Wir befinden uns in einer Zeit, in der ewig scheinende Konzepte beinahe von einem Tag auf den anderen über den Haufen geworfen werden. Das Internet und das Smartphone haben unser aller Alltag verändert. Uber hat die Taxi-Branche auf den Kopf gestellt, Airbnb die Hotellerie. Kein Mensch kauft sich Musik noch auf physischen Tonträgern. Zeitungen sind dem Untergang geweiht. Die ersten Autos fahren ganz von alleine. Nur im Fussball soll alles so bleiben, wie es «schon immer» war? Das ist nicht logisch.
«Wie kommt Moral gegen Geld an?», fragt der «Tages-Anzeiger». Nicht 2017. Sondern 1992, im Jahr, als die Champions League aus der Taufe gehoben wird. Die Frage ist zeitlos, wenn es um das Fussballgeschäft geht. Nur die Summen, die im Spiel sind, werden immer noch grösser. Was man einst für das Ende der Fahnenstange hielt, wird heute belächelt.
So schreibt der «Blick» 1993:
«Wer sich für die Champions League qualifiziert, wird reich. Schwer reich! Als Startfixum schüttet die UEFA jedem Klub 2,7 Millionen Franken aus.» Heute kauft Premier-League-Aufsteiger Brighton & Hove Albion den 21-jährigen Stürmer Raphael Dwamena für geschätzte 15 Millionen Franken vom FC Zürich weg. Nach einer halben Saison in der Challenge League und fünf Einsätzen in der Super League.
Noch nie war der Fussball ein so globales Geschäft, noch nie steckte so viel Geld drin. Der Transfer von Neymar für 222 Millionen Euro von Barcelona zu Paris Saint-Germain ist die Spitze des Eisbergs, zumindest vorläufig.
Diese Entwicklung missfällt sehr vielen Fussballfans. Für sie soll alles so sein, wie es «schon immer» war. Wie damals, als der FCSG noch im Espenmoos kämpfte, der FCZ im alten Letzigrund kickte und GC im Hardturm einen Titel nach dem andern holte. Als es noch keine Sektorentrennung gab, kein Stadion-TV, aber dafür viele eigene Spieler und keine Transfers im Halbstunden-Takt.
Aber die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Nicht von mir und, sofern du nicht Marty McFly oder Doc Brown aus «Zurück in die Zukunft» bist, auch nicht von dir. Sport ist Business und da kennt man nur eine Richtung: vorwärts. Das könnte in absehbarer Zeit zu einer neuen, grossen, multinationalen Liga führen; zur dominantesten Liga der Welt. Zu einer, die im Fussball den gleichen Stellenwert haben wird wie die NHL im Eishockey. Wir kommen gleich dazu.
Vorher halten wir fest, was wirklich stört. Es lässt sich auf zwei Punkte reduzieren:
So kann es nicht weitergehen. Wir wollen wieder mehr Spannung haben. Das definiert den Fussball mehr als die meisten anderen Sportarten. Weil im Fussball mit kluger Taktik, mit Einsatz und Herz auch ein Aussenseiter etwas erreichen kann. Wir schauen gerne den Grossklubs mit ihren Stars zu. Aber wir wollen öfters einen überraschenden Meister wie Leicester City 2016 in England erleben.
Zwischen 1980 und 2000 wurden in der Schweiz nicht weniger als zehn verschiedene Teams Meister: Basel, Zürich, YB, Luzern, Aarau, St.Gallen, Xamax (2 Titel), Sion (2), Servette (3) und GC (8). Seither gab es nur noch drei Teams, die den Titel holten: GC (2), Zürich (3) und Basel (12, zuletzt 8 in Folge).
