Valentina Petrillo träumt von einer Paralympics-Medaille. Sie startet über 200 Meter und 400 Meter in der Kategorie T12, in der Athleten mit eingeschränktem Sichtfeld antreten. Und ihre Ambitionen sind keineswegs übertrieben. Die Sprinterin wurde bei den Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaften im letzten Jahr zweimal Dritte und ihre aktuellen Zeiten lassen sie in Paris auf einen Podiumsplatz hoffen.
Die Italienerin ist jedoch nicht nur auf der Suche nach Medaillen. Als erste trans Frau, die an den Paralympics teilnimmt, will sie ein Symbol werden, so wie die Gewichtheberin Laurel Hubbard bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. «Ich sage oft, wenn ich es geschafft habe, können es auch andere schaffen. Ich hoffe, dass ich die Erste von vielen sein werde. Ich hoffe, ich bin eine Referenz, eine Inspiration [...] Meine Geschichte kann für viele nützlich sein, ob sehbehindert oder nicht, trans oder nicht», erklärte sie der Nachrichtenagentur AFP in einem Telefoninterview.
Valentina Petrillo leidet an der Stargardt-Krankheit und ist seit ihrem 14. Lebensjahr sehbehindert. Als sie ihr Augenlicht verlor, hörte sie auf, Leichtathletik zu betreiben. Erst nach ihrem 40. Lebensjahr kehrte sie zur Leichtathletik zurück – und das mit einigem Erfolg. Petrillo gewann in der Tat zahlreiche nationale Titel in der Männerkategorie ihrer Behinderung. Damals startete sie noch unter dem Namen sie Fabrizio.
Während der internationale Leichtathletikverband vor kurzem trans Athleten, die die männliche Pubertät durchlaufen haben, daran gehindert hat, gegen Frauen anzutreten, kann Valentina Petrillo an internationalen Wettkämpfen teilnehmen, da World Para Athletics – ein Zweig des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) – nicht die gleiche Regelung übernommen hat. Andrew Parsons, der Präsident des IPC, verteidigt daher logischerweise die Teilnahme der Italienerin an den Paralympischen Spielen. Er hiess sie «herzlich willkommen» und spricht gegenüber der BBC von einem «wichtigen Symbol der Inklusion».
Trotz einer Hormonbehandlung, durch die ihr Testosteronspiegel um das Vierfache gesenkt wurde und unter dem zulässigen Höchstwert von 5 Nanomol pro Liter Blut liegt, ist Valentina Petrillo Gegenstand verschiedener Kritiken. Durch ihre Anwesenheit sei die sportliche Fairness nicht mehr gewährleistet. «Il Messaggero» präzisiert, dass in Spanien die Wut im Vorfeld der Paralympics wächst. Petrillo hat Melani Berges bei den Weltmeisterschaften 2023 überholt, wodurch die Spanierin nicht an den Spielen teilnehmen kann.
Doch nicht nur Spanien stört sich an Valentina Petrillos Auftritt. Auch in ihrem Heimatland Italien, wo die ultrakonservative Regierung von Giorgia Meloni die «Gender-Ideologie» und die «LGBT-Lobby» anprangert, gibt es Kritik, wie Valentina Petrillo der Nachrichtenagentur AFP erklärte. Im Jahr 2021 stellte die Rechtsanwältin Fausta Quilleri ihre Teilnahme an den nationalen Wettkämpfen infrage, indem sie eine Petition an den Präsidenten des italienischen Leichtathletikverbands und die Ministerien für Chancengleichheit und Sport schickte. Die Petition war von etwa 30 Athleten unterzeichnet worden. Quilleri erklärte später gegenüber der BBC, dass «Petrillos körperliche Überlegenheit so offensichtlich ist, dass sie den Wettbewerb unfair macht».
Diese Überlegenheit ist jedoch alles andere als offensichtlich. Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich nicht einig. Die wenigen Studien, die durchgeführt wurden, zeigen manchmal gegensätzliche Ergebnisse. Sie beziehen sich auf eine begrenzte Anzahl von Probanden und beschränken sich hauptsächlich auf Testosteron. Eine der jüngsten Studien wurde vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse, die im British Journal of Sports Medicine veröffentlicht wurden, zeigen, dass Transgender-Sportlerinnen, die eine Hormonbehandlung erhalten, eine höhere Griffkraft haben, aber eine geringere Sprungkraft, Lungenfunktion und Herz-Kreislauf-Fähigkeit als Cisgender-Sportlerinnen aufweisen.
«Ich denke, die Wissenschaft sollte uns die Antwort geben, denn wir wollen auch gegenüber den anderen Athleten fair sein. Es ist eine sehr schwierige Frage», fasste der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees zusammen. Doch «die Wissenschaft steckt noch in den Kinderschuhen und wir werden wahrscheinlich erst in 20 Jahren endgültige Antworten haben», so die Sportwissenschaftlerin Joanna Harper gegenüber der BBC.
Aus diesem Grund lassen das IOC und das IPC derzeit die internationalen Verbände schalten und walten, wie sie wollen. World Para Athletics übernimmt nicht die Regeln von World Athletics und Valentina Petrillo darf – nicht ohne Kritik – an den Paralympischen Spielen teilnehmen.
In Bezug auf diesen sportlichen Aspekt, bin ich auch der Meinung, dass man für Transrechte, nicht die Frauenrechte in den Hintergrund drängen darf! Gerne dürfen Transathleten gegeneinander antreten. Aber Frauen aus ihren Ranglisten und Kategorien verdrängen, nein!