In ein paar Stunden reisen Sie nach Spanien. Sie haben lange auf diesen Moment gewartet …
Stan Wawrinka (unterbricht): Seit ganz genau einem Jahr. Ich habe seit einem Jahr nicht mehr gespielt. Die erste Operation am linken Fuss fand am 26. März 2021 statt.
Und wie geht es Ihnen jetzt?
Ich bin super glücklich. Super aufgeregt. Ich kann es kaum erwarten, diese Emotionen, die ich so lange vermisst habe, wieder zu erleben. Noch vor einem Monat, wirklich vor einem Monat, hätte ich mit geschlossenen Augen unterschrieben, jetzt wieder spielen zu können.
Wie ging es Ihnen denn vor einem Monat?
Ich war mit Pierre Paganini (Wawrinkas Konditionstrainer, Anm. d. Red.) zusammen. Wir konnten weder Sprünge, noch viele andere wichtige Bewegungen machen. Wir hatten das Ziel, wieder zurückzukommen, aber keine Gewissheit, dass wir es schaffen würden. Es war nicht immer angenehm … Heute fühle ich mich viel besser. Ich werde einige Partien brauchen, um wieder in Form zu kommen, weil ich nicht viel Tennis gespielt habe. Aber es ist nicht schlimm, wenn ich am Anfang verliere. Ich freue mich vor allem darauf, die Maschine an ihre Grenzen zu bringen. Endlich wieder.
Ohne irgendwelche körperliche Befürchtungen?
Ich habe keine Angst, denn ich habe mit Pierre gerade einen grossen Trainingsblock absolviert und ich habe volles Vertrauen in sein Urteilsvermögen. Wenn ich richtig rechne, arbeiten wir seit 20 Jahren zusammen. Er kennt mich in- und auswendig. Er hat eine fast extreme Kenntnis des menschlichen Körpers. Ich habe mich strikt an sein Programm gehalten und es hat funktioniert – wieder einmal.
Haben Sie nach einem Jahr Pause Lampenfieber, wenn Sie wieder auf dem Tennisplatz stehen?
Im Moment nicht. Eher eine grosse Vorfreude, aber kein Lampenfieber oder ähnliches. Auch wenn ich noch Schmerzen habe, auch wenn es manchmal schwierig ist, habe ich eine Art positive Energie, die mich noch glücklicher macht. Ich weiss, was ich durchgemacht habe. Das ganze Jahr über war es sehr hart, mit vielen Rückschlägen. Jetzt weiss ich, dass es keinen anderen Ausweg gibt als die Rückkehr in den Wettkampf.
Sie sprachen von Rückschlägen.
Es war wirklich wie in einem Wellenbad, es ging hoch und runter … Zuerst gab es die erste Operation, um die Schmerzen zu lindern. Wir dachten, dass ich für die Sandplatzsaison bereit sein würde, aber wir haben vergessen, das Jahr anzugeben (lacht gequält). Erst im Mai konnten wir wieder mit dem Training beginnen, aber die Schmerzen gingen nicht weg. Ich hatte eine Art grosse Entzündung im linken Fuss. Nach den Spielen konnte ich fast nicht mehr laufen. Wir mussten eine zweite, deutlich schwerere Operation durchführen.
Nach dieser Operation lag ich weinend in meinem Spitalbett und stellte mir vor, wie viel Zeit ich an Geräten und auf dem Velo verbringen muss, um kleine Fortschritte zu machen. Man hatte mir gesagt, dass es nur ein paar Monate dauern würde, aber aufgrund meiner Erfahrung wusste ich, dass es länger gehen würde. Ärzte sind bei Spitzensportlern manchmal zu optimistisch, sie machen keinen Unterschied zu Otto Normalverbraucher oder sie sagen ihnen, was sie hören wollen. Später hatte ich das Glück, Dr. Christophe Baudot, den Arzt von Paris Saint-Germain, zu treffen, der mit solchen Verletzungen vertraut ist.
Er hat uns erzählt, dass er nicht optimistisch war, als Sie das erste Mal bei ihm waren …
Im Gegenteil, er war sehr positiv. Aber er war ehrlich zu mir: Er sagte, dass die Genesung Zeit brauchen würde, viel mehr Monate als erwartet. Er war direkt: Ich hatte keine Garantie, dass ich je wieder an Turnieren teilnehmen würde. Und er hatte recht. Ich habe seine Offenheit und unser Vertrauensverhältnis sehr geschätzt.
