiere sehr viel. Und ich bekomme sehr viel zurück. Wenn ich mich nicht verletze, habe ich easy noch vier, fünf Jahre», sagt er im SRF-Dok-Film.
Wie erleben Sie das veränderte Goalie-Leben bei den Bayern? Es gibt kaum etwas zu tun – ist doch langweilig!
Auf keinen Fall (lacht)! Grundsätzlich verändert sich ja nichts, man muss als Torhüter sowieso in jeder Sekunde zu 100 Prozent konzentriert sein, den vollen Fokus aufs Spiel gerichtet haben. Das ist der Job. Wenn es mich plötzlich braucht, muss ich bereit sein.
In der Champions League trifft Bayern im Achtelfinal auf Paris St. Germain. Hatten Sie bereits die Gelegenheit, darüber nachzudenken?
Die Vorfreude ist da. Aber darüber nachdenken? Nein. Dafür war schlicht noch keine Zeit. Wir werden uns damit beschäftigen, wenn der Moment da ist.
Sie sind bei den Bayern Nachfolger von Klub-Legende Manuel Neuer. Schon in Mönchengladbach und Basel beerbten Sie mit Marc-André Ter Stegen und Franco Costanzo grosse Figuren. Helfen diese Erlebnisse?
Bei jedem Wechsel helfen einem die Erfahrungen, die man in der Karriere gemacht hat. Als ich von Basel nach Gladbach bin, hatte ich das Gefühl, ich müsste mich neu beweisen. Nun empfinde ich die Situation als anders, weil es dieselbe Liga ist, Fans und Mitspieler kennen mich schon. Ich sehe es einfach als grosse Herausforderung, für Bayern München auch das abzurufen, was mir in der Vergangenheit gelang. Es tut auch mir gut, nach so langer Zeit etwas Neues kennenzulernen. Es ist nochmals eine Horizonterweiterung.
Welche Bedingungen müssen in einem Verein herrschen, damit Sie sich wohlfühlen?
Was mir ganz wichtig ist: Wie ist das erste Gefühl im neuen Verein? Wie werde ich empfangen? Wie wird mir geholfen? Ich komme in ein neues Umfeld, der Klub, die Menschen, alles neu, es gibt viele Themen, die man organisieren muss. Da war es schön, zu erleben, wie herzlich ich empfangen wurde. Nachher braucht es viel Vertrauen, man muss sich wohlfühlen.
Sie sagen, sehr im Moment zu leben. Die Zukunft aber heisst: Für die Saison 2023/24 hat der FC Bayern drei Torhüter unter Vertrag, Manuel Neuer, Alexander Nübel und Yann Sommer. Wären Sie bereit, für die Bayern auf die Bank zu sitzen?
Ganz ehrlich: Ich mache mir über die Szenarien, die im Sommer kommen könnten, gar keine Gedanken. Ich habe mir gesagt: Die Situation ergab sich aus dem Nichts, das ist für mich eine grosse Challenge. Ich habe sie angenommen und werde jetzt, so langweilig das klingt, Schritt für Schritt versuchen, für die Mannschaft ein guter Torhüter zu sein. Und freue mich sehr auf alle Aufgaben, die kommen.
Trotzdem ist das Thema in den Medien stets präsent. Wie gelingt es Ihnen, dies auszublenden?
Indem ich die Artikel gar nicht lese – was nicht heisst, dass sie nicht gut wären (lacht). Ich probiere, mich komplett auf den Fussball und das Privatleben zu konzentrieren. Meine Familie ist derzeit noch in Düsseldorf. Ich versuche alles, dass wir uns als Familie so rasch wie möglich wohlfühlen in München. Alles andere interessiert mich neben dem, was auf dem Platz passiert, derzeit nicht.
Torhütertrainer Toni Tapalovic, ein enger Vertrauter von Manuel Neuer, wurde anfangs der Woche vom Verein entlassen. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Toni hat mich sehr gut empfangen. Wir hatten noch nicht viele Tage und Berührungspunkte zusammen. Es war eine klubinterne Entscheidung, wie es weitergeht.
Ihr Nachfolger in Mönchengladbach heisst Jonas Omlin und ist ebenfalls Schweizer. Haben Sie ihn dem Klub empfohlen?
Nein, das musste ich gar nicht. Auch in Gladbach gibt es eine sehr gute Scouting-Abteilung – wobei man nicht wirklich ein guter Scout sein muss, um zu merken, dass Jonas Omlin ein guter Torhüter ist und supergut zu Gladbach passt. Er passt als Typ und als Goalie perfekt zum Klub und wird eine grosse Bereicherung sein.