Es ist ratsam, vorsichtig zu sein, wenn es in Nordamerika um Superlative geht. In Zeiten von Donald Trump, und gerade im Milliardengeschäft des Profisports, wo Überhöhungen zur Tagesordnung gehören, weil das gut ist fürs Geschäft. Und doch lohnt es sich, Daryl Morey zuzuhören. Der General Manager der Houston Rockets sagt: «Man könnte argumentieren, dass James Harden der beste Offensivspieler in der Geschichte des Basketballs ist.»
Grosse Worte, ja, aber ihnen sind ja auch grosse Taten vorausgegangen von ihm, James Harden, 29, aufgewachsen als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in Compton, Kalifornien, diesem düsteren Vorort von Los Angeles, berühmt für Kriminalität und Rapper, der auf den Baseballcaps von vielen Schweizer Jugendlichen prangt, die so suggerieren wollen, aus welch hartem Holz sie geschnitzt sind und was für eine schwere Kindheit sie hinter sich haben.
In Hardens Biografie ist das raue Umfeld Comptons nicht Fiktion, sondern Realität, er lebte in einem Wohnwagen. Und schaffte es aus dem Problembezirk in die Elite der USA, sportlich wie finanziell: Harden verdient in mehr als 30 Millionen Dollar pro Jahr.
Hardens Markenzeichen war lange sein unverkennbarer Bart. Man kann in Houston Imitate davon kaufen; Fans kleben sich die Kopien bei Heimspielen ins Gesicht, um dem Star zu huldigen – der Leitspruch lautet: «Fear the Beard», fürchtet den Bart, und Houstons Widersacher tun das fraglos. Denn Harden ist: Aktueller NBA-Topskorer, All-Star, im Vorjahr wurde er zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt und dürfte die Auszeichnung im Sommer erneut erhalten.
Gerade hat Harden in 31 Partien in Folge mindestens 30 Punkte erzielt, es ist ein Fabelwert, wie ihn die NBA in der Moderne noch nicht gesehen hat. Zuletzt gelang Wilt Chamberlain 1962 eine solche Serie. Harden ist in Houston unter dem Trainer Mike D’Antoni zu einer Art Alleinunterhalter aufgestiegen, die Verletzungen der zwei wichtigsten Einzelspieler der Rockets nach Harden, Chris Paul und der Schweizer Clint Capela, sorgten zuletzt dafür, dass noch mehr Verantwortung auf Hardens Schultern lag.
Ihn scheint das nicht zu stören, im Gegenteil, Harden scheint über unerschöpfliche Energie zu verfügen: Er wirft und wirft, dribbelt und dribbelt, skort und skort. Niemand scheint ihn stoppen zu können, beziehungsweise schon, aber nur mit Fouls, die sich Harden teilweise ziemlich theatralisch erarbeitet. D’Antoni, der Coach, sagt: «Er dominiert Abend für Abend. Es ist lächerlich, wie gut er ist.»
Hardens Brillanz ist auch darin begründet, dass er in der NBA eine Anomalie darstellt. Es gibt viele Profis, die sich ohne Unterbruch inszenieren, die Liga ist eine gewaltige Unterhaltungsmaschinerie. Harden entzieht sich diesen Tendenzen, auch wenn er vor ein paar Jahren einmal mit Khloe Kardashian liiert war, einer Grande Dame des Eigenmarketings.
Zu «Sports Illustrated» sagte er einmal: «Ich brauche keine Bilder von mir, wie ich ein Auto steuere. Wen interessiert das? Was spielt es für eine Rolle, wo ich esse und welche Schuhe ich trage? Ich habe all diese Ablenkungen eliminiert, sie kosteten zu viel Energie.»
Harden konzentriert sich auf den Sport, die Hingabe, das ist die Hoffnung, soll irgendwann in einem Titel zinsen. Im Vorjahr kam Harden dem grossen Wurf sehr nahe, doch die Rockets vermochten eine 3:2-Führung im Western Conference Final gegen die Golden State Warriors nicht zu verteidigen. Das Fehlen eines Titels bleibt der Schönheitsfehler in seinem Lebenslauf.
Am Rande des All-Star-Games rief auch Michael Jordan, der beste Basketballer aller Zeiten, das wieder in Erinnerung. «Sechs Meistertitel sind schwieriger zu erreichen als Hardens Scoringserie», sagte Jordan. Er wollte es als Witz verstanden haben, doch bei allen Superlativen, mit denen Harden gerade überhäuft wird, klang Jordan wie die Stimme der Vernunft.