Wie haben Sie die Geduld gefunden, die Ihnen sonst manchmal fehlte?
Auch hier habe ich wieder viele verschiedene Phasen durchlaufen. Nach der Operation bist du am Boden zerstört. Aber mit dem Gips hast du schon eine Frist, du weisst, wann du ihn abnehmen kannst. Erst nach drei, vier Monaten, wenn du immer noch nicht laufen kannst, fängst du an, dir den Kopf zu zerbrechen. Und wenn du immer noch Schmerzen hast, sechs Monate später, acht Monate später, dann fragst du dich, wann es endlich vorbei ist.
Wie sind Sie mit diesen Zweifeln umgegangen?
Selbst in sehr dunklen Zeiten habe ich versucht, Scheuklappen aufzusetzen. Ich habe aufgehört zu denken, weil es irgendwann keinen Sinn mehr machte. Ich habe mich Tag für Tag weiterentwickelt. Ich vertraute meinen Mitmenschen und hielt mich an den Plan.
Eine Transplantation am linken Knie, eine schwere Operation an der Sehne des linken Fusses. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Verletzungen?
Es ist immer dasselbe: Ein Arzt wird sagen, dass es einen Zusammenhang gibt, ein anderer wird sagen, dass es keinen Zusammenhang gibt, und ein dritter wird sagen, dass es mit meiner Spielweise zu tun hat, da ich auf der linken Seite sehr stark aufsetze. Niemand kann diese Frage eindeutig beantworten. Deshalb sollte man aufhören, sie sich selbst zu stellen. Man sollte vor allem daran denken, dass ich 36 Jahre alt bin und seit 20 Jahren Vollgas gebe.
Wie lange haben Sie schon mit den Schmerzen im linken Fuss gespielt?
Seit eineinhalb Jahren. Beim Knie war es ähnlich, ich habe neun Monate lang mit Schmerzen gespielt, darunter eine Zeit lang auf Sand, wo die Schläge nicht so hart waren, also habe ich weitergespielt. Aber auf Rasen war es vorbei. Ich konnte nicht mehr.
Wann wurde Ihnen klar, dass Sie aufhören mussten?
Das Problem bei grossen Verletzungen ist, dass du sie so lange wie möglich mit dir herumschleppst. Du weisst, was kommt, und willst es so lange wie möglich hinauszögern. Bei meinem Knie wussten wir, dass ich Schmerzen hatte. Wir wussten, dass es nicht halten würde und wir wussten, dass eine Operation nötig sein würde. Aber ich war die Nummer 3 der Welt. Ich habe in Australien mit Schmerzen die Halbfinals erreicht. Für mich gab es also kein Zögern: Solange ich in der Lage war, diese Schmerzen zu akzeptieren, würde ich weitermachen. Natürlich, denn ich war spielerisch in Topform.
Aber Sie gingen ein Risiko ein.
Die Schmerzen zu ertragen, war für mich überhaupt kein Problem. Das Problem ist, dass es auch zu einer geistigen Abnutzung führt. Es macht müde, ständig Schmerzen zu haben. Der Körper wird bis an seine Grenzen getrieben und eines Tages sagt er «Stopp!» und macht dir klar, dass es nicht mehr weitergeht. Bei mir war das in Doha. Ein Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab.
War der Wettkampf in all den Jahren der Genesung Ihre einzige Motivation?
Natürlich habe ich mir tausendmal die Frage gestellt: «Soll ich aufhören?» Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht. Aber die Rehabilitation war auf jeden Fall notwendig. Ich musste gesund werden, um wieder laufen oder Skifahren zu können. Natürlich war der Wettkampf mein Ziel, aber wie Christophe schon sagte, war die Rückkehr nicht sicher. Also habe ich aufgehört, mir Fragen zu stellen, und habe gearbeitet.
Im Fitnessstudio haben Sie mit den Verletzten von PSG, insbesondere mit Sergio Ramos, zusammengearbeitet. Haben Sie sich gegenseitig Mut zugesprochen?
