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EM 2025: Ertappt! Die Frauen sind im Fussball auch fies wie die Männer

FOOTBALL FEMININ : Suisse vs Norvege - Euro 2025 - 02/07/2025 lors du match Suisse vs Norvege, Euro f
Die norwegischen Spielerinnen liessen sich gegen die Schweiz oft Zeit, ehe die Partie nach einem Unterbruch weiterging.Bild: www.imago-images.de
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Ertappt! Die Frauen sind auch fies

Da spielen die Norwegerinnen beim Auftakt der EM auf Zeit, und schon fliegen die Korken: Ertappt! Frauen sind auch fies! Alles nur ein Klischee also, dass der Frauenfussball sauberer ist, ehrlicher als jener der Männer? Von wegen!
04.07.2025, 15:1804.07.2025, 15:32
Walter De Gregorio
Walter De Gregorio
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Beim Auftaktspiel gegen die Schweiz am letzten Mittwoch in Basel nervten die Nordländerinnen tatsächlich gehörig mit ihrem Rumgeschiebe, dem Verzögern, dem Zeitschinden. Aber ist das nun repräsentativ für den Frauenfussball? Ich habe nichts derlei gesehen am Tag darauf beim souveränen 5:0-Sieg der Spanierinnen gegen Portugal. Auch nicht im Spiel Belgien gegen Italien, 0:1. Auch keine sterbenden Schwäne.

Kurz: Muss man den Frauenfussball grundsätzlich neu beurteilen oder nicht? Muss man nicht. Nach dem Auftaktspiel der Schweiz kam es im Tram zum Gedränge wie sonst nie nach einem Spiel. Ebenso am Bahnhof.

Switzerland's Alisha Lehmann takes a selfie with fans at the end of the Euro 2025, group A, soccer match between Switzerland and Norway at St. Jakob-Park in Basel, Switzerland, Wednesday, July 2, ...
Zuschauerinnen posieren nach dem Spiel mit Ersatzspielerin Alisha Lehmann.Bild: keystone

Die Fahrt von Basel zurück nach Zürich war eine Herausforderung. Ganze Familien sassen am Boden, eingepfercht in den Abteilen, kein Durchkommen, wer pinkeln musste, hatte Pech. Hatte Basel den Termin vergessen? Auch die SBB?

Kann passieren, ich habe zweimal in einem Jahr einen DH-Termin verpasst, da kann man alle vier Jahre auch mal einen EM vergessen. Der Punkt ist: Die Stimmung war trotz Hitze, Platzmangel, Müdigkeit entspannt, friedlich. Es ist ein komplett anderes Publikum, das der Frauenfussball anzieht.

Die Idee, die Spieldauer in Zukunft auf 60 Minuten Nettozeit festzulegen, finde ich übrigens sinnvoll. Damit würde sich zumindest die Diskussion ums Zeitschinden erübrigen. Bisher hat das IFAB, das für das Regelwerk zuständige internationale Gremium, darauf verzichtet. In erster Linie aus historischen Gründen. Die konservativen Kräfte argumentieren, dass die Fussballtradition 90 Minuten verlangt, Punkt!

Switzerland's head coach Pia Sundhage during the UEFA Women's EURO 2025 Group A soccer match between Switzerland and Norway at the St. Jakob-Park stadium in Basel, Switzerland, on Wednesday, ...
Ein Kameramann filmt an der Schweizer Nationaltrainerin Pia Sundhage vorbei.Bild: keystone

Tatsächlich sind die Gründe vielfältiger. Die Planung der Live-Übertragung sei für die TV-Stationen schwierig, heisst es off the record, die logistische und sicherheitstechnische Planung ebenso, auch würden kommerzielle Einschränkungen befürchtet.

Diese Diskussion ist nicht neu, sie liefert interessante Daten. Die durchschnittliche Nettospieldauer bei den Männern beispielsweise liegt unter 60 Minuten, bei den Frauen deutlich darüber. Bei den Frauen gibt es viel mehr Spielunterbrüche, aber diese sind kurz. Bei den Männern ist es gerade umgekehrt: weniger Unterbrüche, längere Pausen. Der Torjubel dauert bei den Männern eine Minute, bei den Frauen 30 Sekunden.

