Mit Mountainbikes (eigentlich Bergvelos) wird erst seit 1996 olympisch gefahren. Also ein Trendsport wie Snowboard (1998 olympisch geworden) oder Surfen (seit Tokio 2021 dabei).
Aber irgendwie ist Mountainbike nicht ganz so sooo cool wie Snowboard oder Surfen. Mountainbiker sind zwar tapfer, zäh und mutig. Sie quälen sich über Stock und Stein und Schotter und durch Staub und Sand. Aber kiffen Mountainbiker? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Ein Joint scheint hingegen zu nonkonformistischen Surfern und Snowboardern zu gehören. Ross Rebagliati, 1998 Olympiasieger der ersten Stunde, musste als Kiffer sogar vorübergehend seine Goldmedaille abgeben. Er führt heute ein Unternehmen, das cannabidiolhaltige Arznei- und Lebensmittel herstellt und vertreibt.
Aber wir sind vom Thema abgekommen. Hier in Paris wird auf höchster Ebene ein eidgenössisches Duell weitergeführt. Nino Schurter (38) gegen Mathias Flückiger (35). Beide stauberprobte und ruhmgekränzte Veteranen. Für Nino Schurter sind es die fünften Spiele und ihm fällt in Paris die Ehre des Fahnenträgers zu. Einen kompletten Medaillensatz (Gold 2016, Silber 2012, Bronze 2008) hat er schon. Zehnmal war er zwischen 2008 und 2022 Weltmeister.
Für Mathias Flückiger sind es die dritten Spiele. Er hat nach einem 6. Platz 2016 in Rio dann in Tokio 2021 Silber geholt. Aber da bekam Nino Schurter fast gleich viel Medienpräsenz. Weil es eben interessierte, warum es für ihn «nur» für Platz 4 gereicht hatte. Weltmeister war Mathias Flückiger als Profi noch nie. Aber dreimal ist er auf Platz 2 gestrampelt.
Nun kommen in Paris beide am Donnerstag nacheinander zum offiziellen Medientermin im «Schweizer Haus», integriert in die Schweizer Botschaft. Und da fällt dem Chronisten auf, dass sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Nino Schurter gibt mit Witz und Selbstironie den coolen, lockeren Champion. Einer, dem das Glück zuzufallen scheint. Bestens vernetzt ist der Bündner wahrscheinlich der mächtigste und bestbezahlte Mann unserer «Bergvelo-Szene». Seine Qualifikation für Paris stand nie in Frage.
Mathias Flückiger wirkt eher schwerblütig. Ein wenig gezeichnet von einer Karriere, in deren Verlauf ihm das Glück bisher nicht zugefallen ist. Die Leichtigkeit des Seins kennt er nicht. Against all odds.
Dass der Oberaargauer aus dem bernischen Leimiswil hier antreten darf, ist ein Triumph über das Schicksal. Allein seine Qualifikation für Paris hat mindestens den inneren Wert einer Medaille. Einer, der immer wieder aufsteht und sich auch durch eine ungerechtfertigte Dopinganschuldigung nicht hat unterkriegen lassen.
Der lockere Nino Schurter und der tapfere Mathias Flückiger mahnen irgendwie an Roger Federer und Stan Wawrinka. So wie Stan Wawrinka einfach nie aus dem Schatten von Roger Federer herauskommen kann, so ist es Mathias Flückiger nicht möglich, seinen Rivalen Nino Schurter in den Schatten zu stellen. Gäbe es Roger Federer nicht, wäre Stan Wawrinka der grösste Schweizer Tennisstar der Geschichte. Gäbe es Nino Schurter nicht, wäre Mathias Flückiger der Titan der helvetischen Mountainbiker.
Nino Schurter gegen Mathias Flückiger ist nicht nur ein olympisches Duell zwischen zwei unterschiedlichen, ja fast gegensätzlichen Persönlichkeiten. Es ist auch eine hochinteressante technische Auseinandersetzung.
Nicht alle haben das gleiche Bike. Reifen, Rahmen, Stossdämpfer, Schaltung oder Elektronik sind unterschiedlich. Ganz oben und ganz vorne zählt jedes Detail. Eines dieser Details kann die bessere Technik sein.
Die berggängigen Fahrräder sind von den Technikern der verschiedenen Hersteller in enger Zusammenarbeit mit den Fahrern unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen der Olympiastrecke (viel Schotter) entwickelt worden. Sozusagen als «Pariser Modelle».
Seine Bewunderer sagen, Nino Schurter sei im technischen Bereich die Personifizierung der Perfektion. Er arbeitet mit der Weltmarke Scott, 1955 in den USA entstanden, seit 1986 im Mountainbike-Business und heute mit Geschäftssitz in der Schweiz und über einer halben Milliarde Umsatz.
Mathias Flückiger, als gelernter Agrarmechaniker ein begabter Techniker, entwickelt sein Bike mit dem Berner Tüftler Thomas Binggeli («Thömus Bike»). Auf der technischen Seite eine Ausgangslage wie Asterix gegen das römische Weltreich mit Mathias Flückiger in der Rolle von Asterix.
Beide sind von ihrem Sportgerät überzeugt. Das muss so sein. Zweifler haben keine Chance. Nino Schurter sagt, mit dem Olympiasieger-Bike von 2016 wäre er heute chancenlos. Er gibt ein Beispiel: Während eines Rennens in Lenzerheide habe die Elektronik seines Bikes 1400 Anpassungen gemacht. Zuvor, als alles mehr oder weniger noch weitgehend «handbetrieben» war, seien es 250 gewesen. Nicht weniger als acht Batterien seien in seinem Bike eingebaut, um die Elektronik zu speisen. Wahrscheinlich steckt in seinem Berg-Zweirad mehr Technik als einst in der Apollo-Mondlandefähre von 1969.
Was zu einer boshaften Frage führt: Nino Schurter wie Fabian Cancellara? Immer wieder ist ja behauptet worden, Fabian Cancellara verdanke seine grandiosen Velo-Erfolge auf der Strasse auch einem im Rahmen seines Rennrades eingebauten Elektromotörli. Es gibt sogar eine TV-Dokumentation zu diesem Thema.
Acht Batterien müssten doch theoretisch bei weitem dazu in der Lage sein, ein Elektromotörli anzutreiben. Nino Schurter, haben Sie in ihrem Mountainbike ein Elektromotörli?
Er reagiert auf diese Frage, die tatsächlich am Donnerstag im Rahmen des offiziellen Medientermins gestellt worden ist (!), mit der ihm eigenen Gelassenheit. Nein, er habe kein Elektromotörli.
Paris wird das letzte Duell der beiden Schweizer «Bergvelo-Titanen» um olympischen Ruhm sein. Nino Schurter hat zwar bereits die Spiele in Tokio als seine letzten bezeichnet. Aber nun sagt er: «Paris sind meine letzten Olympischen Spiele. 2028 werde ich 42 sein.» 2028 werden die Spiele in Los Angeles ausgetragen.
Wenn die olympischen Götter einen Sinn für Romantik und Dramatik haben, findet dieses letzte olympische Duell der besten Schweizer «Bergvelo-Titanen» um Gold, Silber oder Bronze statt.
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