International
Sport

Olympia 2024 in Paris: Spiele in einem erschöpften Land

epaselect epa11493589 French President Emmanuel Macron visits the 'Stade Tour Eiffel' in Champs de Mars in Paris, France, 24 July 2024. 'Stade Tour Eiffel' will host beach volleyba ...
Präsident Emmanuel Macron in der Beachvolleyball-Arena beim Eiffelturm.Bild: keystone
Analyse

Olympia 2024 in Paris: Spiele in einem erschöpften Land

Frankreich und seine Hauptstadt haben in den letzten Jahren einiges durchgemacht. Jetzt sollen die Olympischen Spiele für neuen Glanz sorgen. Doch die Euphorie ist gedämpft.
25.07.2024, 20:11
Mehr «International»

Paris ist eine der schönsten Städte der Welt, schon in «normalen» Zeiten ein Touristenmagnet. Auch wegen der Hauptstadt ist Frankreich das meistbesuchte Land. Nun kommt mit den Olympischen Sommerspielen ein Mega-Event hinzu. Sie sollen einer Stadt, die viel durchgemacht hat, und einem erschöpften Land Energie verleihen.

Ob das klappt? Die Vorfreude auf die am Freitag offiziell beginnenden Spiele (erste Wettkämpfe finden bereits statt) hält sich laut Medienberichten in Grenzen. Teile der Innenstadt wurden zu einer Hochsicherheitszone, die nur mit einem speziellen QR-Code betreten werden kann. Viele Touristen haben ihn nicht, weil sie nicht Bescheid wussten.

epa11494145 French policemen control people who want to access the Louvre museum at a checkpoint amid preparations for the opening ceremony of the Paris 2024 Olympic Games, in Paris, France, 24 July 2 ...
Zugang zum Louvre nur mit QR-Code: Die Sicherheitsmassnahmen sind massiv.Bild: keystone

Restaurants und Shops, die sich auf das grosse Olympia-Geschäft gefreut und entsprechend investiert hatten, klagen über fehlende Gäste und Umsätze. «Es ist eine Katastrophe», sagte der Inhaber einer Brasserie auf der Île Saint-Louis der «New York Times». Man prüfe Entschädigungen, sagte Präsident Emmanuel Macron am Montag.

Sportstätten abgeriegelt

Hinzu kommt, dass viele Pariserinnen und Pariser vor dem Olympia-Rummel geflüchtet sind. Ich selbst war vor einem Monat in der Stadt. Die Spiele waren schon präsent. Überall in der Métro gab es Hinweistafeln. Vom Tour Montparnasse konnte man die provisorischen Arenen bestaunen, beim Eiffelturm, auf der Place de la Concorde, beim Invalidendom.

Sie versprechen ein Spektakel. Doch schon bei meinem Aufenthalt waren die Sportstätten abgeriegelt, etwa das Grand Palais, in dem Fechten und Taekwondo stattfinden. Am Ufer der Seine wurde mit dem Aufbau der Tribünen für die exorbitante Eröffnungsfeier begonnen. Man konnte Ende Juni bereits erahnen, dass die Spiele zu einem Hindernislauf werden.

Terror und Randale

Die Angst vor Terroranschlägen ist gross, und gerade die Eröffnungsfeier am Freitagabend ist anfällig. Denn die Sportlerinnen und Sportler werden mit Schiffen auf einer sechs Kilometer langen Strecke von der Pont d’Austerlitz bis zum Trocadéro paradieren. Zum Schutz der Feier und der Spiele wurden bis zu 100’000 staatliche und private Sicherheitskräfte mobilisiert.

Der Terror von Charlie Hebdo und Bataclan (sowie dem Stade de France, dem zentralen Wettkampfort) vor neun Jahren hat die Stadt nachhaltig erschüttert. Es folgten die Proteste der Gelbwesten, die häufig in Randale ausarteten, die Pandemie und die Demonstrationen gegen Macrons Rentenreform. Paris hat in den letzten Jahren wahrlich einiges erlebt.

Weniger Besucher als erwartet?

Dabei hat die Hauptstadt im Hinblick auf Olympia viel in die weitere Verschönerung investiert. Dazu gehört nicht zuletzt die «Säuberung» der Seine. Bei meinem Besuch wirkte der Fluss noch immer nicht sehr einladend, aber das kann täuschen. Stadtpräsidentin Anne Hidalgo jedenfalls machte ihr Versprechen wahr, sie nahm ein Bad in den trüben Fluten.

Organisatorisch scheint Paris bereit zu sein. Und man gab sich Mühe, das olympische Feuer auflodern zu lassen, mit zahlreichen Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen. Die Zahl der erwarteten Olympia-Touristen aber wurde heruntergefahren, von 15 auf 11 Millionen. Und schon im Juni blieben viele weg.