Switzerland's defender Nadine Riesen, 2nd right, celebrates her goal with teammates after scoring the 1:0, during the UEFA Women's EURO 2025 Group A soccer match between Switzerland and Norw ...
Die Schweizerinnen feiern Nadine Riesens (Zweite von rechts) Führungstor.Bild: keystone

Es geht hier nicht um eine grundlegende Gender-Debatte, obwohl der Frauenfussball historisch immer auch ein Kampf um Gleichberechtigung und Gleichstellung war. Die Generation der heranwachsenden Mädchen interessiert das nicht. Sie spielen Fussball, weil sie Lust darauf haben. Und sie spielen anders, befreiter als ihre Mütter. Vielleicht gelingt es diesen Mädchen dereinst, diesen Sport zu entkrampfen.

Womit wir vermintes Terrain betreten: Wenn Frauen im Fussball deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, dann nicht, weil sie Frauen sind. Es hat nur noch wenig mit Unterdrückung, Sexismus und dem ganzen feministischen Arsenal zu tun, das abgefeuert wird bei diesem Thema. Es ist der Markt, der entscheidet. Mehr TV-Gelder und Sponsoren, mehr Lohn und Prämien. Man kann querfinanzieren, aber man kann den Markt nicht ignorieren.

Das heisst nicht, dass die Forderung nach Gleichbehandlung – finanziell, strukturell – unberechtigt wäre. Aber diese Forderung muss auf Basis anderer Kriterien erfolgen. Es geht um Werte und Haltungen, um Vorbildfunktionen, nicht um Schusskraft und Schnelligkeit. Oder irgendwelche Trainingsspiele gegen Jungen, die verloren gehen. Diese sogenannten weichen Erfolgsfaktoren, «soft criteria», machen den Frauenfussball aus und sind für eine moderne Gesellschaft von Bedeutung.

Ändert sich das, weil Norwegerinnen auf Zeit spielen?

Walter De Gregorio
Bild: wdg consulting

Walter De Gregorio ist ehemaliger FIFA-Direktor für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Heute arbeitet er als Berater für internationale Sportpolitik.

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Loginjust4vote
04.07.2025 16:24registriert September 2022
Kein zeitspiel bei spanien-portugal? Nach 7 minuten war der spass entschieden, nach 45 minuten 4-0, warum also auf zeit spielen und vor allem wer? Die spanierinnen um sich zu schonen oder die portugiesinnen um nicht noch deutlicher zu verlieren?

Wenn es nach 80 minuten 0-1 für portugal steht, dann wäre es aussagekräftig, ob es ein zeitspiel gegeben hätte..
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jaähä
04.07.2025 16:07registriert April 2015
Als ich gestern in Zürich beim Public Viewing vorbeilief, habe ich nicht schleht gestaunt: hinter der riesenleinwand sassen hunderte Zuschauer - auf dem Boden. Undenkbar bei einem Männerspiel, dort wird ja eher umgekehrt gehabdelt ubs sitzplätze zu stehplätzen umfunktioniert. Ein total anderes Publikum, mit einem ganz anderen Bezug zum Sport. Ich befürchte aber dass die überwältigende Mehrheit hiervon niemehr ein Frauen Liga oder Nati Spiel ausserhalb der EM schaueb gehen wird.
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Barracuda
04.07.2025 15:47registriert April 2016
Das Publikum ist in der Tat ein anderes. Es sind noch erheblich mehr Mode und Event-Fans, die grosse Töne spucken und danach aber nur noch selten in Stadien anzutreffen sind. Sonst würden die Frauen nicht vor dieser erbärmlichen Kulisse spielen in der Liga. Genau für dieses verlogene Gehabe habe ich Null Verständnis. Ernstgemeinte Frage: Wo sind sonst all die Leute, die den Frauenfussball in diesen Tagen krampfhaft zu etwas hochstilisieren, das nur wenig mit der Realität zu tun hat?
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