Auf Dauer befriedigt das nicht. Der Mensch will Abwechslung, er will Spannung, er will Drama. Weshalb soll er sich für die Super League interessieren, wenn er weiss, dass am Ende sowieso wieder der FC Basel Meister wird? Auch aus diesem Grund sucht die Schweizer Liga nach einem neuen Modus. Der Prozess läuft seit dem Frühling, er soll Mitte September abgeschlossen werden. Diskutiert wird unter anderem darüber, ob die Punkte nach der Hinrunde halbiert werden sollen, um künstlich Spannung zu erzeugen. So, wie das zu Zeiten von Final- und Auf-/Abstiegsrunden in den 80er- und 90er-Jahren der Fall war.
Das Schweizer Problem mit der fehlenden Spannung ist auch darauf zurückzuführen, dass der FC Basel dank regelmässiger Champions-League-Teilnahmen höhere Einnahmen hat als die anderen Klubs. Er arbeitete aber auch gut und konnte viele Spieler mit Gewinn weitertransferieren. Doch vermutlich entschied sich manch ein Talent deshalb für den FCB, weil er dort die Aussicht auf Champions-League-Spiele hatte. Womit die Königsklasse auch indirekt die nationalen Meisterschaften beeinflusst.
Auch in den europäischen Top-Ligen ist das Gefälle zwischen Arm und Reich gross. In Spanien heisst der Meister zu 90 Prozent Real Madrid oder Barcelona und in Deutschland lässt sich Rekordmeister Bayern München nur alle paar Schaltjahre dazwischenfunken. Es ist an der Zeit, radikale Gedanken zuzulassen. Wie jenen einer Superliga, wo die Schwerreichen unter sich sind.
Die Zeit wird kommen, dass die Grossklubs ihre schon länger gemachte Drohung wahr machen, und eine eigene Superliga gründen. Sie kommt noch nicht 2018 und sie kommt noch nicht 2019. Aber vielleicht kommt sie schon früher, als wir es momentan glauben. Ist die Zeit in fünf Jahren, 2022, schon reif dafür?
Kann das überhaupt funktionieren? Eine neue Liga mit den europäischen Top-Klubs, losgelöst von den bestehenden Strukturen?
Selbstverständlich. Als es noch keine Fussball-Verbände gab, mussten diese auch zuerst gegründet werden. In der Schweiz beispielsweise organisierte nebst dem SFV lange auch der SATUS, der Arbeiter-Turn- und Sportverband, eine eigene Fussballmeisterschaft.
Gibt es Beispiele, wo das geklappt hat?
Ja. Im Nischensport Darts zum Beispiel wurde die spröde BDO vom Verband PDC abgelöst, seither ist das Pfeilwerfen eine gross inszenierte Show. Die BDO gibt es immer noch, ihre WM wirkt im Vergleich so spröd wie fader Kartoffelstock neben einem butterzarten Steak.
Konkurrenzierende Verbände gab's auch im Snowboard. Als der Sport aufkam, waren die «coolen» Athleten bei der ISF. Gleichzeitig organisierte jedoch auch die FIS Wettkämpfe und als das IOC entschied, dass als Qualifikation für die Olympischen Spiele 1998 die Resultate von FIS-Bewerben zählten, war dies der Anfang vom Ende der ISF.
In den 80er-Jahren etablierte sich in den USA während kurzer Zeit auch eine Konkurrenz zur Football-Liga NFL. Diese wurde aber zu gierig und scheiterte beim Versuch, grösser und mächtiger zu werden. Einer der Teambesitzer war der heutige US-Präsident Donald Trump.
Was spricht für eine Abnabelung der grossen Klubs von den bestehenden Ligen und Verbänden?
Dass die Klub-Besitzer die komplette Kontrolle haben wollen. Das ist nicht möglich, solange sie sich in den aktuellen Strukturen bewegen. Die UEFA würde sich querstellen, denn ihre Cashcow Champions League wäre neben einer Superliga bloss noch ein zweitklassiger Wettbewerb. Das Problem: UEFA und FIFA hätten bei einer Abspaltung als einziges Druckmittel, die Spieler von Superliga-Klubs von ihren Turnieren, von EM und WM, auszuschliessen. Das wiederum wollen sie aber bestimmt nicht, weil sie sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn die Besten der Besten nicht dabei sind. Also würde ein Kompromiss ausgearbeitet werden, sprich: Geld übermittelt.
