In Austin in Texas war es wie in den vergangenen zwei Jahren und, vor allem, wie meistens in der laufenden Saison. Max Verstappen veredelte mit einem weiteren Sieg seine Bilanz, in der er nun schon 50 erste Plätze in Grands Prix stehen hat. 15 der bisher ausgetragenen 18 Rennen über die herkömmliche Distanz hat der dreifache Weltmeister in diesem Jahr gewonnen, womit er die eigene Bestmarke aus der Vorsaison eingestellt hat. Dass er in den ausstehenden vier Grands Prix den Rekord nach oben schrauben wird, darüber bestehen keine Zweifel.
Siege, Rekorde, grenzenlose Dominanz. Auch das Team McLaren war einmal der Primus in der Premium-Klasse des Automobilsports. Vor 35 Jahren etwa hatten der Brasilianer Ayrton Senna und der Franzose Alain Prost für 15 Siege in den 16 Rennen gesorgt. Es war die beste Saison während der erfolgreichsten Epoche der Equipe aus Woking in der englischen Grafschaft Surrey. Aus jener Phase, den Achtzigerjahren bis zur Jahrtausendwende, stammen neun der bisher zwölf WM-Titel bei den Fahrern und sämtliche neun WM-Titel bei den Teams.
McLaren war Grossbritanniens Stolz. Die Faszination drang bis in den Buckingham-Palast durch. Selbst die Queen war amused. Königin Elizabeth II liess es sich jedenfalls nicht nehmen, der Eröffnung des neuen, pompösen Technologie-Centers des Unternehmens beizuwohnen. Das war im Mai 2004, als die Fahrer Kimi Räikkönen und David Coulthard hiessen.
Es war die Zeit, in der es für den Traditionsrennstall wohl noch Grand-Prix-Siege gab, es aber nur noch zu einem, dem bisher letzten Fahrer-Titel reichte – 2008 durch Lewis Hamilton. Es war auch die Zeit, in der sich der einstige allmächtige Teamchef und Anteilseigner Ron Dennis aus dem operativen Geschäft und später vollends aus dem Unternehmen McLaren Group, zu dem auch das Formel-1-Team gehört, zurückzog.
Queen Elizabeth II, McLaren, Woking, 2004. Photo: Dave Caulkin. #F1 #Formula1 pic.twitter.com/TGq3Zud8CE
— Demetriou Neto (@NetoDemetriou) June 14, 2022
Es war der Beginn des schleichenden Abstiegs in der Hierarchie der Formel 1. Der Rennstall McLaren machte mehr mit Schlagzeilen abseits der Rennpisten als mit sportlichen Leistungen von sich reden. Tiefpunkt war die «Spionage-Affäre», die mit einer Busse von 100 Millionen Dollar und dem Entzug aller Punkte in der Konstrukteure-Wertung endete. Auslöser der drakonischen Strafe war ein unerlaubter Transfer umfangreicher Daten aus dem Hause Ferrari.
Auf den Skandal folgte der mit Abstand längste sieglose Abschnitt in der mittlerweile 60-jährigen Geschichte des Teams. Fast neun Jahre hatte es gedauert, bis in der vorletzten Saison mit dem Australier Daniel Ricciardo im Grand Prix von Italien wieder ein Fahrer in einem McLaren als Erster abgewinkt wurde.
Erster war auch der junge Australier Oscar Piastri vor zwei Wochen in Lusail geworden. Der Rookie hatte in Katar zwar lediglich den Sprint gewonnen, damit aber ein starkes Zeichen gesetzt in einer Saison, die aus Sicht des Rennstalls McLaren von stetem Fortschritt geprägt ist, in der es die Ingenieure verstanden haben, die orangefarbenen Autos Schritt für Schritt auf Vordermann zu bringen.
Standen Piastri und sein britischer Teamkollege Lando Norris nach den ersten zwei Rennen noch ohne Punkte da und hatte das Duo nach acht Grands Prix zusammen lediglich 17 Zähler gesammelt, stellte sich danach signifikant Besserung ein. Mit den Veränderungen an den Autos, vorab mit drei umfangreichen Paketen mit neuen Komponenten, setzten die Techniker das um, was der Teamchef Andrea Stella schon vor dem Saisonstart verkündet hatte. Die Basis für die Trendwende legten der Italiener und seine Leute mit dem nachvollziehbaren Beschluss, sich für die massiven Umbauten an den MCL60 am RB19 des Teams Red Bull zu orientieren.
Der Aufstieg aus den Niederungen der Ranglisten ins Feld der ersten Verfolger Verstappens soll erst der Anfang gewesen sein. Der Erfolg der letzten Wochen hat sie im Lager von McLaren bestärkt, dereinst wieder zu alter Stärke zurückzufinden. Die Zuversicht der Belegschaft ist gross, es wieder an die Spitze zu schaffen.
Zusätzliche Anstellungen beim technischen Personal, die Weiterentwicklung des Simulators und der neue Windkanal sollen für den Aufbruch stehen. Die im August in Betrieb genommene Anlage sorgt für eine Effizienz-Steigerung und Kostensenkungen. In den letzten 13 Jahren hatten die Techniker für ihre Entwicklungsarbeit den Windkanal des früheren Formel-1-Teams von Toyota in Köln benutzt.
Trotz wieder rosigen Aussichten und entsprechender Euphorie bleibt genügend Platz für Realismus. Im Team McLaren wissen sie um die Schwierigkeit bei der Umsetzung des ambitionierten Plans. Sie nehmen die Herausforderung an. Sie sind gewillt, ihren Teil dazu beizutragen, dass es in Zukunft nicht mehr so ist wie dieser Tage in Austin – oder wie meistens in der zu Ende gehenden Saison. (nih/sda)