Ramos habe ich oft gesehen, weil wir die gleichen Arbeitszeiten hatten (lacht). Mit ihm habe ich viel geredet. Es war sehr nett.
Auch mit anderen Athleten aus anderen Sportarten?
Im Camp des Loges sind eigentlich nur Fussballer zugelassen. Das Zentrum ist für andere Sportler geschlossen.
Nasser Al-Khelaïfi, der Präsident von PSG, hat Ihnen einen Gefallen gemacht. Aus welchem Grund?
Ich kenne ihn vom Tennis. Wir sind immer in Kontakt geblieben und als ich diese Verletzung hatte, suchte ich nach Spezialisten, die sie behandeln konnten. Es war sehr nett von ihm, mir die Türen des Camp des Loges zu öffnen. Nasser hat mir sein Team zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm unendlich dankbar bin.
Haben Sie bei PSG neue Freundschaften geschlossen?
Nein. Wir hatten gute Gespräche, wir haben mit vielen Spielern und dem Trainer über Gott und die Welt gesprochen, aber ich habe versucht, für mich zu bleiben und niemanden zu stören. Sie stehen auch unter grossem Druck.
Wie sah ein typischer Tag in der Reha aus?
In dieser Phase verbrachte ich zwischen vier und sechs Stunden im Camp: Physio, Aufwärmen, spezielle Übungen, Muskelaufbau, eine gute Stunde Radfahren, ein Eisbad. Schliesslich vergingen die Tage wie im Flug. Das ist der Punkt, an dem die Rehabilitation sehr undankbar ist: Man strengt sich viel mehr an als sonst, um wenig zu erreichen. Aber ich muss zugeben, dass ich gerne trainiere, auch wenn die Stimmung manchmal kippt. Ich war immer guter Laune, wenn ich im Camp ankam. Wenn die Mitarbeiter am Morgen Zeit hatten, organisierten wir kleine Challenges beim Rudern oder Radfahren. Für sie war es eine Gelegenheit, Sport zu treiben, und für mich war es ein zusätzlicher Anreiz, es sorgte für eine gute Atmosphäre.
Sie brauchen keinen Tennisschläger, um sich anzustrengen?
Nein.
In gewisser Weise mögen Sie die Anstrengung um der Anstrengung willen.
Ja, ich mag das. Ich mag es, mich zu verausgaben, mich auszukotzen.
Hat Ihr Körper während dieses Jahres mehr Endorphine oder mehr Adrenalin verlangt?
Ganz klar mehr Adrenalin. Man spürt den Mangel, aber man akzeptiert ihn. Es ist ein echter Mangel. Man muss versuchen, ihn zu vergessen.
Wurden Sie von anderen Tennisspielern kontaktiert?
Wahrscheinlich nicht (lacht). Ich habe im Laufe des Jahres ein paar Nachrichten erhalten, aber mehr nicht.
Von Roger Federer?
Ja, natürlich. Für ihn ist es auch schwer. Wir melden uns regelmässig beim anderen.
Ihre Inaktivität war dennoch relativ. Innerhalb eines Jahres haben Sie einen Film produziert und gedreht («Maison de retraite», «Altersheim»), einen Uber-Konkurrenten gegründet (ein Projekt, das inzwischen eingestellt wurde) und ein NFT-Spiel (non-fungible token) auf den Markt gebracht. Was treibt sie dazu an?
Ich glaube, ich kann sagen, dass ich ein Arbeitstier bin. Ein wirklich grosser Arbeiter. Ich liebe es, die ganze Zeit beschäftigt zu sein. Ja, ich bin ein wenig hyperaktiv. Ich mag es, etwas zu erschaffen, zu versuchen und zu entdecken. Und ich habe auch Lust, über meinen Lieblingsbereich hinauszugehen und zu versuchen, andere Dinge zu verstehen. Für den Film hatte ich bereits 2019 meine Produktionsfirma gegründet. Wir haben im letzten Jahr einen weiteren Film gedreht und haben mehrere Projekte in Arbeit.