Kann wirklich keine Superliga ausserhalb der bestehenden Strukturen gegründet werden?
Nein, das scheint nicht realistisch. Einerseits, weil der Spielkalender schon jetzt proppenvoll ist. Noch eine Liga nebst den nationalen und der Champions League hat keinen Platz. Andererseits müsste ein Modus her, der die Qualifikation bzw. einen Auf-/Abstieg regelt. Ohne Zusammenarbeit mit den jetzigen Verbänden könnten die Teambesitzer sich hingegen für eine geschlossene Liga entscheiden, in der niemand Abstiegsängste haben müsste und damit Planungssicherheit hätte. Das ist es, was jeder Klubbesitzer anstrebt.
Wie viele Teams sollen dabei sein?
Mit nationalen Meisterschaften, dem Cup
und der Champions League kommen zwischen 50 und 60 Pflichtspiele zusammen. Diese fallen weg, das heisst: In der Superliga hat es Platz für 24 bis 30 Teams. In einer ersten Phase würde wohl das untere Limit gewählt werden, später könnte aufgestockt werden. Bei 24 Teams hätte jedes Team 46 Partien. Ein Spieltag mit zwölf Begegnungen würde von Dienstag bis Sonntag aufgesplittet werden mit jeweils zwei Spielen am Tag.
Welche Teams sollen dabei sein?
Solche, die sportlich gut und gleichzeitig populär sind. Schliesslich wollen die Teambesitzer Geld verdienen, das aktuelle UEFA-Ranking dürfte eher eine Nebenrolle spielen. Also lieber Schalke 04 als Bayer Leverkusen und weder russische noch ukrainische Vertreter.
Wie wäre der Modus?
Das Ziel der Klubs wird es sein, so viel Geld wie möglich zu machen: durch Einnahmen von Übertragungsrechten und von Merchandising. Dazu benötigt es die besten Spieler, die populärsten Klubs und Spannung in der Tabelle. Letztere könnte nach einer regulären Saison mit Hin- und Rückrunde durch K.-o.-Spiele generiert werden. Oder auch durch US-Methoden, welche zu einer ausgeglicheneren Liga führen können.
Was, Bitteschön, sind US-Methoden?
Der Salary Cap und der Draft. Beim Salary Cap legen die Klubbosse fest, wie hoch die minimale und die maximale Lohnsumme eines Teams sein dürfen. Innerhalb dieses Rahmens muss eine Mannschaft zusammengestellt werden. Vier Superstars und viele Mitläufer? Oder kein absoluter Superstar, dafür eine ausgeglichene Equipe mit sehr vielen hochkarätigen Akteuren?
Wie der Salary Cap ist auch der Draft dazu da, für eine gewisse Ausgeglichenheit zu sorgen. Jeder Klub erhält das Recht, Talente zu «ziehen», welche dann im Falle eines Transfers in die Superliga nur dorthin wechseln dürften. Die schwächsten Teams der Vorsaison dürften als erste wählen. Es müsste ein Regelwerk erarbeitet werden, damit die «normalen» Klubs weiterhin eine Ablösesumme erhalten.
Und in der ersten Saison?
Da nehmen die Klubs die Spieler mit, die sie schon unter Vertrag haben. Wobei wir uns einen kurzen Gedanken an einen Eröffnungs-Superdraft erlauben: Jeder Klub könnte nur fünf Spieler schützen, der Rest wäre frei handelbar. Was wäre das für ein grandioses Spektakel?!
Wieso sollen eigentlich nur europäische Klubs dabei sein?