Turbulente Wochen

Vielleicht lag das auch an der Politik. Frankreich hat turbulente Wochen hinter sich, seit Macron am Abend der Europawahl am 9. Juni das Parlament auflöste. In nur drei Wochen sollten Neuwahlen stattfinden. Sofort manifestierte sich die Furcht vor einem Sieg des rechtspopulistischen Rassemblement National, das bei der Europawahl aufgetrumpft hatte.

epa11466009 People react after the announcement of the results of the second round of the French legislative elections, in Marseille, southern France, 07 July 2024. Banner in picture reads 'Unite ...
Anhänger der Volksfront feiern den Wahlerfolg, doch seither wird vor allem gestritten.Bild: keystone

Im ersten Wahlgang schienen sich die Befürchtungen zu bestätigen, doch in der zweiten Runde setzte sich der «republikanische Reflex» durch. Marine Le Pens Rechtsradikale landeten nur auf Platz 3. Überraschende Siegerin wurde die eilends gegründete Nouveau Front Populaire. Von einer absoluten Mehrheit aber ist das Linksbündnis weit entfernt.

Eine überraschende Wahl

Wochenlang stritt die heterogene Allianz, wen sie für den Posten des Premierministers nominieren soll. Am Montag zauberte sie die kaum bekannte Beamtin Lucie Castets aus dem Hut, zu der es nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag gab. Macron aber wiegelte im TV-Interview ab. Er wolle erst nach Olympia entscheiden, wer Premier werden soll.

Vertreter der Volksfront reagierten empört. Der Präsident begehe «Demokratieverweigerung», beschwerte sich Lucie Castets im ersten grossen Interview mit dem Radiosender France Inter. Eine Koalition mit dem liberalen Macron-Lager schloss sie kategorisch aus. Gleichzeitig musste sie einräumen, dass sie im Parlament nur mit Allianzen regieren könne.

Eine «politische Atempause»

Man werde «Text für Text, Gesetz für Gesetz» zu überzeugen versuchen, sagte Castets, die parteilos ist, aber dem linken Flügel der Sozialisten nahestehen soll. Es fragt sich, wie das gehen wird. Macrons verhasste Rentenreform könnte sie nur im Verbund mit den Lepenisten rückgängig machen. Allein die Vorstellung dürfte bei vielen Linken Brechreiz auslösen.

Der Spielraum für linke Wohltaten ist auch durch die hohe Verschuldung eingeschränkt. Die Regierung hatte sehr viel Geld ausgegeben, um die Folgen der Pandemie und der Inflation für die Bevölkerung abzufedern. Die alles andere als harmonische Volksfront könnte darüber endgültig zerbrechen und Frankreich eine neue Phase politischer Unsicherheit bevorstehen.

Vielleicht liegt der Staatschef nicht falsch, wenn er dem erschöpften Land für die Dauer der Spiele eine «politische Atempause» verordnet. Vielleicht kühlen sich die Gemüter in diesen zwei Wochen ab. Und vielleicht entsteht doch eine Olympia-Euphorie, ähnlich wie 2012 in London. Auch damals wurde viel gemotzt, und dann gab es ein grosses Fest.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Austragungstätten der Olympischen Spiele in Paris 2024
1 / 37
Die Austragungstätten der Olympischen Spiele in Paris 2024
Arena Champ-de-Mars (Paris Zentrum): Judo und Ringen. Kapazität: 8356 Zuschauer.
quelle: imago/usa today network / imago images
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Frankreich ist gespalten, dieses Video ist der Beweis
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
33 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Krasse Siech
25.07.2024 20:33registriert Dezember 2023
Der Niedergang zeigt sich an den Schulden, dem Aussenhandelsdefizit, dem sinkenden Niveau in den Schulen, dem Zustand der Spitäler. Doch die Linke hat das Problem nicht erkannt. Sie will noch mehr Steuern und Gelder. Das kann sich F nicht leisten, vor allem aber sind die Ausgaben überall jetzt schon hoch. Das Problem in Schulen, Spital etc. ist Organisation und Administration. Problematisch ist auch, was man nicht sagen darf: 50 Jahre fast ausschließlich afrik. und isl. Immigration. Das kann kein Land schultern...
6722
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rodger
25.07.2024 20:20registriert November 2020
Wunder mich jetzt nicht, das die Touris ausbleiben die Ticketpreise sind auch abartig hoch
332
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ali Schand
25.07.2024 23:55registriert Juli 2024
Wir sind gerade in Süd-F. Ganz ehrlich: in diesem Jahr kaum so viele zufriedene, gutgelaunte, entspannte Leute auf einem Haufen gesehen- und die allermeisten davon sind Franzosen. Wirtschaftsfreundlichkeit ist eben nicht gleich bien-être. Also mal doucement mit dem miesepetern, kommt schon alles.
297
Melden
Zum Kommentar
33
Warum der November für die Ukraine der schlechteste Monat seit Kriegsbeginn war
Russland hat im letzten Monat mehr als 700 Quadratkilometer ukrainisches Territorium in Besitz genommen. Dies ist die grösste Eroberung seit Herbst 2022.

Seit einigen Monaten hat der Wind auf den ukrainischen Schlachtfeldern zu Gunsten Russlands gedreht. Trotz der erfolgreichen Offensive in der Grenzregion Kursk haben die ukrainischen Truppen Schwierigkeiten damit, die Angreifer in ihrem eigenen Land wirksam zu bekämpfen. Die Streitkräfte Moskaus rücken damit in der Ukraine weiter vor.

Zur Story