Mit NFT ist es ähnlich. Ich bin durch einen Freund auf diese Welt aufmerksam geworden und habe mich mit der Web3-Gemeinschaft enorm ausgetauscht. Ein Jahr lang gab es viele Hürden, und dann, im Januar und Februar, hat sich die Arbeit plötzlich ausgezahlt. Der Film wurde veröffentlicht und das Publikum liebt ihn (bis heute rund 1,6 Millionen Kinobesucher in Frankreich, Anm. d. Red.). Der NFT ist ein Hit, wir sind ausverkauft, obwohl es schwierig ist, in diesem Geschäft, in dem es sehr viele Projekte gibt, den Durchbruch zu schaffen. Es sind nicht die gleichen Emotionen wie beim Tennis, aber es ist ein gutes Gefühl, wenn es klappt.
War das Lampenfieber am Filmset das gleiche wie auf dem Tennisplatz?
Sagen wir mal so: Meine kleine Rolle in «Maison de retraite» war nicht geplant … Es war ein Augenzwinkern, eine Idee von Kev (Adams, seinem Partner und Freund, Anm. d. Red.). Ja, ich hatte Lampenfieber, weil ich diese Welt überhaupt nicht kannte und vor Schauspielern vom Kaliber eines Gérard Depardieu nicht versagen wollte.
Was kann man Ihnen jetzt wünschen?
Ich wünsche mir nichts mehr als Gesundheit. Wir alle brauchen sie, überall auf der Welt. Manchmal ist uns Sportlern das bewusster als anderen.
Was wollen Sie im Tennis noch erreichen?
Ich möchte wieder ein sehr gutes Niveau erreichen, auch wenn das noch eine Weile dauern wird. Idealerweise möchte ich einen Titel gewinnen. Es ist egal, ob es ein kleines oder ein grosses Turnier ist, nur wegen des Gefühls der Erfüllung.
Sind Sie überrascht, dass die Grand Slams immer noch von Novak Djokovic und Rafael Nadal gewonnen werden?
Nein, mich überrascht nichts mehr. Nadal, Djokovic und Federer sind die grössten Spieler aller Zeiten. Sie haben so viele Rekorde gebrochen, dass es keinen Unterschied macht, ob es einer mehr oder einer weniger ist. Natürlich wird es irgendwann zu der angekündigten Machtübergabe kommen. Aber solange diese drei noch aktiv sind, kann man sich auf nichts verlassen. Sie sind nicht von dieser Welt.
Ist Ihr Alter ein Anreiz für Sie, zurückzukommen?
Nein, ich komme für mich, für meine Ziele und aus persönlichen Gründen zurück, und ich habe nie das Niveau dieser drei erreicht, was ihre Karriere angeht. Ich stelle auch fest, dass sich der Spitzensport stark verändert. Spieler, die 36 oder 38 Jahre alt sind, dominieren immer noch das Tennis, den Fussball oder den Basketball. Wie sie habe ich immer noch Lust, starke Emotionen zu erleben. Ich habe immer noch Lust, Heldentaten zu vollbringen. Ich habe weitherhin Lust, diese grossen Spiele mit dem Publikum noch einmal zu erleben und meine Karriere richtig zu beenden, mit einem letzten Exploit.
Was ist für Sie «richtig»?
Man muss zugeben, dass 95 Prozent der Spieler nicht wissen, wie sie aufhören sollen. Es ist schwer, über das Ende zu entscheiden. Im Grunde gibt es keinen richtigen Zeitpunkt. Wenn ich «richtig» sage, dann meine ich das mit einem positiven Gefühl, dass ich froh bin, hier zu sein, und nicht allein in einem Fitnessstudio, wo es überall zieht.
Sie haben immer einen aussergewöhnlichen Willen gezeigt. Während Ihrer Verletzungen noch mehr. Wie viel davon ist angeboren und wie viel erlernt?
Ich bin davon überzeugt, dass man alles im Leben erarbeiten kann. Alles entwickelt sich. Natürlich spielt die Erziehung eine Rolle, der Charakter, das Umfeld, die Lebenserfahrungen, aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man seinen Willen oft unterschätzt. Um ihn zu entwickeln, muss man in erster Linie lieben, was man tut. Aber wenn das der Fall ist, gibt es keine Grenzen. Willenskraft ist für jeden Enthusiasten erreichbar.
Stan the Man ist eine irrsinnige Inspiration.