«Unprecedented» ist ein Wort, das man immer wieder liest, wenn es um Travis Hunter geht. «Beispiellos», heisst das auf Deutsch, «ohnegleichen» oder auch «noch nie da gewesen». Im Falle des Supertalents des American Football, das seinen Namen im in der Nacht auf Freitag beginnenden NFL-Draft sehr früh hören dürfte, scheint dies gerechtfertigt.
Hunter ist nämlich nicht nur ein hervorragender Defensivspieler, sondern gleichzeitig ein extrem talentierter Wide Receiver. In einer von Spezialisten dominierten Sportart ist er damit eine Ausnahme.
Zwar gab es auch in der Vergangenheit Spieler, die sowohl in der Offensive als auch in der Defensive spielten, wie zum Beispiel Deion Sanders, der Hunter am College trainierte, doch Letzterer hebt sich auch in dieser Kategorie ab. Beim 21-Jährigen ist nämlich nicht eindeutig zu sagen, wo er jetzt besser aufgehoben ist.
In seiner letzten College-Saison für die Colorado Buffaloes erzielte er in 13 Spielen als Passempfänger 15 Touchdowns und 1258 Yards Raumgewinn, als Cornerback gelangen ihm vier Interceptions und ein erzwungener Fumble. Als erster Football-Star überhaupt wurde er als bester Receiver sowie als bester Defensivspieler ausgezeichnet. Wenig überraschend bekam er auch die Heisman-Trophäe für den besten Spieler im Universitäts-Football.
Im Falle des in Florida und Georgia aufgewachsenen Hunter war schon früh klar, über welch immense Fähigkeiten er verfügt. So erzählt sein Highschool-Trainer Lenny Gregory gegenüber «The Athletic» von einem von sich selbst überzeugten 15-Jährigen, der die älteren Spieler in seinem ersten Training bereits beim Konditionstest abkochte – und danach nicht einmal wirklich müde erschien. «Ich wusste sofort: ‹Der Junge wird besonders!›», erinnert sich Gregory.
Ab seiner zweiten Saison zeigte Hunter dies auch auf dem Feld. In der Offensive sorgte er regelmässig für eine zweistellige Zahl an Touchdowns, während er den gegnerischen Receivern das Leben schwer machte. Das Highlight war die dritte Saison mit 137 gefangenen Pässen, 1746 Yards Raumgewinn und 24 Touchdowns sowie acht Interceptions als Cornerback. Coach Gregory schwärmt: «Ich habe noch nie jemanden wie ihn gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es nicht in die Hall of Fame schaffen sollte.»
Auch Hunters College-Offensivkoordinator Pat Shurmur hat nur Positives zu berichten: «Er hat einige Superkräfte. Am meisten stechen seine Fähigkeiten heraus, wenn der Ball involviert ist.» So habe Hunter herausragende Qualitäten beim Orten des Balls sowie beim Fangen, aber auch beim Verteidigen von Pässen als Defensivspieler.
Experten streichen zudem heraus, dass er sich mit seiner Explosivität von den gegnerischen Verteidigern lösen, und dies umgekehrt verhindern könne. Dazu käme ein aussergewöhnlicher Instinkt. Insgesamt sei der 1,85 Meter grosse und 84 Kilogramm schwere Hunter auf beiden Positionen, die er spielt, die beste Option im Draft und wäre sowohl als reiner Receiver als auch als reiner Cornerback ein Top-10-Pick.
Wer sich Hunter ins Team holt, bekommt aber nicht nur ein sogenanntes «Einhorn» – also einen einzigartigen Spieler –, sondern auch einen echten Team-Player. Als er für seine Leistungen am College ausgezeichnet wurde, hob er heraus, dass er dies ohne sein Team nicht hätte erreichen können und die Auszeichnung als eine fürs Team ansehe.
Ausserdem verzichtete er auf seinen Anteil von den Team-Einnahmen – vielmehr spendete er einen Teil seiner persönlichen Deals mit Sponsoren in den gemeinsamen Pott, damit auch seine Mitspieler versorgt sind, wie Trainer-Sohn Deion Sanders Jr. in einem Podcast berichtete.
Seine Stärken will Hunter auch in der NFL ausspielen. Und zwar sowohl in der Offensive als auch in der Defensive. Es ist jedoch unklar, wie ihn sein künftiges Team einsetzen wird. Klar ist, dass Hunter anders als am College nicht als vollwertiger Receiver und Cornerback eingesetzt werden kann – dazu ist die NFL zu anspruchsvoll und würde nicht einmal seine Kondition ausreichen, um dies durchzustehen.
Zweifel an seinen Fähigkeiten treiben Hunter zusätzlich an: «Es motiviert mich, wenn Leute sagen, dass ich etwas nicht tun kann. Dass ich nicht offensiv und defensiv dominieren kann. Ich will ein Beispiel für andere sein und zeigen, dass alles möglich ist.» Dafür trainiert der Jungstar wie besessen.
Zum Abschalten geht er fischen. Wie Weggefährten berichten, sei er dort ebenso leidenschaftlich wie beim American Football – und ebenso ehrgeizig. «Wenn ich nachts träume, bin ich auf einem Boot am Fischen», so Hunter bei «The Athletic».
Dieser Ausgleich könnte ihm auch während seiner Profikarriere helfen. Wo diese beginnt, findet er in der Nacht auf Freitag heraus. Am wahrscheinlichsten scheint derzeit, dass die Cleveland Browns Hunter an zweiter Stelle im Draft auswählen. General Manager Andrew Berry schwärmte vor Kurzem in den höchsten Tönen von dem 21-Jährigen und verglich ihn mit Baseball-Superstar Shohei Ohtani. Der Japaner ist ebenfalls auf mehreren Positionen einsetzbar. «Travis Hunter kann Receiver und Cornerback spielen, das macht ihn speziell», so Berry.
Anhand dieser Aussagen scheint Cleveland ein passendes Team für Hunter, der klare Ansprüche an seinen künftigen Arbeitgeber hat. Danach gefragt, ob er lieber nur eine der beiden Positionen oder gar kein Football mehr spielen wollen würde, sagte er: «Ich glaube, dass ich auf beiden Seiten des Balls dominieren kann, das habe ich mein ganzes Leben lang getan. Ich würde lieber aufhören, Football zu spielen, als das nicht mehr zu tun.»
Und wie man es trotz allem Talent nicht in die HoF schafft? Z.B mit einer schweren Verletzung. American Football ist kein Tischtennis.