Deion Sanders war eine Attraktion. Wenn er auf dem Feld stand, war für Action gesorgt. Nicht umsonst trug er den Spitznamen «Prime Time».
Zwischen 1989 und 2005 spielte Sanders vorwiegend als Cornerback, aber auch als Wide Receiver in der NFL. Ausserdem war er Baseball-Profi in der MLB. Besonders im American Football war er einer der prägenden Defensivspieler seiner Zeit und gewann zweimal den Super Bowl, im Baseball erreichte er immerhin einmal die World Series. «Prime Time» sorgte auch mit seinem Auftreten und seinen Sprüchen für Highlights. Er war ein legendäres Grossmaul, das die Sportherzen in den USA noch heute höher schlagen lässt.
Seit fünf Jahren ist Sanders nun College-Trainer, aus «Prime Time» wurde «Coach Prime». In diesen Tagen steht er wieder einmal im Rampenlicht: Denn zwei seiner Söhne sind für den in der Nacht auf morgen Freitag beginnenden NFL-Draft angemeldet.
Beide spielten am College unter ihrem Vater, erst an der Jackson State und in den letzten zwei Jahren an der Universität von Colorado. Einer davon ist Safety Shilo Sanders, der erst in den späteren Runden ausgewählt werden dürfte und im Vergleich zu seinem Bruder Shedeur wenig Beachtung findet. Der ist nämlich Quarterback und galt auf der wichtigsten Position in seinem Sport lange Zeit als grösstes Talent in diesem Draft-Jahrgang.
Diese Ansicht der Experten hat sich jedoch längst gedreht. Im Draft wird Tennessee den ersten Pick mit grosser Sicherheit für Quarterback Cam Ward verwenden. Sanders werde kurz danach ausgewählt, hiess es lange, von Cleveland oder den New York Giants. Jetzt könnte es für den 23-Jährigen aber noch dicker kommen.
Shedeur Sanders gilt als zäher und widerstandsfähiger Quarterback, der selbst in Bewegung und unter Druck der gegnerischen Verteidigung zu genauen Würfen imstande ist. Dazu kommen ein hohes Spielverständnis und die Fähigkeit, Räume zu erkennen und diese auch zu attackieren.
In seiner letzten College-Saison brachte er 74 Prozent seiner Würfe an den Mitspieler und warf 37 Touchdown-Pässe – beides grandiose Werte. Seine Stärke beim Improvisieren könnte ihm auch in der NFL zugutekommen, wenn ein Spielzug nicht nach Plan läuft.
Gleichzeitig wird dem Texaner ein Hang zu unnötigem Risiko nachgesagt, was durch zehn Interceptions in 13 Spielen in dieser Saison untermauert wird. Er habe die schlechten Angewohnheiten, spät im Spielzug Würfe durch die Mitte zu forcieren und den Ball zu lange zu halten, heisst es, weshalb er häufig Opfer von Sacks wird.
Zudem sticht Sanders als Athlet weder als Läufer noch mit einem starken Wurfarm heraus. Zwar könne er vieles ein bisschen, aber nichts überragend. «In meinen Augen ist er nicht besonders», sagte ein Verantwortlicher eines NFL-Teams gemäss Fox Sports.
Nach dem Combine im März, bei dem die Football-Talente auf Herz und Nieren getestet werden und sich in Gesprächen bei den NFL-Trainern und -Entscheidungsträgern bewerben, gab es viele Berichte darüber, dass Sanders nicht den besten Eindruck gemacht habe. Von anonymen Teamquellen hiess es, Sanders sei «frech und arrogant» gewesen, «unprofessionell und desinteressiert», und er habe «den falschen Ton getroffen».
Unterstützung bekam er hingegen von den Leuten, die Sanders kennengelernt und trainiert haben. Journalistinnen und Journalisten sprachen von einem bescheidenen und zuvorkommenden jungen Mann, der sich für alle Fragen Zeit genommen und diese ausführlich beantwortet habe.
«Der Grund, weshalb ihm die Leute so viele Vorwürfe machen, ist, dass er einfach anders ist», glaubt ein NFL-Verantwortlicher, «er ist ein sehr nachdenklicher Mensch und hinterfragt Dinge auch. Das mag auf gewisse Leute streitlustig wirken, aber er ist schlicht kein Ja-Sager und hat seine eigenen Gedanken.» Das ist in der American-Football-Liga, in der viele Trainer mit harter Hand führen, nicht überall erwünscht.
An Sanders prallt das aber alles ab. Sollte er tatsächlich in die 2. Runde des Drafts fallen, würde sich für ihn wohl kaum etwas ändern. Er ist sich sicher, dass er die Zukunft jedes Teams zum Positiven verändern kann.
«Es gibt keinen Zweifel, wen man draften sollte, wenn man die Franchise verändern möchte. Man müsste ein Idiot sein, nicht mich zu wählen», sagte Sanders vor wenigen Wochen selbstbewusst und fügte an: «Ich habe es schon mehrmals getan.» Damit sprach er seine Erfolge an seinen beiden Universitäten an.
Aufgrund seines berühmten Vaters wisse er zudem wie kein anderer, wie man mit Drucksituationen umgehen müsse. «Die Erwartungen an mich waren schon mein ganzes Leben lang hoch. In die NFL zu kommen, wird für mich also nichts ändern», so Sanders.
Papa Deion weiss um die Schwierigkeiten, mit denen seine Söhne seinetwegen zurechtkommen müssen: «Weil sie den Namen Sanders auf dem Rücken tragen, werden sie attackiert. Und das nur, weil ihr Vater sehr erfolgreich war. Das ist nicht fair.» Im Endeffekt kümmere er sich aber nicht darum, denn: «Wir sind hier, um den Sport zu verändern.»
Und es könnte sich auch als Vorteil erweisen, dass Shedeur Sanders mit seinem Vater assoziiert und von diesem vier Jahre lang trainiert wurde. So erklärte ein Assistenztrainer gegenüber ESPN: «Ich glaube nicht, dass jemand härter mit Shedeur umgehen wird, als sein Vater es tat. Es gab einige Momente, in denen sogar ich zusammengezuckt bin und gedacht habe: ‹Mensch, gib ihm eine Pause. Es war nicht so schlimm!›»
Gestählt von diesen Erfahrungen wartet Sanders, der beim Draft in Green Bay anders als sein ehemaliger Teamkollege Travis Hunter nicht persönlich vor Ort sein wird, darauf, seinen Namen zu hören. Vielleicht muss er aber gar bis zur zweiten Runde am Freitag warten.
Wenn Shedeur Sanders Wort hält, kann sich das Team, das ihn bekommt, aber in jedem Fall auf eine glorreiche Zukunft freuen.