Eine berechtigte Frage. Es spricht nichts dagegen, dass auch Shanghai Shenhua, Los Angeles Galaxy oder die Boca Juniors mitmachen. Denn mit dem Draft und einem Salary Cap würden Qualitätsunterschiede ausgeglichen werden. Mit Sicherheit würden ohnehin Spiele in Asien oder in den USA ausgetragen, so wie es die Grossklubs jetzt schon in der Vorbereitung machen. Mit dem Unterschied, dass es dann um mehr geht als um irgendeinen Pre-Season-Cup.
Das Rugby, in weiten Teilen der Welt ein äusserst populärer Sport, kennt so eine Superliga übrigens bereits seit 1996. «Super Rugby» ist eine Meisterschaft der südlichen Erdhalbkugel, mit Teams aus Australien, Neuseeland, Südafrika, Argentinien und Japan. Zuletzt sank das Interesse allerdings, die Zahl der Mannschaften wurde von 18 auf 15 reduziert.
Kommt diese Superliga, dann haben die aktuellen Verbände ein Problem. Ihre Ligen wären nur noch zweitklassig, denn jeder Fussballprofi strebt einen Wechsel in eine grössere, bessere Liga an.
Die TV-Gelder dürften stagnieren oder zurückgehen und damit auch die Einnahmen der Klubs. Die Schere zwischen Superreich und «Normal» geht noch weiter auseinander. Das Niveau in den Top-Ligen wird sinken.
Gleichzeitig könnte dadurch aber die Spannung steigen. Wenn die dominierenden Teams weg sind, könnten die grossen Ligen ausgeglichener werden – aber dafür halt auch ohne Bayern gegen Dortmund, ohne Real gegen Barça. Schön und gut, dass Köln oder Frankfurt wieder Meister werden können. Aber ist dieser Titel dann noch gleich erstrebenswert wie jetzt, wenn nicht mehr alle deutschen Topteams in der Bundesliga spielen?
Und wie verändern sich die Champions League und die Europa League? Auch sie werden nur noch zweit- bzw. drittklassige Wettbewerbe sein. Der Königsklasse droht das Schicksal, zum «Cup der Verlierer» zu werden. So hatte einst Franz Beckenbauer spöttisch den UEFA Cup bezeichnet, den Vorläufer der Europa League.
Für die Super League ändert sich nicht viel, weil die besten Spieler schon heute einen Wechsel ins Ausland anstreben. Und da der international zu unbedeutende FC Basel kein Teil der Superliga wäre, würde die Schweiz von dieser Neugründung nur am Rande betroffen sein.
Es geht nicht darum, wie der Fussball in der romantischen Vorstellung von uns Fans sein sollte. Sondern darum, wie ihn diejenigen machen könnten, die das wirklich steuern können.
Die Superliga ist eine Vision, wie es sein könnte. Eine Vision, die man durchaus auf der Rechnung haben muss. Immer mehr Klubbesitzer kommen aus Ländern, in denen der Fussball nicht die gleiche Bedeutung hat wie bei uns in der alten Welt. Sie sind viel eher dazu bereit, mit Konventionen zu brechen, Neues zu wagen. Und wer zahlt, befiehlt. Deshalb werden die Begegnungen des englischen Liga-Cups morgen früh um 4.15 Uhr englischer Zeit ausgelost – in Peking. Ein thailändischer Energydrink-Hersteller ist neuer Sponsor des Wettbewerbs.
Die heutigen Verbände haben kein Monopol auf den Fussball. Wer will, kann ihn verlassen und eine eigene Liga gründen. Mit der Gefahr, dass die Spieler dann nicht mehr an der WM teilnehmen dürfen. Aber wer sagt denn, dass es nicht auch eine alternative Weltmeisterschaft geben kann? Acht Nationalteams dürfte man mit Superliga-Spielern locker zusammenkriegen: Deutschland, England, Spanien, Italien, Frankreich, Portugal, Brasilien, Argentinien.
Ja. Den roten Knopf oben links auf deiner Fernbedienung. Drücke ihn und gehe stattdessen zum Team in der Nachbarschaft. Das ist ein mindestens ebenso schöner Zeitvertreib, auch wenn die fussballerische Klasse ganz anders ist.
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