Beim Auftaktspiel gegen die Schweiz am letzten Mittwoch in Basel nervten die Nordländerinnen tatsächlich gehörig mit ihrem Rumgeschiebe, dem Verzögern, dem Zeitschinden. Aber ist das nun repräsentativ für den Frauenfussball? Ich habe nichts derlei gesehen am Tag darauf beim souveränen 5:0-Sieg der Spanierinnen gegen Portugal. Auch nicht im Spiel Belgien gegen Italien, 0:1. Auch keine sterbenden Schwäne.
Kurz: Muss man den Frauenfussball grundsätzlich neu beurteilen oder nicht? Muss man nicht. Nach dem Auftaktspiel der Schweiz kam es im Tram zum Gedränge wie sonst nie nach einem Spiel. Ebenso am Bahnhof.
Die Fahrt von Basel zurück nach Zürich war eine Herausforderung. Ganze Familien sassen am Boden, eingepfercht in den Abteilen, kein Durchkommen, wer pinkeln musste, hatte Pech. Hatte Basel den Termin vergessen? Auch die SBB?
Kann passieren, ich habe zweimal in einem Jahr einen DH-Termin verpasst, da kann man alle vier Jahre auch mal einen EM vergessen. Der Punkt ist: Die Stimmung war trotz Hitze, Platzmangel, Müdigkeit entspannt, friedlich. Es ist ein komplett anderes Publikum, das der Frauenfussball anzieht.
Die Idee, die Spieldauer in Zukunft auf 60 Minuten Nettozeit festzulegen, finde ich übrigens sinnvoll. Damit würde sich zumindest die Diskussion ums Zeitschinden erübrigen. Bisher hat das IFAB, das für das Regelwerk zuständige internationale Gremium, darauf verzichtet. In erster Linie aus historischen Gründen. Die konservativen Kräfte argumentieren, dass die Fussballtradition 90 Minuten verlangt, Punkt!
Tatsächlich sind die Gründe vielfältiger. Die Planung der Live-Übertragung sei für die TV-Stationen schwierig, heisst es off the record, die logistische und sicherheitstechnische Planung ebenso, auch würden kommerzielle Einschränkungen befürchtet.
Diese Diskussion ist nicht neu, sie liefert interessante Daten. Die durchschnittliche Nettospieldauer bei den Männern beispielsweise liegt unter 60 Minuten, bei den Frauen deutlich darüber. Bei den Frauen gibt es viel mehr Spielunterbrüche, aber diese sind kurz. Bei den Männern ist es gerade umgekehrt: weniger Unterbrüche, längere Pausen. Der Torjubel dauert bei den Männern eine Minute, bei den Frauen 30 Sekunden.
Es geht hier nicht um eine grundlegende Gender-Debatte, obwohl der Frauenfussball historisch immer auch ein Kampf um Gleichberechtigung und Gleichstellung war. Die Generation der heranwachsenden Mädchen interessiert das nicht. Sie spielen Fussball, weil sie Lust darauf haben. Und sie spielen anders, befreiter als ihre Mütter. Vielleicht gelingt es diesen Mädchen dereinst, diesen Sport zu entkrampfen.
Womit wir vermintes Terrain betreten: Wenn Frauen im Fussball deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, dann nicht, weil sie Frauen sind. Es hat nur noch wenig mit Unterdrückung, Sexismus und dem ganzen feministischen Arsenal zu tun, das abgefeuert wird bei diesem Thema. Es ist der Markt, der entscheidet. Mehr TV-Gelder und Sponsoren, mehr Lohn und Prämien. Man kann querfinanzieren, aber man kann den Markt nicht ignorieren.
Das heisst nicht, dass die Forderung nach Gleichbehandlung – finanziell, strukturell – unberechtigt wäre. Aber diese Forderung muss auf Basis anderer Kriterien erfolgen. Es geht um Werte und Haltungen, um Vorbildfunktionen, nicht um Schusskraft und Schnelligkeit. Oder irgendwelche Trainingsspiele gegen Jungen, die verloren gehen. Diese sogenannten weichen Erfolgsfaktoren, «soft criteria», machen den Frauenfussball aus und sind für eine moderne Gesellschaft von Bedeutung.
Ändert sich das, weil Norwegerinnen auf Zeit spielen?
Walter De Gregorio ist ehemaliger FIFA-Direktor für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Heute arbeitet er als Berater für internationale Sportpolitik.
Wenn es nach 80 minuten 0-1 für portugal steht, dann wäre es aussagekräftig, ob es ein zeitspiel gegeben hätte..