Paris ist eine der schönsten Städte der Welt, schon in «normalen» Zeiten ein Touristenmagnet. Auch wegen der Hauptstadt ist Frankreich das meistbesuchte Land. Nun kommt mit den Olympischen Sommerspielen ein Mega-Event hinzu. Sie sollen einer Stadt, die viel durchgemacht hat, und einem erschöpften Land Energie verleihen.
Ob das klappt? Die Vorfreude auf die am Freitag offiziell beginnenden Spiele (erste Wettkämpfe finden bereits statt) hält sich laut Medienberichten in Grenzen. Teile der Innenstadt wurden zu einer Hochsicherheitszone, die nur mit einem speziellen QR-Code betreten werden kann. Viele Touristen haben ihn nicht, weil sie nicht Bescheid wussten.
Restaurants und Shops, die sich auf das grosse Olympia-Geschäft gefreut und entsprechend investiert hatten, klagen über fehlende Gäste und Umsätze. «Es ist eine Katastrophe», sagte der Inhaber einer Brasserie auf der Île Saint-Louis der «New York Times». Man prüfe Entschädigungen, sagte Präsident Emmanuel Macron am Montag.
Hinzu kommt, dass viele Pariserinnen und Pariser vor dem Olympia-Rummel geflüchtet sind. Ich selbst war vor einem Monat in der Stadt. Die Spiele waren schon präsent. Überall in der Métro gab es Hinweistafeln. Vom Tour Montparnasse konnte man die provisorischen Arenen bestaunen, beim Eiffelturm, auf der Place de la Concorde, beim Invalidendom.
Sie versprechen ein Spektakel. Doch schon bei meinem Aufenthalt waren die Sportstätten abgeriegelt, etwa das Grand Palais, in dem Fechten und Taekwondo stattfinden. Am Ufer der Seine wurde mit dem Aufbau der Tribünen für die exorbitante Eröffnungsfeier begonnen. Man konnte Ende Juni bereits erahnen, dass die Spiele zu einem Hindernislauf werden.
Die Angst vor Terroranschlägen ist gross, und gerade die Eröffnungsfeier am Freitagabend ist anfällig. Denn die Sportlerinnen und Sportler werden mit Schiffen auf einer sechs Kilometer langen Strecke von der Pont d’Austerlitz bis zum Trocadéro paradieren. Zum Schutz der Feier und der Spiele wurden bis zu 100’000 staatliche und private Sicherheitskräfte mobilisiert.
Der Terror von Charlie Hebdo und Bataclan (sowie dem Stade de France, dem zentralen Wettkampfort) vor neun Jahren hat die Stadt nachhaltig erschüttert. Es folgten die Proteste der Gelbwesten, die häufig in Randale ausarteten, die Pandemie und die Demonstrationen gegen Macrons Rentenreform. Paris hat in den letzten Jahren wahrlich einiges erlebt.
Dabei hat die Hauptstadt im Hinblick auf Olympia viel in die weitere Verschönerung investiert. Dazu gehört nicht zuletzt die «Säuberung» der Seine. Bei meinem Besuch wirkte der Fluss noch immer nicht sehr einladend, aber das kann täuschen. Stadtpräsidentin Anne Hidalgo jedenfalls machte ihr Versprechen wahr, sie nahm ein Bad in den trüben Fluten.
Organisatorisch scheint Paris bereit zu sein. Und man gab sich Mühe, das olympische Feuer auflodern zu lassen, mit zahlreichen Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen. Die Zahl der erwarteten Olympia-Touristen aber wurde heruntergefahren, von 15 auf 11 Millionen. Und schon im Juni blieben viele weg.
Vielleicht lag das auch an der Politik. Frankreich hat turbulente Wochen hinter sich, seit Macron am Abend der Europawahl am 9. Juni das Parlament auflöste. In nur drei Wochen sollten Neuwahlen stattfinden. Sofort manifestierte sich die Furcht vor einem Sieg des rechtspopulistischen Rassemblement National, das bei der Europawahl aufgetrumpft hatte.
Im ersten Wahlgang schienen sich die Befürchtungen zu bestätigen, doch in der zweiten Runde setzte sich der «republikanische Reflex» durch. Marine Le Pens Rechtsradikale landeten nur auf Platz 3. Überraschende Siegerin wurde die eilends gegründete Nouveau Front Populaire. Von einer absoluten Mehrheit aber ist das Linksbündnis weit entfernt.
Wochenlang stritt die heterogene Allianz, wen sie für den Posten des Premierministers nominieren soll. Am Montag zauberte sie die kaum bekannte Beamtin Lucie Castets aus dem Hut, zu der es nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag gab. Macron aber wiegelte im TV-Interview ab. Er wolle erst nach Olympia entscheiden, wer Premier werden soll.
Vertreter der Volksfront reagierten empört. Der Präsident begehe «Demokratieverweigerung», beschwerte sich Lucie Castets im ersten grossen Interview mit dem Radiosender France Inter. Eine Koalition mit dem liberalen Macron-Lager schloss sie kategorisch aus. Gleichzeitig musste sie einräumen, dass sie im Parlament nur mit Allianzen regieren könne.
Man werde «Text für Text, Gesetz für Gesetz» zu überzeugen versuchen, sagte Castets, die parteilos ist, aber dem linken Flügel der Sozialisten nahestehen soll. Es fragt sich, wie das gehen wird. Macrons verhasste Rentenreform könnte sie nur im Verbund mit den Lepenisten rückgängig machen. Allein die Vorstellung dürfte bei vielen Linken Brechreiz auslösen.
Der Spielraum für linke Wohltaten ist auch durch die hohe Verschuldung eingeschränkt. Die Regierung hatte sehr viel Geld ausgegeben, um die Folgen der Pandemie und der Inflation für die Bevölkerung abzufedern. Die alles andere als harmonische Volksfront könnte darüber endgültig zerbrechen und Frankreich eine neue Phase politischer Unsicherheit bevorstehen.
Vielleicht liegt der Staatschef nicht falsch, wenn er dem erschöpften Land für die Dauer der Spiele eine «politische Atempause» verordnet. Vielleicht kühlen sich die Gemüter in diesen zwei Wochen ab. Und vielleicht entsteht doch eine Olympia-Euphorie, ähnlich wie 2012 in London. Auch damals wurde viel gemotzt, und dann gab es ein grosses Fest.